Katholische Opfer des Wirecard-Skandals

Ohnmächtige Wut

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Mehr als 20 Milliarden Euro haben Anleger im Jahr 2020 durch die Insolvenz des ehemaligen DAX-Konzerns Wirecard verloren. Drei ostdeutsche Katholiken schildern, wie sie Opfer ihrer Leichtgläubigkeit wurden.

Die ehemalige Firmenzentrale von Wirecard: Nach anfänglichen Traum-Gewinnen sorgten Finanzspekulanten dafür, dass die Aktie heute nur noch wenige Cent wert ist. Anleger verloren Milliarden Euro. Unter den Opfern auch drei ostdeutsche Katholiken, die im Beitrag schildern, wie es ihnen ergangen ist.    Foto: imago images/Future Image

 

Ja, sie wollen reden, sagen die drei ostdeutschen Katholiken, aber nur anonym. Denn die Scham sitzt tief. Die drei haben viel Geld verloren. Sie wurden Opfer dreister Finanzspekulanten des früheren DAX-Konzerns Wirecard aus Aschheim bei München. Das Drama um den Wirecardkonzern begann im Sommer 2020. Da riss es die Anleger aus dem Schlaf. Am Ende waren ihre Ersparnisse weg. Tausende, Zehntausende Euro, aufgelöst in Schall und Rauch. Ein britischer Großinvestor verlor knapp 68 Millionen Euro, so dessen Berliner Kanzlei. Neben der staatlichen Finanzaufsicht sollen vor allem die Wirtschaftsprüfer versagt haben.
Die Wirecard-Aktie, einst dreistellig auf dem Frankfurter Börsenparkett gehandelt, ist heute nur noch wenige Cent wert. Akribisch bemüht sich der Insolvenzverwalter, alles Verbliebene zu Geld zu machen, um die Gläubiger zu bedienen. Einiges wurde verkauft, doch viel ist nicht zu holen. Denn wer will schon für gebrauchte Computer, Druckerpatronen und abgenutztes Büromobiliar zahlen … Das alles hat die Investorenlaune auf den Nullpunkt getrieben. Und doch gibt es auch heute noch Stimmen, die im drahtlosen Zahlungsverkehr, dem angeblichen Geschäftsmodell bei Wirecard, eine große Zukunft sehen und weiter spekulieren.
Eine, die ihr ganzes Vermögen in diese Aktien gesteckt hatte, ist Greta M. aus Mecklenburg-Vorpommern. Etwas, vor dem seriöse Bankberater immer warnen: Bloß nicht all sein Geld in eine einzige Anlage stecken, stattdessen breit streuen, um Verluste abzufangen. Greta M. stammt aus einem kleinen Dorf nahe Stralsund und hat früher an einer Grundschule Heimatkunde unterrichtet. Bis ihr kurz vor der Rente 2014 ein Bekannter einen „Geheimtipp“ gab und sie rund 35 000 Euro anlegte. Da könne sie „nichts falsch machen“, hatte ihr der Bekannte selbstsicher erklärt und auf die hohen Wachstumsraten bei Wirecard verwiesen. Immerhin: Greta M.’s Einlage hatte sich zwischenzeitlich mal mehr als verdoppelt, und M. wähnte sich sicher, „alles richtig gemacht“ zu haben.

Geplatzter Kindheitstraum
Als in der DDR Großgewordene war sie eigentlich immer etwas skeptisch gegenüber Heilsversprechen aus dem Westen, sagt sie. Doch das starke Wachstum der Aktie seit Beginn der Jahrtausendwende habe sie dann doch überzeugt – und geblendet, wie sie heute einräumt. Mit dem Geld wollte Greta M. den Sportbootführerschein für Binnengewässer machen und sich ein gebrauchtes Boot kaufen, ein Kindheitstraum der 67-Jährigen, die nahe der Mecklenburgischen Seenplatte wohnt. Obwohl kinderlos, ist Greta M. ein Familienmensch, sagt sie, eine, die viel in der Natur ist, eine Katze hat und sich gerne unterhält. Ein paar Mal versagt ihr beim Telefonieren die Stimme. Da „alles wieder hochkomme“, sagt sie und berichtet noch, dass sie nun von knapp 1300 Euro Rente lebe und damit „besser, als viele andere“ in ihrem Alter, bevor das Gespräch abrupt endet.
Ortswechsel: Rund 400 Kilometer südlich, im Erzgebirge, nahe der Grenze zu Tschechien, lebt Carlo P., Mitte Zwanzig und Sozialpädagogikstudent. Von seiner Oma hatte er rund 20 000 Euro geerbt, „fürs Studium“ und eine eigene Zweiraumwohnung mit Küche und Bad im nahen Chemnitz, wo die Wohnraumpreise noch relativ moderat sind. Carlo, wie viele seines Alters, mit dem Internet aufgewachsen, ließ sich blenden von Studienkollegen, von positiven Presseberichten über Wirecard und verlor am Ende rund 10 000 Euro. „Schade eigentlich“, sagt der junge Mann, bald zum ersten Mal Vater. Das Geld hätte die kleine Familie gut gebrauchen können. Unterkriegen lassen will er sich nicht.  
Mit dieser Haltung ist er nicht allein. In Weimar übt Floriane K. Oboe. Die 23-Jährige studiert an der Musikhochschule und engagiert sich in der Katholischen Studentengemeinde in Jena. Durch den Wirecard-Skandal hat sie rund 4000 Euro verloren, sagt sie. Zusammengekommen ist die Summe durch Geldgeschenke zum Geburtstag, zu Weihnachten und jahrelanges Jobben in einer Bäckerei. Auch bei ihr war es ein damaliger Freund, Azubi bei einer Bank, der ihr mantramäßig von der Wirecardaktie vorgeschwärmt hatte, erzählt sie. Dass man damit „Bombengeschäfte“ mache und sie ohne Risiko „einsteigen könne“. Doch die Bombe platzte. Und am Ende verlor Floriane neben den zwischenzeitlichen Gewinnen alles, was sie sich für ihre Ausbildung zurückgelegt hatte. „Das tut weh“, sagt sie, und auch, dass der Ex-Vorstandschef von Wirecard, Markus Braun, in seiner Augsburger Gefängniszelle „vielleicht mal darüber nachdenken solle, wie viele er um Hab und Gut gebracht“ habe. „Dieser Herr Braun hat wahrscheinlich keine Ahnung, was er anderen angetan hat“, sagt Floriane mit ohnmächtig unterdrückter Wut.
Das Kuriose: Zeitweilig war Wirecard mehr wert als die Deutsche Bank. Die Clique rund um Markus Braun spielte gar mit Übernahmegedanken, infolge derer der Betrug wohl nie aufgeflogen wäre, da die Bilanzen der beiden Häuser dann miteinander verschmolzen wären, so die Politologin Melanie Bergermann (42).Brauns früherer Vorstandskollege und mutmaßlicher Komplize Jan Marsalek (41) ist auf der Flucht, irgendwo in Russland, so vermuten Ermittler. 2018 soll Marsalek bei Wircard zwischen zwei und drei Millionen Euro brutto im Jahr verdient und Kontakte zu Nachrichtendiensten gepflegt haben. Seine Münchener Villa kostete knapp 50 000 Euro Miete im Monat, schreibt Wikipedia. Scheingeschäfte in Asien und manipulierte Bilanzen dürften den Crash des Unternehmens begünstigt haben, glaubt Felix Holtermann (34), Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Und dass Marsalek Wirecard in der Tat wie eine Geheimdienstoperation geführt habe, so Holtermann. Was den Fall brisant macht: Schon Jahre zuvor hatte Wirecard Kritiker mit Anwälten, Anzeigen und Prügelattacken angeheuerter Halbweltgestalten mundtot gemacht, jede Infragestellung des Unternehmens im Keim erstickt. Ein Vergleich von Wirecard mit der DDR liegt dabei gar nicht so fern: Denn in beiden Fällen basierte das Geschäftsmodell auf einer Lüge. Und in beiden Fällen umgab das Konstrukt eine Mauer, hinter der sich die Macher für ihre Machenschaften zurückgezogen hatten, bevor es zusammenbrach und die Wahrheit ans Licht kam.

Literaturempfehlung: Felix Holtermann: Geniale Betrüger. Wie Wirecard Politik und Finanzsystem bloßstellt, Westend-Verlag Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-86489-119-9, 22 Euro.

Von Benedikt Vallendar