Anstoß 38/20
Laut und leise
Es war ein eigenartiger Elternabend. Die Pläne für eine Projektwoche wurden vorgestellt und diskutiert. Aufgeregt wurden Fragen gestellt: „Wie kann man nur“, „Man müsste doch …“, „Das darf doch nicht wahr sein …“.
Scheinbar hatten die meisten im Raum mit der Projektwoche große Schwierigkeiten. Nach harten eineinhalb Stunden wurde abgestimmt. Fast alle waren für das Projekt. Was war denn da passiert? Es klang doch erst ganz anders. Genau besehen waren es gar nicht viele, die sich in der Diskussion geäußert hatten. Aber diese Stimmen waren sehr besorgt und auch mal recht laut.
Natürlich war es okay, dass sie ihrer Meinung gesagt haben, aber der Eindruck, dass die Mehrheit im Raum so denkt wie die Lauten, stimmte nicht. Es war ein typisches Phänomen: Wer laut ist, wird besser gehört und es scheint, als ob die laute Meinung die bestimmende ist. So etwas gibt es nicht nur bei Elternabenden. Das Laute und Aufgeregte wird für wichtiger gehalten als das Unaufgeregte und Ruhige. Ob es um Politik geht, um Fußball, um Schottergärten, den syno- dalen Weg, um Maskenpflicht. Ein Blick in die Kommentarspalten der Zeitungen und des Internets hat oft ebenso eine aufregende Wirkung. Am liebsten würde man mal „Ruhe jetzt“ brüllen. Was zwar Dampf ablässt, aber wenig geeignet ist, die Debattenkultur auf die richtige Temperatur herunterzukühlen.
Also, verstehen Sie es als Einladung, sich auch dann zu Wort zu melden, wenn aus ihrer Sicht alles in Ordnung zu sein scheint oder zumindest nicht nach Aufregung schreit. Ja, auch mal was zu sagen, wenn es aus ihrer Sicht gut läuft.
Und für die besorgten Menschen, deren Meinung ja auch wichtig ist, gilt die Einladung den Verbalritt nicht ganz so forsch zu führen. Meist ist weniger Lärm für eine erfolgreiche Diskussion und Lösungssuche förderlicher als aufgeregtes Gezeter.