Fridays-for-Future-Aktivistin über Glaube und Klimaschutz
Neubauer: Kirchen können mehr tun
Sie ist das bekannteste deutsche Gesicht von Fridays for Future – und christlich geprägt. Im Interview spricht Luisa Neubauer über vorbildliche Gemeinden, Gottesdienste als Form des Protests und die Frage, warum kirchliche Institutionen beim Klimaschutz noch besser werden müssen.
Sie haben in Ihrer Kirchengemeinde begonnen, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Welche Rolle spielen Ihre christlichen Wurzeln für Sie als Klimaaktivistin heute noch?
Durch meine Arbeit als Jugendleiterin in meiner Kirchengemeinde habe ich früh Erfahrungen damit gemacht, welchen Unterschied Gemeinschaften machen können, wenn sie zusammenhalten und gemeinsame Ziele verfolgen. Diese Erfahrung, als Teil einer Gruppe etwas bewirken zu können, hat mich schon geprägt. Wir wissen, dass wir die Klimakrise nur gemeinsam bewältigen können. Da hilft es, wenn man erfahren hat, wie bewegend Gemeinschaften sein können.
Mittlerweile heißt es oft, als Christin oder Christ könne man ja gar nicht anders, als sich für den Klimaschutz einzusetzen. Wie sehen Sie das?
Das würde ich so nicht sagen, schließlich ist eine der größten Parteien Deutschlands eine, die das C zwar im Namen hat, aber ununterbrochen demonstriert, dass das zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können: sich als christlich zu bezeichnen – und im Sinne des Klimaschutzes zu handeln. Ich glaube aber, Christin oder Christ zu sein – oder auch in anderen Formen zu glauben – kann zusätzliche Türen zu dem Gedanken öffnen, dass wir hier etwas Großartiges und Schützenswertes zu verlieren haben – und teilweise schon verloren haben. Jedes Jahr sterben bis zu 2000 Arten aus, die Zukunftsperspektiven für junge Generationen werden immer schlechter. Wir sind gefragt, alles, was in unserer Macht steht, dafür zu tun, um unvorstellbare humanitäre, ökonomische und ökologische Katastrophen zu verhindern. Soweit es noch geht.
Inwiefern hilft dabei der Glaube?
Im christlichen Glauben beispielsweise wird viel Anleitung und Hilfestellung dazu gegeben, mit welcher Haltung man sich der Schöpfung zuwenden könnte. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir die Klimakrise nicht des Klimas, sondern der Menschheit wegen aufhalten müssen. Das Klima hat keine Krise. Wir Menschen haben eine Krise. Denn wir haben das, wovon wir abhängen, so zugerichtet, dass wir uns nun Existenzfragen stellen müssen. Wir brauchen also nicht nur ein Bewusstsein dafür, dass wir jetzt schnell Emissionen reduzieren müssen. Es braucht auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit unserem Selbstbild: Wer sind wir in der Welt? Was machen wir aus ihr? Bei all dem kann ein christlicher Glaube in meinen Augen durchaus helfen, wenn man sich darauf einlassen möchte.
Luisa Neubauer
Luisa Neubauer (25) ist eine der Hauptorganisatorinnen der Schulstreiks der Klimaschutzbewegung Fridays for Future in Deutschland. Anfang 2019 organisierte sie die ersten Klimastreiks in Deutschland. Neubauer stammt aus Hamburg und studierte Geografie in Göttingen und London. Als Vertreterin von Fridays for Future verklagte sie 2020 mit anderen Umweltschutzorganisationen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied im Mai dieses Jahres, dass das aktuelle Klimaschutzgesetz verfassungswidrig ist.
Was entgegnen Sie Christen, die die Klimakrise leugnen oder infrage stellen, dass wir sie bekämpfen müssen?
Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem man die Klimakrise nicht mehr rhetorisch leugnet, sondern praktisch: Man erklärt sich zum Pariser Klimaabkommen, während man Kohlekraftwerke baut, Gaspipelines verlegt und Wälder rodet. Letztendlich verhalten sich einige politische Parteien dadurch so, als gäbe es die Klimakrise nur auf Papier, nicht aber in der wirklichen Welt. Stattdessen wurde in den vergangenen Jahren Klimaschutz systematisch boykottiert, indem etwa der Kohleausstieg verzögert wurde, Grenzwerte für Abgase heruntergehandelt und der Windausbau blockiert wurde. Dadurch hat die Politik die Klimakrise weiter befeuert.
Wen meinen Sie damit konkret?
Ich erlebe es in meiner Arbeit ununterbrochen, dass Menschen, die sich zumindest formell nah genug am Christentum sehen, um in eine christliche Partei einzutreten, demonstrativ die Klimakrise vorantreiben und durch ihr Handeln implizieren, es sei alles nicht so schlimm. Dazu kommt eine nächste, beunruhigende Dimension der wirtschaftlichen Verstrickungen: So wie beim ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU), der den Kohleausstieg mitverhandelt hat und später Aufsichtsratsvorsitzender bei einem Kohlekonzern geworden ist.
Wie reagieren Sie darauf, dass Politiker entgegen ihrer christlichen Werte handeln?
Wir versuchen, uns dem entgegenzustellen. Das Schöne dabei ist, dass wir das nicht alleine machen, sondern dass sich sehr viele christliche Gemeinden, aber auch andere religiöse Institutionen für Klimagerechtigkeit aussprechen und demonstrieren, dass es anders gehen kann.
Mittlerweile haben sich zahlreiche Untergruppen zu Fridays for Future gebildet, darunter die christlichen Initiativen Churches for Future und Christians for Future. Wie relevant sind sie für die Klimaschutzbewegung?
Unfassbar wichtig! Das sollte man nicht unterschätzen. Für uns als Klimaschutzbewegung ist es einerseits wichtig, Konflikte auszutragen – etwa mit der Politik. Gleichzeitig müssen wir Verbündete suchen und Allianzen schmieden. Um Menschen zu motivieren, müssen wir verschiedene Zugänge finden.
Wie meinen Sie das?
Wir jungen Aktivistinnen und Aktivisten bei Fridays for Future werden Menschen, die spirituell interessiert oder christlich engagiert sind, nicht alleine davon überzeugen können, sich der Sache anzuschließen. Eine Gemeinde, die sich für den Klimaschutz engagiert, kann eine andere Gemeinde viel besser als wir dazu motivieren, es ihr gleichzutun. Diese Gemeinde überzeugt dann wiederum andere Gemeinden, man ist selbst ein Vorbild für den Nächsten. So ist aus einer einzelnen Gemeinde, die etwas verändern will, eine Bewegung entstanden. Churches for Future haben sich mittlerweile Dutzende christliche Institutionen angeschlossen. Wir kooperieren aber auch mit anderen religiösen Institutionen, wie etwa der Muslimischen Jugend.
Wie könnten die Initiativen innerhalb der Kirche mehr Unterstützer und Relevanz gewinnen?
Man hört ja oft, dass alle nur noch über das Klima reden würden – aber ich glaube, man unterschätzt immer noch sehr, wie extrem niedrig der tatsächliche Grad an Bewusstsein ist. Bei vielen Menschen ist mittlerweile zwar die Botschaft angekommen, dass etwas mit dem Klima nicht stimmt. Aber die wenigsten Menschen haben das Gefühl, dass es auf sie persönlich ankommt und dass sie persönlich einen Beitrag leisten können. Deswegen ist es sehr entscheidend, dass auch die Mitglieder der deutschen Kirchen anfangen, sich diesem Thema selbstbewusster und lauter zu stellen.
Wie genau sollen sie das tun?
Das wissen engagierte Menschen innerhalb der Kirchen natürlich viel besser als ich. Mein Eindruck ist: Sie könnten ihre Bühnen und Plattformen dafür nutzen, andere zu informieren und sie dazu einladen, sich anzuschließen. Gleichzeitig müssen sie in meinen Augen aber auch mutiger auf das hinweisen, was schiefläuft: dass christliche Institutionen in diesem Land zum Beispiel immer noch Anteile an fossilen Konzernen haben und selbst keine Pläne haben, klimaneutral zu werden. Das ist für mich ein eklatanter Widerspruch, dem sich viele kirchliche Akteure noch stellen werden müssen.
Viele katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen haben aber auch Klimaschutzmanager eingestellt oder setzen auf E-Autos. Wie glaubwürdig ist der Klimaschutz der Kirchen Ihrer Meinung nach?
Ich wäre sehr vorsichtig, pauschal von „den Kirchen“ zu sprechen. Wir sehen an vielen Orten, dass Gemeinden anfangen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Das ist großartig. Gleichzeitig müssen sie aber auch den Anstoß für eine ehrliche Selbstreflexion geben. Wenn die Kirchen sich nicht selbst hinterfragen, werden es andere tun. Es passiert ja schon, dass sich Kampagnen gegen Bistümer richten. Da wäre es eine gute Gelegenheit zu sagen: Wir stellen uns der Sache selbstständig und beweisen, dass wir es ernst meinen.
Sie meinen die Kampagne gegen das Bistum Aachen? Damit der Konzern RWE im Rheinischen Braunkohlerevier mehr Kohle fördern kann, sollen dort Dörfer und Kirchengebäude abgerissen werden. Das Bistum Aachen hat dem Verkauf der Kirchen zugestimmt.
Die Kirchen sind gefragt, Verstrickungen wie diese zu beenden und sich den betroffenen Menschen zuzuwenden. Drei rheinländische Kirchengebäude sollen noch für die Braunkohleförderung abgerissen werden. Verantwortet durch den gläubigen Katholiken Armin Laschet – Stichwort Widersprüche. Wir bräuchten so dringend eine Kirche, die für den Erhalt dieser Gebäude kämpft – und nicht angesichts der politisch anvisierten Klima-, Dorf- und Kirchenzerstörung klein beigibt. Umso wichtiger ist es, dass sich Gemeinden jetzt zusammenschließen und dagegen protestieren – was ja teilweise auch schon passiert. Aber die Menschen vor Ort brauchen noch mehr Unterstützer.
Im Rheinischen Braunkohlerevier gibt es die christliche Initiative „Kirche(n) im Dorf lassen“, die für den Erhalt der Gebäude kämpft. Sie setzt auf Gottesdienste als Protestform, während sich andere Aktivisten an Bagger ketten oder Straßen blockieren. Sind christliche Klimaaktivisten zu brav?
Widerstand ist nur dann erfolgreich, wenn er vielfältig ist. Auch ein Gebet oder ein demonstrativer Gottesdienst kann sehr effektiv sein. Ich habe schon an Gottesdiensten vor Kirchen, die zum Abriss freigegeben wurden, teilgenommen und erlebt, dass diese Feiern ein wichtiger Teil des Widerstands sein können – genauso, wie wenn man zivilen Ungehorsam betreibt oder auf den Straßen zum Klimastreik aufruft.
Warum funktionieren Gottesdienste als Protestform?
Bei dem Gottesdienst, den ich besucht habe, war die Kirche schon halb abgerissen, die Polizei hatte sich um uns aufgestellt, das Dorf war kurz davor, von den Braunkohlebaggern zerfressen zu werden. Dieser Moment war mächtig. Da kam eine Gemeinschaft zusammen und hat gezeigt: Wir lassen uns das hier nicht wegnehmen! In einem anderen Dorf habe ich erlebt, dass Bewohner und Bewohnerinnen in eine Kirche gegangen sind, die längst hätte gesperrt werden sollen. Sie haben sich geweigert, die Kirche zu verlassen, und haben stattdessen stundenlang einen Kanon gesungen. Das hat letztendlich dazu geführt, dass die Räumung hinausgezögert wurde. Da passiert vor Ort also schon sehr viel – und trotzdem ist noch viel Luft nach oben. Wichtig wäre vor allem, dass die Kirche als Institution ihre Stimme findet und einzelne Gemeinden vor Ort nicht alleine lässt.
Wie sehr sollten sich die Kirchen beim Klimaschutz ins politische Tagesgeschehen einmischen?
Ich würde die Klimakrise nicht als politisches Tagesgeschehen bezeichnen. Wir sprechen von einer Krise sämtlicher Lebensgrundlagen, von einer Krise der Schöpfung. Da spielt Politik eine große Rolle – aber es ist viel mehr als das. Wir alle sind gefragt – aber diejenigen mit einer lauteren Stimme, mehr Geld und einer größeren Reichweite mehr als andere. Die Kirchen haben jeden Grund, sich dafür einzusetzen, dass die Schöpfung bewahrt bleibt. Und sie haben unglaublich viele Gelegenheiten, das zum Ausdruck zu bringen. Darauf kommt es an.
Fridays for Future
Fridays for Future ist eine weltweite Initiative von Schülern und Studierenden die sich für umfassende Klimaschutzmaßnahmen einsetzen, um das auf der Weltklimakonferenz in Paris beschlossene 1,5-Grad-Ziel der Vereinten Nationen noch einhalten zu können. Nach dem Vorbild der schwedischen Initiatorin Greta Thunberg gehen Schülerinnen und Schüler freitags auf die Straße und protestieren. Aufgrund der Corona-Pandemie setzt Fridays for Future zurzeit vor allem auf Online-Aktionen. Laut Angaben der Organisation hat die Bewegung in Deutschland mittlerweile 360 Ortsgruppen. Zu den Demonstrationen kommen teilweise mehrere 100 000 Menschen.
Aktuell gibt es zwei christliche Untergruppen von Fridays for Future: Churches for Future und Christians for Future. Im Bündnis Churches for Future haben sich kirchliche Einrichtungen und Organisationen zusammengeschlossen, um sich mit den Anliegen von Fridays for Future zu solidarisieren. Die Initiative Christians for Future richtet sich dagegen vor allem an Christinnen und Christen, die sich der Klimaschutzbewegung als Einzelpersonen anschließen wollen.
Die gesellschaftliche Relevanz der Kirchen nimmt zwar ab, trotzdem haben sie immer noch Millionen Mitglieder und können eine Plattform für Klimaschutzthemen bieten. Was könnten sie besser machen?
Auch hier möchte ich betonen, dass diese Fragen unbedingt auch an Menschen gerichtet werden sollten, die schon heute innerhalb dieser Institutionen für Klimagerechtigkeit kämpfen. Das Papstschreiben Laudato si’ hat zum Beispiel ganz wichtige Beiträge geleistet und ist auch in Deutschland gut angekommen. Ich sehe, dass sich innerhalb der Institutionen schon viel bewegt. Es gibt so viele klimamotivierte Christinnen und Christen in diesem Land, die sich schon seit langer Zeit für den Klimaschutz einsetzen, Bescheid wissen und überlegen, was man noch tun könnte. Auf sie sollten die Kirchen hören – vor allem aber sollten sie sich durch sie bestärkt fühlen.
Als Sie Anfang des Jahres eine Fastenpredigt im Berliner Dom hielten, wurde das in konservativen und rechten Kreisen kritisiert – weil dort einige der Meinung sind, dass sich die Kirchen zu sehr dem Aktivismus verschrieben. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie dafür angegriffen werden, in einer Kirche aufzutreten?
Ich werde für alles angegriffen, was ich mache. Für den Kaffee, den ich trinke, für das Fahrrad, das ich fahre. Da ist es kein Wunder, dass ich auch angegriffen werde, wenn ich an so einem besonderen Ort eine Rede halte. Im Zweifel motiviert mich das dann eher, doppelt so schöne Worte zu finden.
Was entgegnen Sie, wenn man Ihnen vorhält, Klimaschutz sei eine grüne Ersatzreligion?
Dass das eine sehr bequeme Sichtweise auf die größte Krise der Menschheit ist. Wenn man sich selbst aus der Verantwortung ziehen will, kann man das so sehen. Aber letztendlich wissen wir ja, dass es sowohl gesellschaftlich als auch politisch als auch physikalisch anders ist.
Der Kirche und Fridays for Future wird in Bezug auf die Klimakrise zuweilen vorgeworfen, Moralapostel zu sein. Wie sehen Sie das?
Man muss das, was Fridays for Future sagt, nicht gut finden und man muss uns auch als Bewegung nicht gut finden. Meinetwegen können uns die Menschen total blöd, nervig und moralistisch finden – solange sie das nicht als Entschuldigung nutzen, sich dem Kampf gegen die Klimakrise zu verwehren. Gott sei Dank gibt es mittlerweile so viele verschiedene Initiativen in Deutschland, die zeigen, dass alle die Möglichkeit haben, sich einzubringen – egal woher sie kommen und an wen oder wie sie glauben. Gleichzeitig sind immer weniger Menschen damit beschäftigt, Ausreden zu suchen. Sie entscheiden sich dafür, nicht länger zuzugucken, wie die Zukunft ihrer Kinder und Enkel gefährdet wird, und fangen an, der Krise mutig zu begegnen, anstatt sie zu leugnen und kleinzureden.
In einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung „Die Zeit“ haben Sie einmal geschrieben, dass Sie als Christin in Bezug auf die Klimakrise noch Hoffnung haben. Verlässt Sie diese Hoffnung auch mal?
Es gibt natürlich immer wieder Momente, in denen ich weniger zuversichtlich in die Welt blicke. Aber sie sind nicht von langer Dauer, sondern werden schnell davon vertrieben, dass Menschen irgendwo zusammenkommen und loslegen.
Interview: Sandra Röseler