Buchbesprechung
Mose, ein moderner Mensch
Pater Heiner Wilmer, der zukünftige Bischof von Hildesheim, hat gerade ein neues Buch herausgebracht „Hunger nach Freiheit“. In diesem Buch spürt der Ordensmann dem Befreier Israels aus der ägyptischen Gefangenschaft nach.
„Hunger nach Freiheit. Mose – Wüstenlektionen zum Aufbrechen“ ist kein theologisch wissenschaftliches Traktat, keine exegetische Abhandlung. Vielmehr ist es ein zutiefst menschliches Buch, das versucht, einen Blick auf die Person Mose, seine Gefühlswelt und in seine Seele zu werfen. Ein Befreiungswerk, wie Mose es getan hat, kann, so Heiner Wilmer, nur gelingen, wenn jemand einen unbändigen Hunger nach Freiheit hat und andere Menschen damit anstecken, dafür begeistern kann. Anstoß zu seiner Mose-Betrachtung waren die biblischen Texte der Karwoche. Der Auszug aus Ägypten, der Zug durchs Rote Meer, die Wüstenerfahrung – rückgekoppelt an die Geschichte des Mose. Ausgesetzt, von den Feinden erzogen, hat er doch seine Wurzeln wiedergefunden.
Doch der Mose, den Heiner Wilmer beschreibt, dem er nachspürt, ist keine Figur, die weit weg ist, sondern sie ist gefühlt sehr nah. Mose ist mit all seinen Facetten durchaus ein Beispiel für einen modernen Menschen.
Die aktuelle Nähe zu Mose entsteht durch die zum Teil sehr persönlichen Geschichten, die Pater Wilmer von sich selbst erzählt: Erfahrungen und Erlebnisse im afrikanischen Busch beim Besuch von Ordensbrüdern, Rückblicke in seine Kindheit und Schulzeit – als Schüler, aber auch als Lehrer und Schulleiter.
Immer wieder findet Wilmer neue Ansatzpunkte um über Mose nachzudenken – und sei es nur bei der Erinnerung an ein Zeltlager, als er mit Freunden den Lagerteilnehmern beim traditionellen nächtlichen Überfall jeweils einen Schuh gemopst hat. Sein Resumee – auch in Bezug auf Mose: Wer keine Schuhe hat, ist gehemmt, kann nicht die Verfolgung aufnehmen, ist an seinen Platz gebunden, so wie Mose, als Gott ihm beim brennenden Dornbusch befiehlt, seine Schuhe auszuziehen, stehenzubleiben, abzuwarten und auszuhalten.
Viele Begebenheiten, die Pater Wilmer aufzeigt, hat jeder in irgendeiner Weise schon einmal selbst erlebt, dabei wahrscheinlich aber nicht an Mose gedacht. Wilmer zeigt uns nicht den charismatischen Befreiungshelden, sondern den Menschen Mose mit seinen Zweifeln, Sorgen, seinem Hadern mit Gott und seiner unverbrüchlichen Treue zu ihm.
Doch nicht nur der Mose – wie ihn Wilmer zeigt – hat mich beim Lesen des Buches „Hunger nach Freiheit“ in seinen Bann gezogen, sondern auch die zweite Hauptfigur – Pater Heiner Wilmer selbst. Es hat mich fasziniert und angerührt, wie er über die gleichen oder ähnlichen Erfahrungen spricht, die Mose erlebt hat. Dabei lässt er mich, den Leser, an seinem Leben teilhaben – mit seinen Schwächen, Fehlern und Stärken. Und mir wurde beim Lesen klar, auch in meinem Leben, in meinem Alltag gibt es ähnliche Elemente: Wüstenerfahrungen, Zweifel und Ängste, Aufbrüche und Hoffnungen, Fremdheit und Geborgenheit, Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen – und mit Gott.
Es fiel mir schwer, das Buch „Hunger nach Freiheit“ zwischendurch einmal zur Seite zu legen und es nicht in einem Zug durchzulesen.
Edmund Deppe