Wer war eigentlich Agostino Steffani?

Mann mit vielen Eigenschaften

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Vor 300 Jahren wurde die Basilika und Propsteikirche St. Clemens in Hannover  geweiht – durch den damaligen Apostolischen Vikar für Ober- und Niedersachsen Bischof Agostino Steffani, der den Kirchbau gegen alle Schwierigkeiten vorangetrieben hat.


Komponist, Diplomat, aber vor
allem ein Mann der Kirche: Agostino
Steffani – hier auf einem Ölgemälde
von Gerhard Kappers, wohl um 1714,
im Besitz der Bertha Jordaan-van
Heck Stiftung, Wasserburg Haus
Welbergen in Ochtrup (Westfalen).

Wer war eigentlich Agostino Steffani? Für die einen ein begnadeter Komponist. Für die anderen ein geschickter Diplomat. Und für Dritte ein sorgender Pries­ter und Bischof. Oder für alle: Ein Mann mit vielen Eigenschaften.

Kindheit und Lehrjahre

Goldene Löffel – damit ist Agostino Steffani nicht geboren worden. Am 25. Juli 1654 erblickt er in Castelfranco Veneto das Licht der Welt, als fünftes von sieben Geschwistern. Seine Eltern, Camillo Steffani und Paolina Terzago, stammen jedoch aus Padua. Dort zieht es den jungen Agostino früh hin. Er wächst bei seinem Onkel – Bruder der Mutter – auf und singt im Chor der Basilica del Santo. Dort hat seine Sopranstimme eines Tages im Jahr 1667 einen aufmerksamen Zuhörer, den bayerischen Kurfürst Ferdinand Maria. Der Potentat nimmt ihn mit nach München und zahlt die Ausbildung: Orgel, Gesang, Komposition. Etwas, das die Familie Steffani nie hätte finanzieren können.

Gleichzeitig arbeiten verschiedene Bio­grafen des Lebens von Steffani heraus, dass der Kurfürst in weiser Voraussicht, seinem Musiker auch einen dauerhaften Lebensunterhalt vermitteln will. Die Idee dabei: eine Ausbildung in Theologie, die Weihe zum Priester und damit kirchliche Pfründe. Ob Steffani tatsächlich Theologie studiert hat oder Glaubenswissen eher Bestandteil einer kirchenmusikalischen Lehre war, ist nicht abschließend geklärt. Die niederen Weihen jedoch, die ihm gespendet werden, ebnen den Weg in den Klerus. Dafür spricht, dass solche Lebenswege in der frühen Neuzeit alles andere als selten waren.

Im Zuge seiner musikalischen Lehrjahre kommt Steffani nach Rom, Turin und Paris, spielt eigene Werke am Cembalo vor Ludwig XIV. Sein Können und seine Kompositionen gelten als „elegant und delikat“, wie ein bayerischer Gesandter am Hofe des Sonnenkönigs schreibt. Und längst ist Steffani zum Hoforganisten in München bestellt.

Der Musiker

1680 wird Steffani zum Priester geweiht. Doch er übernimmt kein geistliches Amt, sondern wird zum Kammermusikerdirektor am Münchner Hof von Maximilian II. Emanuel berufen, als Kurfürst Nachfolger vom 1679 verstorbenen Ferdinand Maria von Bayern. Das Amt wird eigens für Steffani geschaffen. Ein Zeichen der hohen Verehrung durch den Machthaber. Steffani dankt es mit seiner ersten Oper, „Marco Aurelio“, die bereits wenige Monate nach der Berufung uraufgeführt wurde. Das Libretto dazu schreibt sein Bruder Ventura Terzago. Damit beginnt eine erfolgreiche Zusammenarbeit dieser Brüder, die über Jahre dauerte. Vier weitere Opern werden in der Münchner Zeit folgen. Zwischendurch wird ihm 1683 die Pfarrei Löpsingen (in Bayrisch-Schwaben, nahe der heutigen Grenze zu Baden-Württemberg) übertragen. Zum einen: geringe, aber regelmäßige Einnahmen, zum anderen der Titel Abbé – französisch für Weltpriester. Französisch ist die bestimmende Sprache der Zeit.  

Doch Musiker sind in dieser geschichtlichen Periode nicht nur Musiker. Sie haben Renommee und damit auch Zugang zu anderen Höfen. Der Priester ohne Amt und Kammermusikdirektor soll, gewissermaßen in Geheimdiplomatie, eine Ehe stiften – die Vermählung zwischen seinem Kurfürsten und Sophie Charlotte, der einzigen ehelichen Tochter von Ernst August von Braunschweig-Calenberg in Hannover. Zwar scheitern seine Bemühungen und Sophie Charlotte heiratet den späteren preußischen König Friedrich I., doch damit erschließt sich der Weg für Steffani an den Hof von Ernst-August.

Von Juni 1688 wirkt Steffani als Kapellmeister und Operndirektor in Hannover. 1689 komponiert er für die Einweihung des neuen Theaters im Leineschloss die Oper Enrico Leone („Heinrich der Löwe“). Sieben weitere Opern, zahlreiche Vokal- und Orchesterstücke folgen bis 1695.

Der Diplomat

1695 wechselt Steffani das Hauptmetier. Er wird zum Gesandten von Ernst-August berufen – und zwar bei seinem ihn als Musiker so schätzenden Kürfürsten Maximilian II. Emanuel. Allerdings ist schon damals Politik ein kompliziertes Geschäft. Denn der bayerische Kurfürst residiert nicht mehr in München, sondern als Statthalter der Spanischen Niederlande in Brüssel. Bereits von 1689 an war Steffani, wiederum eher im Hintergrund, mit Politik und Diplomatie beauftragt. So verfasst er eine Denkschrift über die Verdienste von Herzog Ernst August für die katholische Konfession verfasst und dem Papst übersandt. Zudem korrespondiert er regemäßig mit römischen Kardinälen.

1692 wird Ernst-August die Kurwürde zugestanden – und damit das Recht den deutschen König zu wählen. Das Haus Braunschweig-Calenberg sollte zu den führenden Fürstentümern des Reichs aufsteigen. Doch die Verhandlungen um die endgültige Anerkennung der Kurfürs­tenwürde ziehen sich hin. Da kommt ein katholischer Abbé ins Spiel, der sich für die Sache eines protestantischen Hauses einsetzen soll – und gleichzeitig auch noch für das kulturell gewachsene welfische Hannover über seine Musik werben kann.

Steffanis Aufgaben, von 1696 an offizielle als „Envoyé extraordinaire am churbayerischen Hoffe, Bruxelles“, als außerordentlicher Gesandter und nicht mehr als Privatmann, waren klar umrissen: im katholischen Südwesten des Reiches und Europas für die Kurwürde werben: in Bay­ern und Köln, in Spanien und Portugal – und die Verbindungen in den Vatikan auszubauen.

In den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts zeigt sich, dass der spanische König keinen Thronerben hinterlassen würde. Dies führt zu einer diplomatischen Krise in Europa. Die Großmächte versuchten, ihre jeweiligen Kandidaten auf dem spanischen Thron durchzusetzen. Als keine Verhandlungslösung gefunden wird, kommt es 1701 zum Spanischen Erbfolgekrieg. Steffani soll auf Geheiß des deutschen Kaisers Leopold I. verhindern, dass Bayern sich auf die Seite Frankreichs schlägt. Eine Mission, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte.

Steffanis Wirken als Diplomat am kurbayerischen Hof endet. Doch in Hannover wird er nicht in den Dienst als Hofbeamter übernommen. So wechselt er nach Düsseldorf in die kurpfälzische Residenz, wird dort Geheimer Rat, Regierungspräsident und Universitätskurator.

Der Bischof

Der tief katholische pfälzische Kurfürst Johann Wilhelm fördert den Abbé weiter. Es ist wohl seinem Einfluss zu verdanken, dass Steffani überraschend schnell 1706 von Papst Clemens XI. zum Titularbischof von Spiga ernannt wird. Am 2. Januar 1707 weiht ihn der Mainzer Erzbischof Lothar Franz von Schönborn. Der Hirte des untergegangenen Bistums in Kleinasien steht zunächst vor einer diplomatischen Herausforderung. Er vermittelt bei Streitigkeiten zwischen Papst und deutschem Kaiser. Papst Gregor XI. dankt es Steffani mit der Ernennung zum Hausprälaten und Thronassistenten. Dann sendet der Papst Steffani nach Hannover – als Apostolischen Vikar für Ober- und Niedersachsen. Dieses Vikariat war unmittelbar vor der Übertragung an Steffani durch die Teilung des bisherigen Vikariats des Nordens neu geschaffen worden. Es umfasst die katholischen Missionen in den Ländern des Kurfürsten von Pfalz-Neuburg, des Marktgrafen von Brandenburg und des Herzogs von Braunschweig. Später folgt noch Sachsen.

Steffani ist zurück an seiner alten Wirkungsstätte, wo er als Musiker Erfolge gefeiert und als Diplomat Verdienste errungen hat. Doch seine neue Aufgabe ist ungleich schwieriger. Steffani möchte neue Missionen gründen. Doch gerät er immer wieder in Auseinandersetzungen mit dem Fürstenhof – zum Beispiel um ein Religionsstatut oder die Entlassung des Jesuitenordens. Auch streitet Steffani mit dem Offizialat des Bistums Hildesheim um die Verwaltungshoheit über die ehemalige Diözese Halberstadt. So bleibt sein Wirken zum einen auf die eher stillen Aufgaben eines Bischofs beschränkt – das Spenden der Firmung und von Weihen, angefangen bei der Tonsur von Ordensmännern über die Diakonats- bis zur Pries­terweihe von weltlichen Missionaren.

Zum anderen hinterlässt Steffani der Stadt Hannover ein sichtbares Zeichen  des wieder auflebenden Katholizismus: die Kirche St. Clemens. Für das Gotteshaus wird Steffani zum, wie er sich selbst bezeichnet, „berühmtesten infulierten Bettlerbischof des Jahrhunderts“. Denn er sammelt Geld, wo er nur kann. Infuliert meint übrigens, dass er als Bischof zum Tragen einer Mitra berechtigt ist. Der Kirchbau ist ein durchaus waghalsiges Unterfangen: Schließlich war nur knapp 120 Jahre zuvor den wenigen Katholiken in der Altstadt von Hannover das Wohnrecht entzogen worden. Und nur 44 Jahre zuvor, im Jahr 1665, war wieder ein katholischer Gottesdienst in Hannover gefeiert worden – am Hof von Herzog Johann Friedrich, der selbst katholisch geworden war. Aber das ist Geschichte. Trotzdem der Bau einer Kirche: 1711 begannen die Arbeiten. Der  Grundstein wird am 6. Juli 1712 gelegt.  Baumeister Tommaso Giusti entwirft einen Kuppelbau im venezianischen Barock. Nur für die Kuppel reicht das von Steffani gesammelte Geld nicht. Es bleibt bei einen Flachdach. Der venezianische Einfluss war aber unverkennbar – die „Italienerin an der Leine“ wurde am 4. November 1718 durch Steffani geweiht.
 


In der Kollegiatskirche St.
Bartholomäus erinnert heute
ein Marmorepitaph an
Steffani – gestiftet von den
Katholiken der Stadt Hannover.

Vier Jahre später, 1722, zieht sich Steffani zurück – ohne einen Nachfolger. Fortgesetzt kirchenpolitische, aber auch finanzielle Schwierigkeiten mögen dafür verantwortlich sein. Als Fürstbischof legt Steffani Wert auf einen großen Auftritt mit entsprechender Entourage. Doch ein für einen Weihbischof mit um die zehn Personen ungewöhnlich großer Hofstaat muss auch unterhalten werden. Dafür reichen Steffanis Pfründe nicht aus.

Die letzten Jahre

In König Vittorio Amadeo II. von Savoyen findet er einen neuen Gönner. Doch eine Berufung zum Rektor der Universität von Turin und damit einer gesicherten Versorgung scheitert.

Unterdessen übt die hannoversche Regierung Druck auf den Aopstolischen Nuntius aus: Sie will, dass Steffani als Vikar zurückkehrt. Auch die Missionskongregation des Vatikan lenkt ein. Steffani kommt 1725 wieder in Hannover an und wird mit Wirkung zum 27. Mai 1726 zum zweiten Male Apostolischer Vikar. In dieser Zeit komponiert er seine Spätwerke, darunter die „ Stabat Mater“ und wird in Abwesenheit zum Präsidenten der Londoner „Academy of Vocal Music“ gewählt. Doch bereits im Oktober 1727 verlässt der mittlerweile 73-Jährige wieder die Stadt an der Leine. Zur Jahreswende 1727/28 hält sich Steffani zumeist in Frankfurt auf. Dort stirbt er am 12. Februar 1728 infolge eines Schlaganfalls. Zwei Tage später wird er in der Kollegiatskirche St. Bartholomäus, dem sogenannten Kaiserdom, beigesetzt. Dort erinnert heute ein Marmorepitaph an ihn – gestiftet von den Katholiken der Stadt Hannover. Aus Dankbarkeit für die heutige Basilika St. Clemens.

Rüdiger Wala