Das Gebot der Feindesliebe
Liebe Alltagsfeinde
Feinde lieben, die andere Wange hinhalten, sein Recht vor Gericht nicht durchsetzen: ziemlich radikal, was Jesus von seinen Jüngern verlangt. Manche sagen: Das hat er bestimmt nicht wörtlich gemeint. Aber was, wenn doch?
Liebe deine Feinde! Vielleicht gibt es kein Jesus-Gebot, das schwerer umzusetzen wäre. Die Feinde lieben? Die anderen überzogenen Forderungen der Bergpredigt sind dagegen locker. Jemandem den Mantel geben, der das Hemd fordert oder nach einem Schlag noch die andere Wange hinhalten – das ist schwer, aber vorstellbar. Meine Feinde anständig behandeln – das geht. Aber sie lieben? Kann man so etwas überhaupt fordern?
Der Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick beschreibt das Problem mit einem schönen Satz aus dem Eheleben: „Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen!“ Wer so etwas von seinem Partner verlangt, macht sich und ihn unglücklich. Denn hier wird etwas Unmögliches verlangt. Der Mann oder die Frau kann sich dazu zwingen, den Knoblauch zu essen – dem Partner zuliebe. Aber dass er die verhasste Knolle auch noch gern isst, das ist zu viel verlangt. Und das Gleiche müsste man auch Jesus sagen. Lieben kann ich meinen Feind beim bes-ten Willen nicht! Das ist wirklich zu viel verlangt.
Im Griechischen gibt es drei Worte für Liebe: Éros, die erotische Liebe; Philía, die Zuneigung zu Freunden; Agapé, die Nächstenliebe. Die drei beschreiben verschiedene Gefühle. Dass man erotische Liebesregungen nicht erzwingen, fordern oder erbitten kann, hat vielleicht der eine oder andere von Ihnen schon erfahren. „Liebe mich zärtlich! Liebe mich treu!“, „Bitte hab’ mich lieb“ . Das klingt gut, wenn es von Elvis Presley („Love me tender“) oder von den Beatles („Love me do“) gesungen wird. Aber im Ernstfall funktioniert es nicht.
In der Bergpredigt fordert Jesus nicht den Eros, sondern nur die Agape. Aber auch sie, die Liebe zum anderen Menschen, ist Herzenssache, nicht Pflicht-übung. Ohne Gefühl ist auch diese Liebe nicht zu haben.
Mein Intimfeind: der Vermieter
Aber zurück zu den Feinden. Am besten wäre es ja, man hätte gar keine. Ich selbst hatte im Leben nur sehr wenige. Eigentlich fällt mir nur der Vermieter ein, dem meine ehemalige Altbauwohnung in Hamburg-Barmbek gehörte. Diesen Stinkstiefel konnte ich nicht lieben, trotz Theologiestudium und guter Kenntnis der Bibelstelle Matthäus 5,44. Ich habe es ihm in mehreren Gerichtsprozessen richtig gegeben! Und das bereue ich nicht.
Aber trotzdem: Besser ist, man verzichtet ganz auf Feinde. Dann muss man sie nicht lieben und natürlich auch nicht hassen. Die jahrelangen Kämpfe gegen den Barmbeker Vermieter haben mich schon Nerven gekostet.
Gut, Jesus standen in der Bergpredigt zweifellos Feinde anderen Kalibers vor Augen. Verfolger etwa, die einem nach dem Leben trachten. Aber er spricht auch von Alltagskonflikten, von Amtsgerichts-Streitereien, wo es um Rock und Hemd geht (Matthäus 5,40). Bei mir ging es eben um eine Wohnung.
Aber ganz ohne Feinde leben, wie kann das gehen? Nun, am besten, man vernichtet sie rechtzeitig. Diesen Tipp gab der weise US-Präsident Abraham Lincoln (1809-1865) seinen Leuten, aber er meinte damit keinen brutalen Waffeneinsatz. Er fragte: „Zerstöre ich meine Feinde nicht am besten, indem ich sie zu Freunden mache?“ Lincoln hat diese Weisheit aus dem jüdischen Talmud genommen: „Ein Held ist, wer aus seinem Feind einen Freund macht.“ Das geht. Und nach meiner Erfahrung ist solch eine Vernichtung von Feinden gar nicht so selten. Ein Beispiel aus dem Alltag: Viele Menschen lerne ich dadurch kennen, dass jemand anruft und sich fürchterlich über irgendetwas aufregt. Und nach einer Viertelstunde Quatschen am Telefon trennt man sich im besten Einvernehmen.
Auch sehr lange gepflegte Feindschaften – oft im politischen Bereich – haben in der Regel den Effekt, dass die Kontrahenten sich nach und nach aneinander gewöhnen. Nach einer Zeit wissen sie, wie der andere tickt. Dann entdecken sie gewisse charakterliche Verwandtschaften, und am Ende können sie gar nicht mehr ohne einander sein. Das nennt man dann „Männerfreundschaft“. Franz-Josef Strauß und Erich Honecker wird eine solche Feind-Freundschaft nachgesagt, Trump und Putin – aber das Paradebeispiel sind und bleiben Don Camillo und Peppone, der Priester und der kommunistische Bürgermeister im italienischen Dorf Boscaccio.
Und dann gibt es auch sozusagen ambivalente Feindschaften, bei denen Anziehung und Ablehnung nicht voneinander geschieden sind.
„Der größte Feind des Menschen wohl,
das ist und bleibt der Alkohol. Doch in der Bibel steht geschrieben:
Du sollst auch deine Feinde lieben.“
Zugegeben, dieser Witz ist alt und liegt unter dem Niveau dieser Zeitung. Aber auch schlechte Witze haben ihr Recht und ihre Zeit: Es ist Karneval.
Andreas Hüser