Interview mit Henrik Simojoki und Konstantin Lindner
Niedersachsen bietet gute Grundlagen
In wenigen Jahren soll in Niedersachsen ein Christlicher Religionsunterricht eingeführt werden (die KiZ berichtete). Die Kirchen verantworten dann gemeinsam die Lehrpläne. Vor welchen Herausforderungen stehen die Lehrerinnen und Lehrer? Fragen an zwei Theologen, die das Projekt wissenschaftlich begleiten.
Wie ist die Idee entstanden, in Niedersachsen einen gemeinsamen Religionsunterricht einzuführen?
Henrik Simojoki: Niedersachsen ist ein Pionier in Sachen interkonfessioneller Zusammenarbeit. Schon seit Ende der 1990er-Jahre gibt es hier die Möglichkeit des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts: Die Lehrkraft einer Konfession erteilt Unterricht in einer konfessionell gemischten Klasse.
Konstantin Lindner: In Niedersachsen arbeiten die drei Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Münster seit Jahrzehnten intensiv mit den drei evangelischen Landeskirchen zusammen. Sie haben viele positive Erfahrungen mit dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht gemacht. Jetzt sind sie auf Basis dieser ökumenischen Zusammenarbeit so weit, den Schritt zu einem gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterricht (CRU) konsequent weiterzugehen.
Wieso wird ein Christlicher Religionsunterricht angestrebt, wenn der konfessionell-kooperative so gut funktioniert?
Lindner: An der Art, wie der Unterricht erteilt werden wird, wird es keine großen Unterschiede zu jetzt geben. Aber die Grundlage ist eine andere. Es wird nur einen Religionsunterricht geben, der nicht mehr unter den Vorzeichen katholisch und evangelisch getrennt ist. Dabei steht die religiöse Bildung der Heranwachsenden im Vordergrund; auch nichtgetaufte Schülerinnen und Schüler sind eingeladen, daran teilzunehmen.
Was sind weitere Vorteile des Christlichen Religionsunterrichts?
Simojoki: Natürlich geht es auch um eine langfristige Organisierbarkeit des Religionsunterrichts. Die Gesamtzahl evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schüler nimmt in ganz Deutschland ab. Viele Lehrerinnen und Lehrer unterrichten das Fach leidenschaftlich gern. Es geht darum, dass sie eine Perspektive haben, die die nächsten 20 oder 30 Jahre trägt.
Was bedeutet der CRU für die Lehrkräfte?
Simojoki: Beim konfessionell-kooperativen Religionsunterricht sind die Lehrkräfte schon jetzt herausgefordert, die Perspektive der Schülerinnen und Schüler in ihren Unterricht zu integrieren, die der konfessionellen Minderheit angehören. Sie haben sich da über Jahre Kompetenzen angeeignet. Sie haben Fortbildungen besucht und es gibt eine gute Kultur der Zusammenarbeit, weil man sich oft mit Lehrkräften der anderen Konfession abstimmen muss.
Das heißt, für die Lehrerinnen und Lehrer wird sich nicht so viel ändern?
Simojoki: Ja und nein. Es ändert sich schon etwas. Das Spannende ist ja, dass es dann gemeinsame Lehrpläne, gemeinsame Lehrbücher geben muss; auch gilt es, die Ausbildung stärker zu profilieren.
Lindner: Es wird spannend zu schauen, wie es gelingt, etwa die universitäre Ausbildung zu wandeln. Es wird weiterhin ein konfessionell gebundenes Studium geben, aber es muss in den Instituten, Fakultäten und in den Lehrveranstaltungen stärker die Sicht der jeweils anderen Konfession integriert werden. In meinem Studium beispielsweise haben mir katholische Dozentinnen und Dozenten beigebracht, was es heißt, evangelisch zu sein. Das sollte nun personal repräsentiert laufen. Also konfessionelle Spezifika sollten – wo möglich – durch einen entsprechenden Dozenten gelehrt werden; interkonfessionelle Lehrveranstaltungen, die von Dozierenden unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam geleitet werden, sollten zum Standardangebot gehören.
Wie reagieren die Lehrerinnen und Lehrer auf die Pläne zum Christlichen Religionsunterricht?
Lindner: Grundsätzlich sind sie dem CRU gegenüber sehr offen eingestellt. Aber natürlich gibt es auch Ängste. Gerade Lehrkräfte an weiterführenden Schulen, die einen hohen fachlichen Anteil im Unterricht haben, fragen sich: Bin ich gut genug gebildet für die Repräsentation der anderen Konfession(en) in einem gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht?
Simojoki: Das sind so Ja-aber-Strukturen: „Grundsätzlich befürworten wir das, aber …“ Interessanterweise gibt es aber Bedenken von zwei Seiten: Die einen fragen, ob wir wirklich schon so weit sind für einen gemeinsamen Reli-Unterricht. Andere Stimmen sagen, wir müssten viel weiter gehen. Vielleicht ist es kein schlechtes Zeichen, wenn man in einem Reformprozess Stimmen von beiden Seiten hat.
Was ist nötig, um den Lehrerinnen und Lehrern mögliche Ängste zu nehmen?
Lindner: Ich glaube, ein großer Teil der Ängste kann mit guten Materialien genommen werden. Wenn die Religionslehrerinnen und -lehrer diese haben, eine entsprechende Didaktik ausgefeilt ist und es Schulbücher gibt, die das Land und die Kirchen abgesegnet haben, dann fühlen sie sich schon sicherer.
Wie wird sich der CRU auf die Themen des Religionsunterrichts auswirken?
Simojoki: In diesem Religionsunterricht wird das Gemeinsame im Vordergrund stehen. Wenn es um die konkreten Inhalte geht, werden wir aber sehr stark darauf achten müssen, wie Inhalte repräsentiert werden.
Wie meinen Sie das?
Simojoki: Die Reformation wird von katholischer Seite zum Beispiel anders dargestellt als von evangelischer Seite. Umgekehrt wird eine evangelische Lehrkraft sich anders äußern, wenn es um das Papsttum geht, als eine katholische. Es muss gesichert sein, dass die Lehrkraft nichts vertreten muss, was sie persönlich nicht überzeugt. Und es muss gewährleistet sein, dass die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Konfession auch die Innenperspektive hören. Da gibt es noch didaktische Hausaufgaben.
Haben Sie eine Idee, wie man das lösen kann?
Simojoki: Im Bereich des interreligiösen Lernens gibt es bereits Optionen. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Erklärvideos einzuspielen.
Lindner: Bei bestimmten Themen wird natürlich ein konfessionelles Merkmal bleiben. Dafür braucht es eine gemeinsame Kommission, die klärt, wie man damit umgehen kann. Beim Blick auf die aktuellen Curricula zeigt sich aber: Es gibt viele Themen, zum Beispiel zu ethischen Fragen, wo nur selten Differenzen existieren. Und ich würde mir wünschen, dass sich auch Themen verändern.
Inwiefern?
Lindner: Viele Schülerinnen und Schüler sind heute nicht mehr religiös sozialisiert. Es gilt zu überlegen, in welchen Themen heute noch Religion drinsteckt. Wir haben eine Gesellschaft, deren Demokratie herausgefordert wird. Da kann Religion einen guten Beitrag leisten. Oder der Nachhaltigkeitsdiskurs – das ist ein ureigenes Religionsthema. Aber die Jugendlichen, die sich dafür einsetzen, haben sich zunächst nicht von den Kirchen repräsentiert gefühlt. Oder die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit: Das können wir in einem Christlichen Religionsunterricht noch besser diskutieren.
Simojoki: Genau das ist es. Beim Wechsel zum Christlichen Religionsunterricht geht es darum, gemeinsam über das Fach und die gesellschaftliche Rolle religiöser Bildung nachzudenken. Ich glaube, als Religionslehrer in Niedersachsen kann man mit einem breiten Kreuz durchs Leben gehen. Es ist bemerkenswert, was hier in den vergangenen Jahren auf dem ökumenisch-didaktischen Weg geleistet worden ist. Wenn ein CRU in Deutschland eingeführt wird, dann kann es eigentlich nur in Niedersachsen sein.
Interview: Kerstin Ostendorf
Blick von außen auf die Diskussion
Der evangelische Theologe Henrik Simojoki und der katholische Theologe Konstantin Lindner begleiten wissenschaftlich den Beratungsprozess zur Entwicklung des gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterrichts in Niedersachsen. Simojoki lehrt Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Lindner hat den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg inne.
Sie sagen übereinstimmend: „Wir sind nicht die aktiven Player im Prozess. Aber durch unsere wissenschaftliche und praktische Erfahrung geben wir Einschätzungen und einen Blick von außen auf die Diskussion.“ (kb)