Die Postkarte
Kurz, günstig, schnell
Ihre Glanzzeiten hat die Postkarte, erfunden vor 150 Jahren, längst hinter sich. Doch sie ist heute noch begehrt. Ein Sammler aus dem Eichsfeld erzählt, warum oft Kirchtürme ein Motiv waren. Und ein Museum in Hamburg hütet das größte Postkartenarchiv Deutschlands.
Wer anders als ein Ökonom könnte auf die Idee kommen? Wirtschaftliche Gründe vor allem hatte der Wiener Professor Emanuel Herrmann vor 150 Jahren im Sinn, als er die Einführung der Postkarte empfahl: Kurz, günstig, schnell – so listete er die Vorteile einer Postkarte als Alternative zum förmlichen Brief auf. Und die österreichisch-ungarische Post setzte den Vorschlag wenig später in die Tat um: die Korrespondenzkarte war im Umlauf, eine Vorgängerin der Postkarte mit den beliebten Motiven. Denn zunächst war die schmucklose Vorderseite für die Adresse reserviert. Erst zwei Jahrzehnte später druckten die ersten Verlage Motivkarten, jeder kleine Ort brachte seine eigenen heraus.
Vor 100 Jahren wurden 1,2 Milliarden Karten befördert
Ihre Glanzzeiten hat die Postkarte allerdings längst hinter sich. Wer einen Urlaubsgruß verschicken will, sendet mit dem Handy eine WhatsApp einschließlich Selfie, E-Mails haben Briefe weitestgehend abgelöst. Anfang des 20. Jahrhunderts landeten in Deutschland 1,2 Milliarden Postkarten pro Jahr im Briefkasten, heute sind es noch knapp 200 Millionen.
Trotzdem sind sie begehrt: Nach Briefmarken und Münzen stehen sie in der Liste der Sammel-Leidenschaften an dritter Stelle. Zu den Sammlern, die sich der so genannten Philokartie widmen, gehört seit einigen Jahren Helmut Gödecke aus dem südniedersächsichen Duderstadt. Aus der unüberschaubaren Flut an möglichen Motiven hat er sich einen engen Rahmen gesetzt: Postkarten aus dem Eichsfeld sind sein Spezialgebiet. Und weil das Eichsfeld einer der wenigen katholisch geprägten Landstriche in Norddeutschland ist, schlug sich das natürlich auf den Karten nieder: Die Cyriakus-Kirche von Duderstadt – mal vom Marktplatz her gesehen, dann eingebettet ins Stadtbild, mit Luftschiff über den Türmen (1914), Innenaufnahmen in allen Variationen – vom Taufbecken bis zur Kreuzdarstellung. Oder das Ursulinenkloster, in früheren Zeiten noch ein Mädcheninternat: „Da war die Nachfrage nach Postkarten groß, regelmäßig schickten die Schülerinnen die neuesten Nachrichten an die Eltern. Und jeder Abiturjahrgang brachte eine eigene Karte heraus“, erzählt Gödecke. Allein diese Motive füllen ein komplettes Album. Auf vielen der historischen Karten im Archiv des Sammlers findet sich als Autor der Name Felix Petz, der damals mit seiner Plattenkamera über Land zog und lokale Sehenswürdigkeiten, Persönlichkeiten und gesellschaftliche Anlässe auf Platte festhielt.
„Jeder Kirchturm wurde auf Postkarten abgedruckt“, erinnert Gödecke an die Blütezeit. Natürlich lange Zeit in Schwarzweiß. Erst allmählich hielt Farbe Einzug, allerdings in anfangs geradezu herzergreifender Schlichtheit: In Heimarbeit kolorierten ganze Familien für ein paar Pfennige als Stundenlohn die Karten per Hand. Erst später sorgte das aufwendige Litografieverfahren für neue Möglichkeiten des Farbdrucks.
Erzbischof Dyba war ein leidenschaftlicher Sammler
Mehrere tausend Eichsfeld-Postkarten hat Helmut Gödecke in den vergangenen Jahren zusammengetragen. Das ist beachtlich – aber nicht viel im Vergleich zu der Sammlung des früheren Erzbischofs von Fulda, Johannes Dyba. Der galt bei Kennern als ganz große Hausnummer: Aus jedem noch so kleinen Ort eine Karte, war sein erklärtes Ziel. Als nach seinem Tod die Sammlung unter der Einlieferungsnummer 900 unter den Hammer kam, brachte das eine „ordentliche Summe für caritative Zwecke“, berichtet Gödecke. Auch er selbst hat einige Karten aus dem erzbischöflichen Fundus gekauft.
Die Welt der Postkarten ist schier unerschöpflich. Das zeigt auch ein Besuch im Altonaer Museum in Hamburg. Mit dem geografischen Schwerpunkt Norddeutschland schlummert in seinen Archiven ein gigantischer Bestand von 1,5 Millionen – die größte Sammlung Deutschlands. Trotzdem ist bei einer Themenbreite von „Hamburger Hafen“ bis „Urlaubsorte an der Küste“ längst noch nicht alles in den Karteikästen, was im Laufe von 150 Jahren erschienen ist, sagt Birgit Staack. Die öffentlich zugängliche Sammlung ist bei Geschichtsinteressierten eine gefrage Adresse: Historiker forschen nach Karten aus den Kolonien oder nach Propagandakarten aus Kaisers Zeiten oder dem Nationalsozialismus. Selbst wer auf den Spuren der Kulturgeschichte des Fahrrads ist oder nach humoristischen Motiven sucht, wird fündig.
Fast ausschließlich ehrenamtlich wird das Archiv bearbeitet; trotzdem soll einmal der komplette Bestand online abrufbar sein. Erfasst werden nicht nur die Motive, sondern auch die Texte. Birgit Staack: „Weil uns viele Familien ihre Karten vermachen, haben wir damit einen unerschöpflichen Fundus von Biografien.“
Stefan Branahl