China-Expertin über zunehmenden Druck auf Religionsgemeinschaften

"Mit oder ohne Olympia - der Druck ist hoch"

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Für das Gelingen der Olympischen Spiele in Peking hat die kommunistische Führung offenbar das ganze Riesenreich eingespannt. Inwieweit auch die kleine Minderheit der Katholiken betroffen ist, berichtet die Chefredakteurin der Zeitschrift "China heute", Katharina Wenzel-Teuber, im Interview.

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Die Welt schaut nach China: Am 4. Februar beginnen die olympischen Winterspiele in Peking. Foto: imago images/ITAR TASS 


Frau Wenzel-Teuber, China hat die Olympischen Spiele auch mit Blick auf innere Sicherheit und Außendarstellung offenbar akribisch vorbereitet. Wie wirkt sich das auf das Leben der Christen im Land aus?
Natürlich ist die Lage allgemein angespannt, wie vor allen Großereignissen; nicht zuletzt wegen der rigiden Null-Covid-Maßnahmen der Regierung. Das wirkt sich auch auf die Christen aus. Generell waren ja in der ganzen Pandemie religiöse Stätten oft länger vom Lockdown betroffen als viele andere Einrichtungen. Übrigens haben wir gehört, dass sich auch Katholiken als freiwillige Helfer bei der Vorbereitung und Durchführung der Spiele engagieren. Aus Präventionsgründen müssen sie sich isolieren und dürfen nicht nach Hause - ein enormer Einsatz angesichts des Chinesischen Neujahrsfestes, das jetzt in den Familien gefeiert wird.

Zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Mitte 2021 waren auch die Religionen gefordert. Hat es im Vorfeld der Olympischen Spiele ähnliche Anweisungen gegeben?
Ich habe keine Meldungen gesehen, dass Religionsgemeinschaften aufgefordert worden wären, die Olympischen Winterspiele zu unterstützen - von einer Mitwirkung bei der allgemeinen strengen Corona-Prävention abgesehen. Das war bei den Sommerspielen 2008 in Peking ganz anders. Da beteten im Vorfeld Vertreter aller Religionen öffentlich für das Gelingen.

Präsident Xi Jinping hat im Dezember eine programmatische Religionsrede gehalten - seine erste dieser Art seit 2016. Worum ging es ihm?
2016 hatte er betont, dass alle Religionen an der sogenannten Sinisierung festhalten müssen. Damit ist nicht nur Anpassung an die chinesische Kultur, sondern vor allem auch an den Sozialismus chinesischer Prägung gemeint. Mit dem Begriff wurden schon viele Behördenmaßnahmen begründet, etwa der Abriss "arabischer" Minarette von Moscheen zugunsten traditioneller chinesischer Architekturelemente. Jetzt hat Xi zusätzlich gefordert, dass sich alle Religionsanhänger mit Vaterland, Partei und Sozialismus "identifizieren" sollen. Das betrifft die innere Haltung und geht meiner Meinung nach über eine rein äußerliche Anpassung hinaus.

Betrifft das auch die Wissenschaft?
Ja, interessanterweise hat Xi diesmal auch von den Religionswissenschaftlern gesprochen. Sie sollen ideologisch und politisch gefestigt sein und an der marxistischen Religionssicht festhalten. Die Religionswissenschaften an staatlichen Forschungseinrichtungen in China haben ja die Rolle eines Think Tank für die Politik. Anscheinend haben manche Forscher aus Sicht der Partei zu große Sympathien für die von ihnen erforschten Religionen.

Foto: KIP Alpha & Omega
Katharina Wenzel-Teuber ist Chefredakteurin
der Zeitschrift "China heute". 
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Die nicht anerkannte Untergrundkirche ist Peking nach wie vor ein Dorn im Auge. So wird Untergrundbischof Cui Tai von Xuanhua (Zhangjiakou) immer wieder von den Behörden verschleppt. Ausgerechnet in Zhangjiakou findet jetzt unter anderem der Biathlon-Wettbewerb statt. Droht dieser Fall einen Schatten auf die Spiele zu werfen?
Mit oder ohne Olympia - in der Region um Zhangjiakou ist der Druck auf die katholische Untergrundkirche seit langem sehr hoch. Bischof Cui Tai wurde in den vergangenen Jahren von den Behörden zum chinesischen Neujahr oft für einige Tage freigelassen. Ob das auch dieses Jahr so ist, weiß ich leider nicht.

Aus westlicher Sicht ist kaum nachzuvollziehen, wie Chinas Katholiken den Drahtseilakt zwischen Repression und Gemeindeleben bewältigen. Wie schaffen die Menschen das?
Wenn wir auf das religiöse Leben in China schauen, dürfen wir nicht alles nur durch die politische Brille sehen. Chinas Katholiken sind flexibel und kreativ. Sie konzentrieren sich auf das, was - auch je nach politischen Rahmenbedingungen - möglich ist und nehmen den Auftrag der Evangelisierung sehr ernst. So haben manche Pfarreien 30 oder mehr Erwachsenentaufen im Jahr. Das spricht für Attraktivität und Glaubwürdigkeit. Katholiken setzen sich auch für die Allgemeinheit ein. Sie beteiligten sich etwa beim Corona-Ausbruch in Xi'an im Januar an Hilfsmaßnahmen und sind insgesamt karitativ tätig.

Das klingt sehr positiv.
Eine sehr schwerwiegende Einschränkung ist allerdings: Seit einigen Jahren verbieten die Behörden in weiten Teilen Chinas, dass Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren Kirchen betreten oder kirchlich organisierte Religionskurse besuchen. Das macht die Weitergabe des Glaubens zu einer großen Herausforderung.

Ab März will China neue Maßnahmen für die Verwaltung religiöser Informationsdienste im Internet einführen. Was bedeutet das konkret?
Ohne hier auf Details eingehen zu können: Diese Vorschriften sind sehr restriktiv. Künftig wird das Anbieten religiöser Informationen und Inhalte im Internet und in Sozialen Medien nur noch mit einer speziellen staatlichen Lizenz für religiöse Informationsdienste erlaubt sein. Bislang war das Internet für die Kirche und andere Religionsgemeinschaften eine Möglichkeit, in der Gesellschaft sichtbar zu werden und sich intern besser zu vernetzen. Es gibt viele religiöse Persönlichkeiten, die auf eigenen Blogs publiziert haben, christliche Gruppen auf WeChat usw. Hier kam es schon in den vergangenen Jahren zu immer mehr Einschränkungen. Nach den neuen Vorschriften haben alle Anbieter sechs Monate Zeit, die Lizenz zu beantragen. Danach wird man sehen, wie viel von der vielfältigen religiösen Landschaft im Internet noch übrig ist.

Sehen Sie Anzeichen, dass das vorläufige Abkommen von 2018 zwischen Peking und dem Vatikan zur Ernennung von Bischöfen im Oktober verlängert wird?
Schwer zu sagen. Im Moment ist es sehr still um die sino-vatikanischen Verhandlungen. Die bisherigen Erfolge des Abkommens sind begrenzt: Nur sechs neue Bischöfe wurden seither mit beidseitiger Zustimmung neu geweiht. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass 2018 etwa 40 Bischofssitze zu besetzen waren. Dass es keine illegitimen, päpstlich nicht anerkannten chinesischen Bischöfe mehr gibt, ist sicher gut für die chinesische Kirche. Ein Anliegen des Heiligen Stuhls war ja die Einheit. Aber der religionspolitische Druck hat enorm zugenommen, insbesondere die Zwangsmaßnahmen gegenüber Klerikern, Schwestern und Gemeinden im Untergrund. Die Behörden versuchen, das vorläufige Abkommen zu benutzen, um die Kirche im Untergrund auszuschalten.

kna