Tag des Herrn-Redakteure gestalten eigene Stationen
Kreuzwege unserer Zeit
1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt
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In einem Dresdner Park feiern Dutzende junge Leute Coronaparty. In Hannover lässt der Pfarrer der polnischen katholischen Mission 40 Gläubige in die Kirche und betet mit ihnen Rosenkranz. Nahe Karlsruhe hatten mehrere Gaststätten trotz Verbotes geöffnet. Nachrichten der letzten Tage. Dabei heißt das Gebot der Stunde, so viele direkte zwischenmenschliche Kontakte wie möglich vermeiden, um die Zahl der Neuansteckungen mit dem Coronavirus zu senken. Zugegeben: Es sind harte Einschnitte in die Grundrechte jedes Menschen, die die Regierungen verhängen. Aber sie sind nötig, da sonst abzusehen ist, dass die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsgeräte nicht ausreicht, alle Schwerkranken zu behandeln. Was dann passiert, ist in Italien und Spanien zu sehen. Tausende Menschen müssen sterben – oft ohne, dass jemand in den letzten Augenblicken bei ihnen ist, ihre Hand hält. „Ich habe noch nie solch schockierende Szenen erlebt wie jetzt“, sagt ein alter italienischer Priester. Leichen müssen mit LKW-Konvois in andere Städte gebracht werden, weil die örtlichen Krematorien überlastet sind. Priester segnen die Särge – ein letzter Dienst, den sie den Verstorbenen erweisen können.
Jesus steht vor Pontius Pilatius. Der römische Statthalter soll ihn zum Tode verurteilen. Eigentlich will er das nicht, es widerstrebt ihm, er will Jesus freilassen. Da gibt es doch diesen guten Brauch, zum Pessachfest ... Doch das Volk schreit: „Nicht diesen, sondern Barrabas sollst du freilassen!“ „Aber ich finde keine Schuld an ihm“, sagt Pilatus, lässt Jesus geißeln und mit Dornen krönen. „Seht der Mensch!“ Doch das Volk schreit: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“ Das Todesurteil für Jesus. Und Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld.
Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn sagt: Wer in diesen Tagen Corona-
party feiert, verhält sich „asozial und unanständig“. Nein, mehr noch: „Wer so etwas tut, nimmt in Kauf, dass Menschen schwer krank werden oder sogar sterben.“ – „Nicht diesen, sondern Barrabas!“, schrie das Volk. Seine Hände in Unschuld waschen, konnte es damals so wenig wie die Coronaparty-Gäste von heute.
Matthias Holluba
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Foto: Eckhard Pohl |
2. Station: Jesus nimmt sein Kreuz an
Jesus nimmt das Kreuz auf sich. Vor wenigen Stunden noch hat er mit sich gerungen, ob er dieses Leid wird tragen können. Er hat seinen Vater darum gebeten, wenn es möglich ist, diesen Kelch von ihm zu nehmen. Doch es ist anders gekommen.
Der Ilfelder Künstler Bernhard Langer (†2014) zeigt Jesus mit schmerzvollen, fragenden, ins Weite gerichteten Augen. Mit einem Blick auch hinein in unsere gegenwärtige Weltsituation. Seine Stirn hat Jesus dabei an den Querbalken des Kreuzes gelehnt, seine rechte Hand scheint sich dem Holz tastend, ja liebevoll zu nähern.
Enttäuschung, Leid, Krankheit, Tod – jeder Mensch begegnet dem Kreuz im Leben anderer und im eigenen Leben. Seltener in jungen Jahren. Aber es ist früher oder später und mal mehr und mal weniger da. Eine Weile lässt sich vielleicht leichter damit umgehen, manchmal hilft jemand beim Tragen. Letztlich aber gilt, sich wie Jesus auf das Kreuz einzulassen: zu versuchen, sein Kreuz anzunehmen. Das kann sehr schwer und schmerzvoll sein und vielleicht sogar überfordern. In letzter Konsequenz ist es jedoch alternativlos und der einzig menschliche Weg.
Sein Kreuz zu schleppen kann zur Qual werden. Aushalten und Durchtragen. Vielleicht sogar unter der Last zusammenbrechen, unter dem Kreuz fallen. Und sich dann doch wieder hochrappeln. Weil das menschlich ist. Weil man seine Sache zu Ende bringen muss. Weil es einen Funken Hoffnung gibt.
Ein Kreuzweg kann tödlich enden. Wie bei Jesus. Auch gottverlassen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Auch in diesen Tagen schreien dies Menschen. Hoffentlich erfahren sie dann doch Gottes Nähe.
Die Evangelien berichten davon, dass Jesus den Kreuzbalken auf sich genommen und getragen hat und – zu Tode gefoltert – gestorben ist. Und dass er auf Gott vertraut hat, weil nur er ihn aus dem Tod erretten konnte.
Vertrauen wir darauf! Der Kreuzweg, den Bernhard Langer 1991 für die Pfarrkirche Heilig Kreuz in Aschersleben entwarf, hat 15 Stationen. Er endet mit dem Ostermorgen.
Eckhard Pohl
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Foto: Picture Alliance |
3. Station: Jesus wird seiner Kleider beraubt
Menschen auf der Flucht haben nichts. Wie Jesus auf seinem Kreuzweg, sind sie ihrer Kleider beraubt. Besonders dramatisch ist ihre Situation in Moria, dem EU-Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos. Es sind die Kinder, die hier – wie in jedem Konflikt auf der Welt – besonders leiden. Im Rundfunk war neulich von einem Mädchen die Rede, deren Zähne bis aufs Fleisch verfault waren. Das kann nicht kalt lassen. Der Schweizer Jean Ziegler hat als Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates im Mai vergangenen Jahres Moria besucht. Im Buch „Die Schande Europas – Von Flüchtlingen und Menschenrechten“ zieht er eine schreckliche Bilanz.
Mit Blick auf die Kinder notiert er: „Die Flüchtlingskonvention verlangt, dass unbegleitete Kinder getrennt von Erwachsenen schlafen können. Doch in den vom Hochkommissariat zur Verfügung gestellten Großzelten, in denen mindestens 15 Personen Platz finden, oder in den baufälligen Hütten der ,Olivenhaine‘ werden die unbegleiten Minderjährigen mit Erwachsenen jeder Art und Herkunft zusammengelegt. Nachts sind sie ihnen schutzlos ausgeliefert.“
Die Kreuzwegstation „Jesus wird seiner Kleidung beraubt“ lädt zur Verbundenheit mit den Kindern von Lesbos und den geflüchteten Menschen weltweit ein. Papst Franziskus – der 2016 Moria besuchte – wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Im Advent hatte der päpstliche Sozialbeauftragte Kardinal Konrad Krajewski 33 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem überfüllten griechischen Auffanglager Moria nach Italien gebracht, wo sie vom Papst begrüßt wurden. Nach Vatikanangaben handelte es sich um Jugendliche und Familien aus Afghanistan, Togo und Kamerun. Nach der Ankunft hatte Krajewski vor allem an kirchliche Einrichtungen appelliert, ihrerseits Schutzsuchende aufzunehmen. Platz sei vorhanden. Wenn jedes Kloster oder kirchliche Haus eine Person oder eine Familie beherberge, gäbe es auf Lesbos keine Flüchtlinge mehr, so der Kardinal. Offiziell lag die Kapazität in Moria bei etwa 3000 Menschen. Heute leben hier über 21 000 Schutzsuchende.
Holger Jakobi
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Foto: Raphael Schmidt |
4. Station: Simon hilft Jesus das Kreuz tragen
„Einen Mann, der gerade vom Feld kam, Simon von Cyrene, den Vater des Alexander und des Rufus, zwangen sie, sein Kreuz zu tragen“, steht im Markusevangelium 15, 21. Die Arbeit auf dem Feld, in der Landwirtschaft, ist schwer. Traktoren, Technik gab es noch nicht. Ein Knochenjob, wie man so sagt. Nach einem harten Tag in der Hitze dieser Gegend, war Simon vermutlich fix und fertig. Seinen Feierabend hatte er sich anders vorgestellt, als einem Fremden schleppen zu helfen. Dazu einem Verbrecher das Kreuz zu dessen Hinrichtung. Die Strafe wird er schon verdient haben, schließlich hat ein Richter das Todes-Urteil gesprochen und Soldaten setzen es in die Tat um. Und so einem sollte er in seiner Freizeit helfen? Freiwillig war es nicht: die Waffenträger, Vertreter der Macht, sie zwangen ihn.
Haben Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger im Rentner-Alter daran gedacht, noch einmal zu schwerer, gar gefährlicher Arbeit geholt zu werden? Sie haben ihren Teil für die Gesellschaft, für das Gemeinwohl, geleistet. Unsichtbare, todbringende Viren zwingen die Fachkräfte, die einen ruhigen Feierabend verleben wollen, jüngeren Kollegen ihre Kreuze tragen zu helfen. Fernsehbilder und -berichte aus Italien und Spanien informieren darüber, dass Kreuz-Träger am Ende ihrer Kräfte sind. Sie brauchen Pausen zur Erholung, um weitertragen zu können. Andere sind bereits am Rande des Weges liegengeblieben, haben sich selbst infiziert, sind von Helfern zu Hilfsbedürftigen geworden.
Das Bild zur fünften Station ist Teil des Kreuzwegs in der St. Hedwigs-Kirche in Görlitz-Rauschwalde. Unweit des Gotteshauses befindet sich das St.-Carolus-Krankenhaus. Dort können Menschen ambulant auf Covid19 getestet und Betroffene stationär behandelt werden. Und es leben in dem Haus die Borromäerinnen, die – wie die Frauen auf dem Foto – im Hintergrund bleiben – und betend tragen helfen. Wenn wir bereit sind, füreinander Lasten zu tragen, werden wir Jesus ähnlicher werden, der das Kreuz eigens für uns getragen hat und der unsere Kreuze gemeinsam mit uns trägt. So wurde Simon und so werden wir: von Hilfeleistenden zu Empfangenden.
Raphael Schmidt
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Foto: picture alliance |
5. Station: Jesus stirbt verlassen
Am Ende ihres Lebens leiden Menschen allein, heute, ganz in unserer Nähe, inmitten der europäischen Zivilisation, deren vermeintliche Überlegenheit uns zuweilen zu einer gehörigen Portion Überheblichkeit verleitet hat. Was ihnen bisher verlässlicher Trost und Halt war, ist gerade unerreichbar. Die Kirche zum Beispiel, die eigene Gemeinde, Sakramente. Was trägt die Leidenden durch ihre letzten Atemzüge, wenn jetzt zweitrangig erscheint, was sie als unverzichtbar und unverrückbar kannten? Was ist wahr von all dem, was ihnen in ihrem bisherigen Leben über Gott erzählt worden ist? Wo ist er jetzt überhaupt zu finden?
Unsere Fragen bringen uns Jesus in dieser Karwoche nahe wie lange nicht. Dem peinlich Gescheiterten, der am Kreuz schreit „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wie Generationen von Christen vor uns können wir uns diesen kläglichen unerhörten Schrei zu eigen machen, in der Einsamkeit unseres Leids oder in der hilflosen Ohnmacht der Hilfsbereiten, die gerne Beistand leisten, Nähe zeigen, ein letztes Geleit geben würden. Einen Anspruch auf begütigende Antworten, auf ein väterliches „Alles ist gut“, das uns die Welt tröstlich zurechtrückt, haben wir dabei nicht.
Doch wir haben die Erfahrung so vieler Christen vor uns, die um Atem ringend in absurden, verzweifelten Situationen aushielten, die Tröster zu sein versuchten anstatt Getröstete und die durch ihre Warum-Schreie hindurch zum Osterwunder getragen wurden – und das im übrigen nicht nur am Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond.
Dorothee Wanzek
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Foto: imago images/imagebroker/Handl |
6. Station: Jesus wird ins Grab gelegt
Josef hüllt den Leichnam in ein sauberes Leinentuch, legt ihn in ein neues Felsengrab und schiebt einen großen Stein davor. (Vgl. Matthäus-Evangelium 27,57-61) Plötzlich ist er allein. Da sind keine Jünger, keine Pharisäer, keine der Marias, noch nicht einmal jene, die ihn hinrichteten.
Im Tod ist Jesus nun ganz einsam, ein Zustand, den viele Menschen bereits im Leben aushalten müssen. Sie sind nicht nur in Corona-Zeiten allein: Menschen, die keine Familie (mehr) haben, Kranke und Menschen in Pflegeheimen, die nicht besucht werden ... Die Ursachen von Einsamkeit sind vielfältig und manchmal wurde sie bewusst gewählt. Doch eigentlich entspricht sie nicht dem menschlichen Wesen, belastet Betroffene oft schwer, kann zu Depressionen und im schlimmsten Fall in den Freitod führen.
Jesus bleibt nicht im Tod, dieser absoluten Einsamkeit, sondern kehrt zurück, um den Menschen die ewige Gemeinschaft mit Gott zu verkünden. Er hat die Isolation des Todes überwunden und denen, die an ihn glauben, eine Wohnung im Hause des Vaters bereitet (vgl. Johannes-Evangelium 14,2). Er möchte also die Gemeinschaft mit dem Menschen und fordert sie im Gebot der Nächstenliebe auch von uns.
Fragen wir uns also, ob wir diesem Auftrag Jesu gerecht werden. Allerdings sollten wir dabei nicht nur auf die schauen, denen die Nächstenliebe sonst meist gilt, sondern wirklich auf unsere Nächsten: Familie, Freunde, Nachbarn. Wen machen wir durch unser Verhalten einsam, wen stoßen wir weg?
Vinzent Antal