Friedhofsmuseum in Hannover

Nichts soll vergessen werden

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Friedhöfe sind ein Ort der Trauer und der Erinnerungen. Aber was passiert dort eigentlich? Diese und viele andere Fragen beantwortet ein Museum auf dem Seelhorster Friedhof in Hannover. Eine kleine Schatzkammer, die am Sonntag zu besichtigen ist.


Ein paar eiserne Grabkreuze und ein Engel waren vor
15 Jahren der Grundstock für das Friedhofsmuseum Hannover.

Über uns, in der Kapelle, stimmt die kleine Gemeinde verhalten das letzte Lied für den Verstorbenen an. „So nimm denn meine Hände …“. Hier unten aber, im alten Krematorium, herrscht seit zwei Jahren Grabesruhe. Leider, bedauert Cordula Wächtler, denn wo früher die Särge mit den sterblichen Überresten per rumpelndem Lastenaufzug herabgelassen und dann von den Mitarbeitern in den Verbrennungsofen aus roten Backsteinen geschoben wurden, ist Hannovers Friedhofsmuseum untergebracht. Erst ein Wasserschaden, dann Corona – statt der tausend Besucher jährlich ist Flaute. Nur zu besonderen Anlässen (siehe Kas­ten „Zur Sache“) ist derzeit Gelegenheit, die Ausstellung auf rund 300 Quadratmetern in den fensterlosen Räumen zu besichtigen.

Zwischen den Gräbern fuhr das erste Elektro-Auto

Arbeitsgeräte und Särge, aus Eisen geschmiedete Kreuze und historische Unterlagen, Fotos, Modelle, Bestattungsriten aus allen Weltreligionen – zu allem kann Cordula Wächtler, Chefin der hannverschen Friedhöfe, Geschichten erzählen. Kein Wunder, denn sie und einige Kollegen haben das alles nach und nach zusammengetragen. Weil kein Geld für ein museumspädagogisches Konzept vorhanden war, wirkt das Museum bunt zusammengewürfelt. Aber gerade das macht den Reiz der Sammlung aus. „Hier zeigen wir den Besuchern, wie ein Friedhof funktioniert“, sagt Cordula Wächtler.

Ganz praxisnah beginnt darum auch der Rundganag. Ich erfahre, dass der Seelhors­ter Friedhof eigentlich immer auf der Höhe der Zeit gewesen ist: Schon vor 50 Jahren wurde der ausgestellteKleintransporter, mit dem die Gärtner durch die Gräberreihen zuckelten, mit einem Elektromotor angetrieben, eine Konsequenz der Ölkrise damals. Noch heute würde er seinen Dienst tun, aber er ist viel zu schwer für die Wege. Zukunftsweisend damals auch der Luftkissen-Rasenmäher aus den 70er-Jahren, ein Nachfolger des alten angerosteten Spindelmähers. Erleichterung bei der Pflege des Rasens, hofften die Arbeiter angesichts der jährlich zusammengezählt 25 Millionen Quadratmeter Fläche, um dann ernüchtert feststellen zu müssen, dass mangels eines Auffangkorbs der Schnitt überall auf den Gräbern verteilt wurde.
 


Cordula Wächtler ist Chefin der hannoverschen Friedhöfe.
Gemeinsam mit einigen Mitarbeitern hat sie die
Museumssammlung zusammengetragen.

Warum hat ein Spaten einen vier Meter langen Stiel? Es gibt zwei Erklärungen. Für Kinder: „Weil wir auf dem Friedhof auch Riesen beschäftigen!“. Für alle anderen: „Damit heben wir Löcher aus für die Fundemente der Grabmale.“ Etwas versteckt in einer Ecke ein Stofftier, ein Maulwurf mit frechem Grinsen. Auch wenn seine aufgeworfenen Erdhügel die Friedhofsgärtner ärgern – „jagen dürfen sie ihn nicht, weil er unter Naturschutz steht“, erläutert Cordula Wächter.

„Ihr Lebtag hat sie Staub gewischt …“

Sterbem ist eine todernste Angelegenheit, aber trotzdem gibt es immer wieder humoristische Einlagen – das Papierskelett in Lebensgröße, die Sammlung despektierlicher Grabsprüche („Ihr Lebtag hat sie Staub gewischt. Nun ist sie selber weiter nischt“) oder der zu einer Kellerbar umfunktionierte rotlackierte Sarg mit einer ansehnlichen Sammlung von Spirituosen.

Manchmal aber bleibt das Lachen im Halse stecken: Erinnert wird an 279 Babys, Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Ludmilla, Ida, Hektor, Nikolas und die anderen wurden nach der Geburt ihren Müttern weggenommen und starben an Unterernährung, Lungenentzündung oder schlicht an fehlender Fürsorge. Jungen und Mädchen einer hannoverschen Schule haben gemeinsam mit einem Steinmetz einen Gedenkstein für diese Säuglinge gestaltet, damit ihre Namen und das furchtbare Unrecht, das ihnen angetan wurde, nicht vergessen werden.

Das steinerne Relief eines Soldaten dagegen erzählt eine andere grausame Geschichte aus den letzten Kriegstagen Hannovers: Mehr als 150 Russen und einige Polen wurden durch die Stadt getrieben und auf dem Seelhorster Friedhof erschossen. Nur Pjotr Palnikow überlebte das Massaker und führte die alliierten Soldaten zum Massengrab. Die Leichen wurden exhumiert und auf offenen Lastwagen zum Maschsee-Ufer gebracht, wo sie ein würdiges Grab bekamen. Das Denkmal allerdings war manchen Hannoveranern ein Dorn im Auge, es wurde immer wieder beschmiert und nach einem Sprengstoff-Anschlag durch eine Kopie ersetzt. Das restaurierte Original ist jetzt mit den verbliebenen Spuren der Anschläge im Museum zu sehen.

Auch das gehört zur Geschichte der Friedhofskultur in Hannover. Ganz unterschiedliche Facetten einer Dauerausstellung, die deshalb möglich wurde, weil ein paar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr tun als nur ihren Job.

Stefan Branahl