Papst besucht verrufene Hochhaussiedlung Corviale

Monster aus Beton

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Eine Fahrt an die Ränder: Papst Franziskus besucht die verrufene römische Hochhaussiedlung Corviale.

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Papst Franziskus wird die römische Hochhaussiedlung Corviale besuchen. Foto: kna


Ein Kilometer Beton, neun Stockwerke, ein niedrigerer Bau parallel, ein dritter Riegel schräg anschließend. Das ist Corviale. In den 70er-Jahren erdacht, galt die monströse Wohnmaschine im Südwesten Roms schon bei ihrer Teilfertigstellung in den 80ern als gescheitert. Am Sonntag besucht Papst Franziskus die Pfarrei. Und natürlich, ja, er kommt, weil Corviale Peripherie bedeutet und soziales Elend. Aber viele, die dort leben, leiden unter nichts so sehr wie dem schlechten Ruf ihres Stadtteils.

Der Clou im Konzept von Corviale, nämlich integrierte Versorgungseinrichtungen im Hauptbau, platzte gleich zu Beginn: Die vierte Etage, vorgesehen für Läden, Dienstleister und Behörden, wurde während der Bauphase besetzt und beherbergt bis heute illegale Wohnungen. Damit kippte die städtebauliche Idee einer Verbindung von Wohnen, Arbeiten und Orten sozialer Begegnung in ihr Gegenteil. Politik, Verwaltung, Baufirmen und Bewohner nährten seither die Missstände. "Alle bemühen sich, den Palazzo nicht funktionieren zu lassen", sagt Angelo Scamponi, Vizevorsitzender des Bewohnerkomitees.

Der Schulkomplex des Viertels ist seit acht Jahren wegen Renovierung geschlossen, ein Erzeugermarkt für Käse, Fleisch, Brot und Gemüse wurde vor geraumer Zeit wegen fehlender Genehmigungen dichtgemacht. Jetzt endlich sollen eine Postfiliale und eine Polizeiwache kommen. Nach 35 Jahren.

Wenigstens sorgte das Bistum dafür, dass es von Anfang an eine Kirche gab, einen lichtvollen Bau mit menschlichen Maßen. Zugleich aber spürte die Pfarrei das herbe soziale Klima. Während der Bauzeit mussten Gläubige Nachtwachen schieben, um eine Besetzung zu verhindern.

Ausgeprägt fromm ist Corviale noch heute nicht. Die "Mauer der Gleichgültigkeit" nennt Pfarrer Roberto Cassano seine größte Herausforderung. Corviale bedeutet soziale Segregation, auch unter Katholiken. Don Roberto hat ein Luftbild seiner Pfarrei im Büro hängen. Er tippt mit dem Finger auf Anwesen abseits des Hauptbaus. "Sehen Sie hier? Swimming-Pools. Große Gärten. Diese Leute kommen nicht hierher in den Gottesdienst." Sie besuchen lieber die Pfarrei der Besserverdienenden ein paar Hundert Meter weiter.

Und doch keimen immer wieder Hoffnungspflänzchen, buchstäblich etwa mit dem "Albergo delle piante", einem kommunalen Gärtchen, oder mit der Second-Hand-Werkstatt "piacca", in der unter anderem ehemalige Strafgefangene als Möbelrestauratoren arbeiten. Es gibt den Sportverein "Calcio sociale", der nebenher ein Bürgerradio betreibt. In der Stadtteilbibliothek treffen sich Schüler für Hausaufgaben und Senioren zum Zeitunglesen. Sie zieht sogar Nutzer aus betuchten Vierteln wie Monteverde an. Es gibt Gratisparkplätze für die SUVs. Kaum eine der Mitarbeiterinnen dieser Einrichtungen, der Bücherei oder der Tagesstätte für geistig Behinderte, stammt aus Corviale. Und sie bekennen, den furchterregenden Hauptbau zu meiden. Sie nennen ihn Serpentone, die große Schlange. Ein Misstrauen trennt selbst die Reihen derer, die das Leben besser machen sollen, von denen, die hier wohnen.

 

Corviale - nicht kriminell, aber im permanten Niedergang

Corviale ist nicht kriminell, betonen Alteingesessene. Es ist nur in permanentem Niedergang. Waren die 1.200 Wohnungen einmal von weit über 7.000 Personen bewohnt, sind es jetzt 5.500, sagt Scamponi vom Bewohnerkomitee. 1985 zog er mit seiner Familie hierher; die drei Kinder wurden Akademiker und leben jetzt woanders in Rom. Scamponi, 75, lebt jetzt allein mit seiner Frau. Ein typisches Corviale-Schicksal.

Es ist nicht nur die billige Miete, die sie hält. "Es ist auch die Schönheit", sagt Scamponi. "Die römische Campagna direkt vor dem Fenster, die gute Luft." Bis ins Zentrum sind es gerade einmal ein paar Kilometer. "Corviale ist keine extreme Peripherie", sagt Scamponi. Es hätte Potenzial, besäße nur die neue Generationen den Willen der Alten. "Wir hatten ein Zugehörigkeitsgefühl, wir haben für Verbesserungen gekämpft." Straßenblockaden errichteten sie, um Bushaltestellen durchzusetzen.

Ein Kämpfer auch Pater Giuseppe Cinotti. Er betreibt ein Kloster mitten im Serpentone, im berühmten vierten Stock, der Hausbesetzer-Etage. Keine Sorge, alles reguliert, sagt der weißhaarige Mittsiebziger mit einer sanften, schwebenden Stimme. Vor dem Tabernakel der kleinen Kapelle liegt eine Sandrose, ein Geschenk der Wüste. Doch Pater Giuseppe und sein Mitbruder Gabriele Petreni wählten den Serpentone nicht, um die Einsamkeit der Anonymität zu suchen, sondern um dagegen anzugehen.

"Es gibt hier alle Formen von Armut", sagt Pater Giuseppe, "wirtschaftlich, moralisch, in den Beziehungen." Am schlimmsten aber ist die Armut der Vereinsamten, derer, die sich in ihre Wohnungen mit dem "maledeiten Fernsehen" einschließen. Die stets offene Tür des Klosters in dem Monster aus Beton, in dem Klingelschilder keine Namen tragen und Bewohner aus Angst nicht aufmachen: In Corviale wirkt es wie eine Rebellion.

kna