Hildegardzentrum in Bingerbrück eröffnet
Offene Türen am Hildegard-Ort
Das Hildegardzentrum in Bingerbrück ist eröffnet. Als ein „Leuchtturmprojekt“ des Nachbarbistums Trier soll es Menschen die heilige Hildegard näherbringen. Auch um Seelsorge in schwierigen Zeiten geht es. Von Anja Weiffen.
Fast wäre sie entweiht worden. Vielleicht wäre sie heute ein Café oder eine Bibliothek. Doch die Pfarrkirche St. Rupertus und St. Hildegard in Bingerbrück ist ein sakraler Raum. Immer noch. Ihre vier Türme fallen schon von Weitem auf. Eine Frauenstatue des Künstlers Karlheinz Oswald vor dem Portal der neugotischen Kirche macht deutlich: Hier ist Hildegard-von-Bingen-Land.
Das Gotteshaus ist fast das einzige Obdach, das die katholische Gemeinde mit ihren 1100 Seelen in dem Binger Ortsteil noch hat. „Wir haben die meisten Gebäude veräußert. Das Vereinshaus, das Pfarrhaus, den Kindergarten“, erzählen Carl Woog und Reimund Kerner. „Nur ein kleines Gebäude für die Pfadfinder gibt es noch – außer der Kirche.“
Wie viele andere deutsche Bistümer befindet sich das Nachbarbistum Trier in einem Prozess der Kirchenentwicklung. Die Strukturen sollen den finanziellen Mitteln angepasst werden. Das bedeutet: Gebäude verkaufen. Zugleich will sich die Kirche erneuern. Innovative und zukunftsgerichtete Projekte der Glaubensvermittlung fördert das Nachbarbistum.
So ein Projekt beherbergt die Hildegardkirche. Carl Woog und Reimund Kerner führen durch den Kirchenraum. Hier soll in zwei Tagen das Hildegardzentrum starten. Carl Woog leitet das gleichnamige Projekt. Reimund Kerner ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kirchengemeinde.
Was sofort auffällt: Tische und Stühle an den Seitenwänden des Eingangsbereich laden zum geselligen Beisammensein ein. Der Altarraum, an dessen erhöhtem Ende ein Kreuz steht, vermittelt Weite. In der Vierung liegt ein quadratischer Steinblock als Altar, um den sich die Gläubigen versammeln können. Meditatives und Gemeinschaftliches passen hier unter ein Dach. Alle zwei Wochen feiert die Gemeinde Gottesdienst, berichten Woog und Kerner. Mit dem neuen Hildegardzentrum wollen sie Menschen, die an diesen historischen Ort auf den Rupertsberg kommen und nach Spuren der heiligen Hildegard suchen (siehe „Zur Sache“), offene Türen anbieten.
„Das Zentrum“, erklärt Carl Woog, „steht auf drei Säulen: Die Kirche als Veranstaltungsraum, als spiritueller Ort für Pilger sowie als alternatives geistliches Angebot in Form eines ,Medialen Kirchensystems‘.“ Letzteres haben die Bingerbrücker Katholiken für 25 000 Euro eingekauft. Ein evangelischer Pfarrer hat es entwickelt und sich patentieren lassen. Den Altarraum je nach Stimmungslage in verschiedene Farbtöne tauchen, Musik auswählen, geistliche Impulse oder die Vita der Hildegard hören – einiges ist mit diesem System möglich, ohne dass ständig ein Ansprechpartner in der Kirche anwesend sein muss. „Auch eigene Tonaufnahmen kann die Gemeinde einspeisen“, erklärt Kerner.
Das Spiel mit dem Licht ist aber nur ein Mosaikstein eines Konzepts, das über die Kirchengemeinde hinausgeht. Denn das Zentrum ist eingebunden in das Projekt „Soziale Stadt Bingerbrück“. Auch weiterführende Pläne mit der Stadt Bingen gibt es, etwa mit Blick auf die Bundesgartenschau 2029.
Worum es den Organisatoren hinsichtlich des Kirchenraums geht, fasst Carl Woog zusammen: „Wir suchen nicht nach mehr Gottesdienstbesuchern. Wir wollen einen offenen, spirituellen Raum anbieten, damit Menschen mit sich selber klarkommen und vielleicht auch mit Gott.“
Das Hildegardzentrum, Gutenbergstraße 2 in Bingen-Bingerbrück, ist täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Kontakt: Carl Woog, Telefon 06721 / 99 21 88, E-Mail: info@rupertsberg.com
Zur Sache: Rupertsberg
Zwischen 1147 und 1151 verließ Hildegard den Disibodenberg und gründete über dem Grab des heiligen Rupertus ihr erstes Kloster. Rund 500 Jahre später wurde es 1632 im Dreißigjährigen Krieg zerstört. Die Ruinen fielen 1857 dem Bau der Eisenbahn zum Opfer. Heute sind vom Kloster noch fünf Arkadenbögen im Keller einer Villa zu sehen. (www.rupertsberger-hildegardgesellschaft.de)
Nachgefragt: Konkurrenz vermeiden
„Der Ort, an dem das Hildegardzentrum entstehen soll, ist ein historischer Ort“, sagt Schwester Ancilla-Maria Ruf vom Hildegard Forum, Binger Rochusberg, auf Nachfrage der Kirchenzeitung. Deshalb sei es zu begrüßen, dass hier besonders die architektonische Geschichte der Klosteranlage anziehend wirken kann, „aber auch die zentrale Lage am Rhein-Nahe-Eck, die im 12. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt hat“. Die Kreuzschwester mahnt vor allem für den Fortgang des Projekts an, ein authentisches Bild der Heiligen zu vermitteln sowie ein Gegen-einander der Hildegard-Orte zu vermeiden. „Es wäre sicher nicht im Sinne der heiligen Hildegard, wenn ihretwegen ein Konkurrenz-Kampf entstehen würde.“ (wei)