Symphonie „Das Leiden der Unschuldigen“ des Neokatechumenalen Weges

Maria und der Holocaust

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„Das Leiden der Unschuldigen“ heißt eine Symphonie von Kiko Argüello, dem Mitbegründer des Neokatechumenalen Weges. Sie ist vor allem dem Gedenken an die Opfer der Schoah gewidmet. Jetzt wurde sie in Berlin aufgeführt.

„Das Leiden der Unschuldigen“ wurde in der Berliner Philharmonie aufgeführt. | Fotos: Andreas Stempel

 

Erzbischof Heiner Koch zeigte sich tief ergriffen: „Ich habe diese Musik als Erzbischof von Berlin gehört.“ In dieser Stadt hatte der Holocaust 1942 mit der Wannseekonferenz seinen Anfang genommen. 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und SS-Behörden beschlossen dabei die „Endlösung der Judenfrage“. „Wo waren damals die Christen, die Halt gerufen haben? Warum haben sie geschwiegen oder war ihre Stimme zumindest zu schwach?“, fragte der Erzbischof. Sechs Millionen Juden wurde in der Folge von den Nazis ermordet.
Die Musik, auf die sich der Erzbischof bezog, ist die Symphonie „Das Leiden der Unschuldigen“. Sie erinnert an das Leid der Juden während der Shoa. Komponiert hat sie der Spanier Kiko Argüello. Im Jahr 2011 erlebte sie bei Konzerten in Galiläa und vor Papst Benedikt XVI. im Vatikan ihre Uraufführung. Jetzt wurde sie zum ersten Mal in Berlin, in der dortigen Philharmonie, aufgeführt. Mit der Wahl Berlins als Ausgangsort der Schoah wollte der Komponist einen Beitrag zur christlich-jüdischen Versöhnung leisten.
 
Unschuldiges Leid stellt die existenzielle Frage nach Gott
Kiko Argüello, der 1964 die katholische Bewegung des Neokatechumenalen Weges mitbegründete, ist vielfältig künstlerisch engagiert. Er betätigt sich als Architekt und als Autor, malt Ikonen und komponiert. Den Anstoß für seine Symphonie „Das Leiden der Unschuldigen“ gaben Erfahrungen, die Argüello in den 1960er Jahren in einer Barackensiedlung vor den Toren Madrids gemacht hat: „Menschen liegen auf der Straße, sterben vor Kälte. Alleingelassene Kinder, die in schrecklichen Waisenhäusern untergebracht sind, dort Gewalt erfahren und missbraucht werden. Diese an Parkinson erkrankte Frau, die ich in diesem Viertel kennengelernt habe, wurde von ihrem Mann verlassen und bettelte um Almosen, ihr Sohn schlug sie mit dem Stock.“ Angesichts dessen stellte sich für Argüello die existenzielle Frage nach Gott.
Eine Frage, die auch Erzbischof Koch in seiner Ansprache nach der Aufführung der Symphonie aufgriff: „Wo war Gott während des Holocaust?“ Diese Frage sei die Bastion des heutigen Unglaubens. Koch erinnerte in seinem Antwortversuch daran, dass nach dem Karfreitag – dem Tag des Leidens und Sterbens – der Karsamstag kommt – der Tag des Schweigens und Aushaltens. Gott sei kein Gott des Mitleids, sondern er sei der „Gott, der gelitten hat, der mit in der Hölle ist. Hoffen wir, dass Gott da ist, wo nichts mehr zu hoffen ist. Ich bitte Sie, halten Sie diese kleine Hoffnung hoch“, hieß der Appell des Erzbischofs an die knapp 2300 Zuhörer in der Berliner Philharmonie.
Argüello, der bei der Aufführung in Berlin persönlich anwesend war und sein Werk erläuterte, beschreibt in seiner Symphonie das Leiden der Gottesmutter Maria angesichts des Todes ihres Sohnes am Kreuz. Das 30-minütige Stück besteht aus fünf Sätzen: Gethsemane, Klage, Vergib ihnen, Das Schwert – Shema Israel und Resurrexit.
Argüello: „Nach dem Grauen von Auschwitz wurde gesagt, dass es nicht mehr länger möglich sei, an Gott zu glauben. Nein! Das ist nicht wahr!“ Maria, deren Seele das Schwert des Schmerzes durchdringt, stehe stellvertretend für alle unschuldig Leidenden. Eine unvergleichliche Tragödie sei der Holocaust am jüdischen Volk. Argüello versteht seine Symphonie als ein musikalisches Geschenk an das jüdische Volk. So wie Maria angesichts des toten Sohnes das jüdische Glaubensbekenntnis „Shema Israel“ („Höre Israel!“) angestimmt hat, haben es viele jüdische Mütter getan, die ihre eigenen Kinder sterben sahen. Der vierte Satz der Symphonie mit dem Shema Israel gehört deshalb auch zu den eindrücklichsten Momenten der Aufführung. Der Dirigent wendet sich dabei an das Publikum, das in den vom Orchester begleiteten Gesang des Chores einstimmt.
 
Prozess der Annäherung zwischen Juden und Christen
„Diese Musik hat, bezogen auf das Leiden der Juden in der Schoah, einen Prozess der gegenseitigen Annäherung zwischen Juden und Christen in Gang gesetzt“, betonte Erzbischof Koch. Dies erfolge „ganz in Übereinstimmung mit der Entwicklung, die sich innerhalb der katholischen Kirche insgesamt seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollzieht“. Sichtbarer Ausdruck dessen war, dass neben hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche – darunter die Kardinäle Paul Josef Cordes (Rom) und Antonio Maria Rouco Varela (Madrid) – rund ein Dutzend Rabbiner die Aufführung miterlebten, ebenso wie Mitglieder ihrer Gemeinden. Stellvertretend für sie sagte Jehoschua Ahrens, Rabbiner in Darmstadt und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz in Deutschland: Diese Symphonie und die ihr zugrundeliegende Theologie seien „Ausdruck der Liebe und des Respektes uns Juden gegenüber“. Das sei ein Beispiel für den Dialog zwischen Christen und Juden auf Augenhöhe.
Aufgeführt wurde die Symphonie in Berlin von einem Chor und einem Orchester, deren 200 Mitglieder dem Neokatechumenalen Weg angehören. Die Leitung hatte der tschechische Dirigent Tomáš Hanus. Eingebettet war die Aufführung in eine liturgische Feier mit Schriftlesung und Gebet. Dabei kamen nicht nur Christen zu Wort. Der Leipziger Rabbiner Zsolt Balla sang des jüdische Totengebet „El Male Rahamin“ zum Gedenken an die Opfer des Holocaust.
Im Rahmen der Feier wurde ein Grußwort von Papst Franziskus verlesen. Darin mahnt er zum steten Gedenken an den Holocaust. „Nie darf die Erinnerung an die grauenvolle Gewalt, an das unsagbare Leid und die Vernichtung eines Volkes verstummen. Sie ist vielmehr eine stete Mahnung an uns alle, uns für die Versöhnung, das gegenseitige Verständnis und die Liebe gegenüber den ‚älteren Brüdern‘, den Juden, einzusetzen.“ Verwurzelt in der Tradition und inspiriert von den biblischen Klageliedern gedenke die Symphonie der vielen Opfer der Schoah, so der Papst.
 
Komponist Kiko Argüello ist Mitbegründer des Neokatechumenalen Weges.

 

Der Neokatechumenale Weg hat 1,5 Millionen Mitglieder
Der vor 50 Jahren gegründete Neokatechumenale Weg versteht sich als Prozess der Glaubensunterweisung. Der Vatikan erkannte die Statuten der Gemeinschaft nach einer fünfjährigen Erprobungsphase 2008 an. Papst Benedikt XVI. (2005–2013) appellierte wiederholt an die Neokatechumenalen, die Einheit mit den Bischöfen zu wahren, sich in Pfarreien einzugliedern und liturgische Normen zu beachten. Der Neokatechumenale Weg hat weltweit 1,5 Millionen Mitglieder. Er ist in 134 Nationen vertreten. Zudem unterhält die Gemeinschaft 120 Priesterseminare, eins davon in Berlin.
 
Von Matthias Holluba

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