Zahlungen an Missbrauchsbetroffene

Muss die Kirche mehr zahlen?

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Der Schattenriss eines Mannes mit einem Kreuz an einer grauen Wand
Nachweis

Foto: kna/Harald Oppitz

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Der Schatten des Missbrauchs lastet schwer auf den Betroffenen – oft viele Jahre lang.

Missbrauchsbetroffene halten die Zahlungen der katholischen Kirche in Anerkennung des Leids für zu gering. Ein Schmerzensgeldurteil in Köln bestärkt sie in der Hoffnung, dass es künftig höhere Summen geben könnte.

Noch nie hat ein staatliches Gericht einem Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche so viel Schmerzensgeld zugesprochen wie Georg Menne. Der 64-jährige frühere Messdiener soll nach einem Urteil des Kölner Landgerichts von voriger Woche 300.000 Euro bekommen.

Das ist weit weniger als die geforderten 725.000 Euro plus 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden, aber weit mehr als die von der Kirche bisher ausbezahlten 25.000 Euro in Anerkennung des Leids. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, hat aber bereits eine Debatte über das von den Bischöfen etablierte System der Zahlungen an Missbrauchsbetroffene ausgelöst.

Voraussetzung für den Erfolg vor Gericht war, dass das Erzbistum Köln darauf verzichtete, Verjährung zu beanspruchen. Zudem bestritt es nicht die Darlegung des Klägers, 320-mal von einem Priester missbraucht worden zu sein. Vorwürfe gegen den Geistlichen wurden dem Erzbistum schon 1980 sowie 2010 bekannt. Er konnte dennoch viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten, weshalb der Betroffene der Erzdiözese Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vorwirft.

Betroffenenvertreter: Kirche muss deutlich mehr zahlen als bisher

Vertreter von Betroffenen begrüßten das Urteil. Der Sprecher der Gruppe „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, sagte, die Kirche habe seit mehr als einem Jahrzehnt die Opfer „mit symbolischen Zahlungen ruhiggestellt“. Nun müsse sie angemessene Entschädigungen zahlen. Für den Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, hat das Gericht vorgegeben, dass die Kirche an Betroffene deutlich mehr zahlen müsse als bisher. Über die Hälfte der kirchlichen Anerkennungszahlungen lägen bei 25.000 Euro und weniger: „Damit muss eigentlich Schluss sein nach dem Kölner Urteil.“

Auch die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, forderte, das System der kirchlichen Anerkennungszahlungen anzupassen. Zugleich betonte sie, dass durch das Urteil das von der Bischofskonferenz eingerichtete Verfahren keinesfalls überflüssig geworden sei. Denn vor Gericht müssten Betroffene im Zweifel den sexuellen Missbrauch konkret nachweisen – mit öffentlichem Verfahren und möglicherweise hohen Anwalts- und Prozesskosten. Im kirchlichen Verfahren genügt es in der Regel, dass die geltend gemachten Angaben plausibel sind.

Der Beirat von Betroffenen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln fordert von der Kirche, den Rahmen für ihre Anerkennungsleistungen auszuweiten – auf 10.000 bis 400.000 Euro. Die Obergrenze knüpft an einen Vorschlag an, den eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz 2019 unterbreitet hatte. Ihr gehörten auch Betroffenenvertreter an. Die Bischöfe nahmen den Vorschlag, der Milliardenausgaben bedeuten könnte, nicht auf und riefen stattdessen die UKA ins Leben, die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen.

Diözesen könnten in Bedrängnis geraten

Diese entscheidet seit 2021 über die Höhe der kirchlichen Zahlungen an Betroffene. Sie orientiert sich „am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder“. In den ersten zwei Jahren erhielten Betroffene im Mittel 22 000 Euro pro Antrag. Nach dem Kölner Urteil zeigte sich die Kommission offen dafür, die Zahlungen zu überprüfen.

Der Richterspruch dürfte andere Betroffene ermutigen, Schadensersatz einzuklagen. Das könnte die Bistumsfinanzen schwer belasten und besonders finanzklamme kleinere Diözesen in Bedrängnis bringen. In Fällen von Verjährung müssen sie entscheiden, ob sie diese beanspruchen oder nicht. Eine Fragestellung mit finanzieller wie moralischer Dimension.

kna