Pastorale Gespräche auf der Weide
Nur die Ziegen hören zu
Seine seelsorglichen Gespräche führt Gemeindereferent Wolfgang Nefzger aus Arnsberg an der Altmühl seit Pandemie-Beginn auf der Weide oder im Stall bei seinen sieben Ziegen. Was das bringt, erklärt der 46-Jährige im Interview.
Herr Nefzger, was können Ziegen in der Seelsorge, was Menschen nicht können?
Ich nenn’s mal „nixen“. Die Ziegen können sich im positiven Sinne langweilen. Sie leben im Hier und Jetzt. Viele Menschen haben das verlernt.
Wieso ist das wichtig in der Seelsorge?
Viele Menschen, die zu mir kommen, kommen mit Nöten und Problemen. Sie haben oft einen Tunnelblick, sehen zunächst nur noch das Schwierige im Leben. Umgeben von den Ziegen, die friedlich im Gras liegen und mal hierhin, mal dorthin schauen, werden auch die Menschen ruhig und weiten meist ihren Blick. Wenn der Fokus dann nicht mehr zu sehr auf das Problem gerichtet ist, erscheint es nicht mehr so groß und links und rechts tauchen oft Lösungsansätze auf.
Wie sind Sie auf den „Weidentalk“ gekommen?
Aus der Not heraus, durch Corona. Zeitweise durfte man sich ja nur noch mit einer anderen Person treffen. Da habe ich mir gedacht: Draußen auf unseren Wiesen ist reichlich Platz, da kann man coronakonform auf Abstand gehen und muss trotzdem nicht allein sein. Also habe ich zwei Bierbänke und einen Tisch in die Wiese gestellt. Dass die Ziegen drumherumstanden, war ein Nebeneffekt. Aber ein sehr guter, weil die Tiere eine lockere Atmosphäre schaffen.
Welche Auswirkungen haben Sie beobachtet?
Plötzlich meldeten sich völlig neue Leute. Auf einmal kamen Anfragen aus dem ganzen Bistumsgebiet – besonders von Personen, die mit der Institution Kirche nicht so fest verwoben sind, die auch mit ihr hadern, für die der Glaube aber eine Rolle spielt.
Wie hat das Ihre Gespräche beeinflusst?
Das Themenfeld hat sich geweitet, passend zur Weite von Weide und Himmel. Zu den üblichen Alltagssorgen kamen die Corona-Folgen hinzu: Wie gehe ich mit Einsamkeit um? Wie halte ich Existenzängste aus? Und wenn wir jetzt so inmitten der Schöpfung sitzen, kommen oft Sinnfragen auf. So etwas wie: Wo ist mein kleiner Platz in dieser großen Welt?
Wie reagieren Sie darauf?
Ich sehe mein Gespräch als eine Art Geländer. Ich versuche, die Menschen zu ihren eigenen Stärken hinzuführen, die sie wegen des Tunnelblicks gerade nicht sehen. Ich verstehe mich als Hilfsarbeiter beim Schatzheben. Dabei hilft mir meine Einstiegsfrage, die ich fast immer stelle: „Womit kämpfen Sie gerade?“
Da fängt’s an, in den Leuten zu arbeiten. Perfekt, wenn sie dann erst mal den Blick von mir ab- und den stoischen Ziegen zuwenden können, um in Ruhe nachzudenken – und schon sind wir im Gespräch.
Meckern die Ziegen nicht auch mal wild herum?
Meckern tun sie eigentlich nur zur Begrüßung und zum Abschied. Meist grasen sie gemütlich vor sich hin. Aber ja, sie sind neugierig und kommen schon mal, um an den Besuchern zu schnuppern. Manchmal zupfen sie auch an den Schuhen. Beschwert hat sich aber noch niemand über die Tiere. Und die haben auch noch nichts weitererzählt, die Vertraulichkeit der Seelsorgegespräche ist also trotz der Zuhörerinnen stets gewahrt.
Sie sprachen von der Schöpfung. Wie wichtig ist sie Ihnen?
Sehr, und das nicht nur, weil mein Angebot im „grünen Bistum“ Eichstätt spielt, das ja für sein Umweltengagement bekannt ist. Als Christ fühle ich mich für die Pflege von Gottes Schöpfung verantwortlich. Mit meiner Familie betreibe ich eine Nebenerwerbslandwirtschaft, die ist bewusst ein Biobetrieb. Als Bauer gehe ich auch gern in Kindergärten und Schulen, um Umweltbewusstsein zu vermitteln. So habe ich mit Kindern bereits Hühner im Brutkasten ausgebrütet, Käse gemacht und Ziegenwanderungen unternommen. Die Ziegen haben auch schon bei einem Programm zur Suizidprävention mitgewirkt.
Wie das?
Das ist ein Kooperationsprojekt mit einem Gymnasium und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die Schüler sind zu uns auf den Hof gekommen und dann haben wir die Ziegen gefüttert. Dabei ist es so: Das schwächste Tier bekommt nichts ab, weil die anderen sich vordrängeln; deshalb braucht’s einen extra Futtereimer. Daraus wurde die Frage abgeleitet: Wie gehe ich damit um, wenn in meinem Umfeld jemand ausgeschlossen und weggedrängt wird?
Ihre Ziegen machen sich in der Seelsorge also ganz schön verdient. Aber wozu haben Sie sie ursprünglich angeschafft?
Wir melken sie und machen daraus Käse. Meist werden die Tiere irgendwann auch geschlachtet, dann wird ihr mageres Fleisch zu Salami verarbeitet. Uns verlässt aber keine Ziege, ohne dass wir ihr für ihr Leben gedankt hätten und dass sie noch einmal ihr Lieblingsfutter bekommen hätte.
Interview: Christopher Beschnitt