Gehörlosenseelsorge

Mit Händen reden

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„Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.“ Das Evangelium lenkt den Blick auf Menschen, die nicht hören und sprechen können. Ein Besuch in einer Gehörlosengemeinde.

Foto: Kerstin Ostendorf
Pfarrer Matthias Köster nutzt im Gottesdienst die 
Gebärdensprache, Schwester Bernarde Wessels zeigt
im Hintergrund die Textstücke an. Foto: K. Ostendorf

Eine lange Kaffeetafel zieht sich durch den Raum. 15 Menschen sitzen hier, trinken Kaffee und Tee, essen Kirschkuchen und unterhalten sich. Und doch hört man kaum ein Wort. Mal ein Räuspern, das Klappern von Geschirr, mehr aber nicht. Die Männer und Frauen, die sich hier treffen, sind gehörlos oder schwerhörig. Sie sprechen mit ihren Händen, mit ihren Blicken und lesen von den Lippen ab. Ihre Finger wirbeln umher – für einen Laien kaum zu verstehen, für den geübten Gesprächspartner eine Leichtigkeit.

Seit 30 Jahren gibt es die katholische Gehörlosengemeinde St. Johann Osnabrück. Sie trifft sich wöchentlich in einem Gruppenraum bei der Kirche. Matthias Köster, der als Pfarrer eine Gemeinde im Umland betreut, ist jede Woche mit dabei. „Den Menschen hier ist es einfach wichtig, dass man sich trifft“, sagt er.


Gebärdensprache war sogar mal verboten

Das Evangelium an diesem Sonntag berichtet, wie Jesus einen Taubstummen heilt. Behinderte Menschen haben es zur Zeit Jesu nicht leicht: Sie werden ausgegrenzt und sind auf die Hilfe der Familie oder von Freunden angewiesen. Pfarrer Köster sagt, was auch Jesus schon wusste: „Zum Leben gehört Kommunikation. Dass man sich unterhalten und austauschen kann. Deswegen ist unser Treff hier immer sehr beliebt und wir sind der Pfarrgemeinde dankbar, dass wir die Räume hier nutzen dürfen.“

Für die Gehörlosen ersetzt diese Gruppe die klassische Pfarrgemeinde. Im normalen Gottesdienst können sie dem Pfarrer nur selten folgen. „Das muss dann schon ein Priester sein, der sehr gut und deutlich spricht. Dann kann man vielleicht von den Lippen ablesen“, sagt Rolf Haase, der zusammen mit seiner Frau regelmäßig samstags kommt. Er lobt, dass es in einigen Kirchen gute Höranlagen für Schwerhörige gibt, die Töne ohne Rauschen an das Hörgerät weiterleiten. Für die Gehörlosen ist das schwieriger. Nur selten wird die heilige Messe in Gebärden übersetzt.

„Wir haben manchmal Anfragen, zum Beispiel für Beerdigungen oder wenn die Erstkommunion gefeiert wird“, sagt Schwester Bernarde Wessels. Dann hilft sie gerne aus. Aber auch das ist nicht selbstverständlich. „Früher war die Gebärdensprache sogar verboten“, sagt die Ordensschwester, die seit 1961 in der Gehörlosenseelsorge arbeitet und diese Gruppe ins Leben gerufen hat. Bis in die 1970er Jahre hinein sollten Gehörlose in der Lage sein, alles von den Lippen abzulesen. „Das ist zu 100 Prozent gar nicht möglich und deswegen haben sie heimlich gebärdet. Danach ist erst die offizielle Gebärden-sprache entwickelt worden“, sagt Schwester Bernarde.

In einer Pfarrgemeinde fühlen sich die Gehörlosen leicht ausgegrenzt, denn viele Hörende scheuen den Kontakt. „Viele denken, dass man mit Gehörlosen nicht einfach plaudern kann“, sagt Pfarrer Köster. „Der kurze Plausch nach dem Gottesdienst vor der Kirche – da fühlen sich Gehörlose oder Schwerhörige schnell ausgeschlossen.“ Dabei müsse man es nur wagen. Und vieles könne man ja auch mit Hand und Fuß erklären.


Der Beamer sollte auf keinen Fall fehlen

Foto: Kerstin Ostendorf
Jeden Samstag versammeln sich Gehörlose zum Gottesdienst
in einem Gemeinderaum der Pfarrei St. Johann in Osnabrück.
Foto: Kerstin Ostendorf

Bei den Samstagstreffen sitzt die Gruppe nicht nur gemütlich zusammen, sondern feiert auch einen Gottesdienst. Einige Stuhlreihen stehen und ein einfacher Altar ist aufgebaut: die Kelche, ein schlichtes Holzkreuz, ein Blumenstrauß, Kerzen – und ein Beamer. „Der darf hier nicht fehlen“, sagt Köster. So können die Gehörlosen alle Texte an der Wand hinter dem Priester mitlesen.

Gesungen wird nicht, aber gebetet. Schwester Bernarde zeigt mit einem Lesestab an, welches Wort an der Reihe ist. Und Matthias Köster nutzt die lautbegleitende Gebärdensprache: Er redet und spricht zugleich in Gebärden. Zur Sicherheit hat er einen schmalen Ordner auf dem Altar liegen. „Wenn ich einmal nicht mehr weiterweiß, dann schaue ich kurz nach unten, welche Gebärde die richtige ist“, sagt er.

Fast immer kommen 15 bis 20 Leute, zu besonderen Anlässen können es auch 30 und mehr werden. Und einige nehmen weite Fahrtwege auf sich, sind fast eine Stunde mit dem Auto oder dem Zug unterwegs. „Bei uns ist es einfach eine nette Gemeinschaft“, sagt Köster und lacht.

Von Kerstin Ostendorf