Winterakademie 2018 in Schmochtitz
Müsste Josua heute vor ein Kriegsgericht?
„Suche Frieden“ hieß das Thema der Winterakademie im Bischof-Benno-Haus Schmochtitz in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Ein Thema dabei: Gewalt in der Bibel.
Der Alttestamentler Thomas Elßner (Koblenz) hat den kirchlichem Umgang mit den von Gewalt handelnden Texten im Alten Testament kritisiert: „Da werden schwierige Dinge einfach umschifft“, sagte er bei der traditionellen Winterakademie im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz. Elßner sprach von einem „theologischen Sündenfall“, wenn es heiße: Das Alte Testament sei nicht so wichtig wie das Neue Testament und vielleicht noch die Psalmen. „Damit wird die eine Bibel zweigeteilt.“
Das spiegele sich zum Beispiel auch in den Sonntagsgottesdiensten wieder, wo „aus pastoralen Gründen“ eine – nämlich meist die alttestamentliche Lesung – weggelassen werden. Zu den davon besonders betroffenen Bibelstellen gehören jene, in denen von Gewalt die Rede ist, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Landnahme Israels in Kanaan nach dem Exodus aus Ägypten und der Wüstenwanderung.
Historisch-archäologisch keine Belege
„Wann haben Sie das letzte Mal eine Predigt über das Buch Josua gehört?“, fragte Elßner in die Runde. In dieser auf die fünf Bücher Mose folgenden Schrift wird die Eroberung Kanaans durch Israel unter Josua geschildert. In der sogenannten Völkervernichtungsweihe heißt es, dass wenn Israel in Kanaan einzieht die Vorbewohner zu vernichten (Gott zu opfern) sind. Im Auftrag Gottes seien auch die Frauen und Kinder zu töten. „Wenn Josua heute leben würde, müsste man ihn vor das Kriegsgericht in Den Haag stellen.“
Nun ist aber die wissenschaftliche Forschung zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen: „Es gibt historisch-archäologisch keine Belege für die im Buch Josua geschilderte Landnahme Kanaans durch die Israeliten“, so Elßner. Auch die geschilderte Eroberung von Jericho und Ai kann historisch so nicht stattgefunden haben, da beide Städte zu jener Zeit in Trümmern lagen. Dass die im Buch Josua geschilderten Ereignisse historisch sind, wird von der heutigen Bibelwissenschaft nicht mehr vertreten.
Wie hat die Landnahme Israels in Kanaan aber dann stattgefunden? Einige Wissenschaftler vertreten heute noch das Modell der Infiltration: Israel bestand aus nomadischen Gruppen, die sich friedlich in den Nischen Kanaans angesiedelt haben. Elßner lehnt diese Theorie allerdings ab: Erstens werden Nomanden selten sesshaft und zweitens gibt es keine archäologischen Belege für das Entstehen einer neuen Kultur. Auch für die These, dass es sich bei Israel um eine gesellschaftliche Außenseitengruppe gehandelt hat, die sich in einer Art Revolution gegen ihre Herren erhoben hätten, gibt es laut Elßner keine Belege.
Bleibt als letzte Erklärung das Evolutionsmodell: In einer Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs der spätbronzezeitlichen Städte suchten die Bauern und Hirten (Israel) eine neue wirtschaftliche Existenz. Israel ist dann nicht von außen nach Kanaan gekommen, sondern hat sich in und aus Kanaan heraus selbst entwickelt.
Warum aber schildert das Buch Josua die Landnahme als gewaltvollen militärischen Prozess? Ist dieser Gott, der in blutigen Schlachten voranzieht, der Gott Jesu Christi? Wie können Christen das Buch theologisch deuten? Theologen aller Jahrhunderte haben darauf Antworten gesucht. Origines (185–254) etwa hat versucht das Buch Josua allegorisch zu verstehen: Die geschilderten Zustände sind Prozesse der Seele. Das verheißene Land ist das himmlische Vaterland, die Jordandurchquerung die Taufe. Die Stadt der Seele muss vom König der Sünde radikal befreit werden. Andere Theologen liefern eine zeitgeschichtliche Erklärung: Zur Entstehungszeit des Buches Josua leidet Israel unter den Assyrern und ihren Kriegszügen. Das Buch soll dem Volk Mut machen: Wir waren auch einmal ein mächtiges Volk. Wieder andere sprechen vom Buch Josua als einem theologischen Märchen: Das Böse (die Kanaaniter) wird am Ende (grausam) besiegt.
Gott macht seinem Volk Kanaan zum Geschenk
Für Thomas Elßner ist das theologische Hauptthema des Buches Josua nicht die Landnahme durch Israel, sondern die Landgabe durch Jahwe an sein Volk. Das Land Kanaan ist sein Geschenk. Israel muss deshalb auch von außen kommen. Hätten sie das Land schon bewohnt, hätten sie es nicht als Geschenk erhalten können. Die geschilderten Kriegsdarstellungen sollen die Macht Jahwes zeigen, der gegen alle Widerstände seinem Volk das Land gibt. Auch wenn das eine für Christen nachvollziehbare Erklärung ist – die Theologie der Landgabe wird immer einen problematischen Aspekt behalten, so das Fazit von Thomas Elßner.
Von Matthias Holluba