Politik der AfD würde der eigenen Wählerschaft schaden
Leidtragende wären die, die wenig haben
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Sie haben jüngst eine Studie über das „AfD-Paradox“ publiziert. Darin schreiben sie, die Hauptleidtragenden einer AfD-Politik wären vor allem ihre eigenen Wähler. In welchen Bereichen würden die sogenannten kleinen Leute unter einer AfD-Regierung leiden?
Die AfD vertritt eine extrem neoliberale Wirtschafts- und Steuerpolitik. Die Umsetzung dieser Politik würde zum Beispiel Steuersenkungen für Spitzenverdiener bedeuten. Zudem will die AfD laut neuerer Forderungen auch den Solidaritätszuschlag abschaffen, von dem aber nur die oberen sieben Prozent der Einkommenssteuerzahlenden betroffen sind. Außerdem ist die AfD gegen Vermögensabgaben und gegen die Erhebung von Erbschaftssteuern. All das würde nur die Topverdiener entlasten. Menschen ohne Vermögen, sprich gerade Menschen in Ostdeutschland, die oft weniger Geld haben als der Bundesdurchschnitt, würden dagegen leer ausgehen. Mehr noch: Diese Menschen müssten zukünftig wahrscheinlich mehr Steuern zahlen als heute. Irgendwie muss der Staat am Ende ja die genannten Steuergeschenke und die somit ausbleibenden Einnahmen ausgleichen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Holger Stichnoth hat ausgerechnet, dass Menschen mit einem Einkommen von unter 40 000 Euro jährlich nicht von der Politik der AfD profitieren würden, sondern vor allem Menschen mit Jahreseinkommen von über 300 000. Deckt sich das mit ihren Erkenntnissen?
Ja, das passt ziemlich genau zu den von mir genannten Steuerentlastungen für die oberen Einkommensschichten.
Was sagt die AfD zur Sozialpolitik?
Sie will zum Beispiel den Bezug des Bürgergelds auf sechs Monate begrenzen und anschließend eine Art Arbeitszwang umsetzen. Bei anderen Sozialleistungen deuten sich ebenfalls Kürzungen an. All dies würde vor allem Menschen mit geringen Einkommen sowie Arbeitslose hart treffen. Und wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass große Teile der AfD-Wählerinnen und -Wähler ein geringeres Einkommen haben als der Durchschnitt der Wählerschaft der anderen Parteien und zudem häufiger arbeitslos sind.
Die AfD steht für eine strikte Abschottungspolitik und würde gerne die Grenzen schließen. Welche ökonomischen und sozialen Folgen hätte das?
Es kommen ja nicht nur Hilfsbedürftige ins Land, sondern es wandern auch viele Menschen zu, die hier in Arbeit kommen und dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Fachkräftelücke schließen können. Davon profitieren indirekt auch die Wähler der AfD, deren Arbeitsplätze sonst vielleicht gefährdet wären, weil viele Unternehmen ohne Zuwanderung vor dem Aus stünden und es zu Entlassungen käme. Außerdem zahlen viele Zuwanderer Steuern und beteiligen sich an der Finanzierung unseres Gemeinwesens.
Aber es kommen ja nicht nur Fachkräfte ins Land.
Richtig ist, dass derzeit überproportional viele Migranten in Deutschland, vor allem Geflüchtete, arbeitslos sind. Die Herausforderung ist, diese Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Eine Schließung der Grenzen und rigide Beschränkungen bei der Zuwanderung helfen dabei aber nicht. Sie wären angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels langfristig kontraproduktiv, weil sie dazu führen würden, dass mehr Unternehmen pleitegehen. Auch die sozialen Sicherungssysteme und die Renten wären ohne Zuwanderung künftig angesichts des demografischen Wandels viel schwieriger zu finanzieren als mit Zuwanderung.
Andere Wissenschaftler prognostizieren, dass ein Austritt Deutschlands aus der EU zu steigenden Preisen etwa durch neue Zölle führen würde. Teilen Sie diese Befürchtung?
Wenn Deutschland wirklich aus der Europäischen Union austritt, wie weite Teile der AfD das fordern, würde dies die deutsche Wirtschaft, die bekanntlich auf Exporte stark angewiesen ist, extrem schwächen, was wiederum den Verlust vieler, auch guter Arbeitsplätze bedeuten würde. Hiervon wären vor allem jene Regionen besonders stark betroffen, die bereits heute strukturschwach sind. Genau dort aber leben die meisten AfD-Wählerinnen und -Wähler. Insgesamt muss man sagen: Eine Umsetzung der AfD-Politik würde für das ganze Land erhebliche Einbußen bedeuten. Die größten Leidtragenden wären proportional betrachtet Menschen, die bereits heute wenig haben, also auch viele AfD-Wähler.
Sie haben vorhin gesagt, die AfD sei „extrem neoliberal“. Können Sie kurz erklären, was ihre neoliberale Politik im Wesentlichen kennzeichnet?
Die AfD fordert in fast allen Bereichen weniger Staat, weniger Steuern, weniger Sozialleistungen, weniger Eingriffe in den Markt. Dies offenbart eine tiefe Skepsis gegenüber dem Staat und der Lenkungswirkung von Politik. Im Gegenzug wird erwartet, der Markt solle alle aufkommenden Probleme lösen.
Das hört sich ein wenig nach Darwins Evolutionstheorie an: Am Ende überleben nur die Stärksten.
In der Tat wäre die AfD-Politik für Spitzen- und Hochverdiener zumindest kurzfristig lukrativ, weil sie steuerlich entlastet würden. Aber Menschen mit weniger Einkommen, die weniger mobil und weniger gut ausgebildet sind, zahlten dafür einen hohen Preis.
Haben Sie eine Idee, warum viele Menschen trotzdem AfD wählen?
Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze. Eine Theorie ist, dass etliche AfD-Wähler ihren eigenen gesellschaftlichen Status falsch einschätzen. Sie sind eben nicht das Volk, sondern eine marginalisierte und sozial verletzliche Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Ein anderer Ansatz besagt, dass gerade Menschen, die verunsichert sind, dazu neigen, ein starkes Wir-Gefühl zu entwickeln, sich abzugrenzen und nach unten zu treten. Beide Erklärungen hängen sicherlich zusammen. Dann gibt es noch etliche AfD-Wähler, die durchaus bereit sind, finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen, wenn es dafür gelingt, die eigene nationale Identität zu wahren und Ausländer draußen zu halten.