Priestertagung über ihre künftige Rolle

Plötzlich „nur noch“ Geistlicher

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Angesichts aktueller Umbrüche in Kirche und Gesellschaft dachten Priester bei einer Tagung der Fokolar-Bewegung über ihre künftige Rolle nach. Pfarrer Jörg Bahrke brachte seine Erfahrung aus einem Pfarrei-Leitungsteam ein.

Jörg Bahrke aus Sangerhausen (rechts) und Marcellus Klaus aus Erfurt gehörten zu den 50 Priestern, die im Begegnungszentrum Zwochau an der Priestertagung teilnahmen. Weitere 80 Teilnehmer waren per Videokonferenz zugeschaltet.    Foto: Christian Karnowsky

 

„Ich war sehr gerne Pfarrer, 28 Jahre lang“, sagte Jörg Bahrke in der zweiten Februarwoche bei einer Tagung im Begegnungszentrum Zwochau. Seit zwei Jahren gehört er als „geistlicher Moderator“ zu einem der ersten Pfarrei-Leitungsteams im Bistum Magdeburg. Anders als er es an seinen früheren Einsatzorten gewohnt war, hat er in den Pfarreien Sangerhausen und Hettstedt nun nicht mehr das alleinige Sagen. Seine Aufgabe ist im Wesentlichen die geistliche Begleitung der Gemeinden.

„Ich wurde doch nicht zum Pfarrer geweiht“
Auch wenn er den Rollenwechsel vom Pfarrer zum geistlichen Moderator nicht schmerzfrei und reibungslos erlebt hat, fühlt er sich heute mehr denn je am richtigen Platz. „Ich habe ja nicht die Pfarrerweihe empfangen, sondern die Priesterweihe!“ – eine Aussage, die rund 130 Priester aus Östereich, der Schweiz und Deutschland zum Schmunzeln brachte. Dass ihre Bistümer Wege mit Leitungsmodellen gehen, kennen einige von ihnen; Ehrenamtliche ohne theologischen Studienabschluss in der Pfarrei-Leitung waren für alle neu. Umso hellhöriger nahmen die Kollegen auf, was Jörg Bahrke ihnen berichtete.
„Administrative Aufgaben sind immer mit einer Machtposition verbunden“, ist ihm als geistlicher Moderator so richtig bewusst geworden. Diese Macht loszulassen, fühlt sich für ihn richtig an: „Welches Gemeindemitglied hätte denn nicht erlebt, was dominante Pfarrer manchmal in ihren Gemeinden anrichten können. Ich finde es gut, dass katholische Laien sich heute selbstbewusster einbringen.“ Zugleich merkt er, dass Jahrzehnte als Kirchenvorstandsvorsitzender auch bei ihm Spuren hinterlassen haben. Er musste sich erst daran gewöhnen, nicht mehr über alles informiert zu sein, was in der Pfarrei diskutiert wird. Arbeiten, die liegen bleiben oder die anders erledigt werden als er es getan hätte, fallen ihm ins Auge. Gelegentlich erneuert er seine Entscheidung, die Dinge bewusst so anzunehmen, wie die Verantwortlichen sie tun – oder eben nicht tun. Und er widersteht der Versuchung, doch Einfluss zu nehmen, etwa, indem er in der Gemeinde seine Meinung streut: „Ich würde das übrigens ganz anders machen …“
Aus dem Abschied von gewohnten Aufgaben erwächst für Jörg Bahrke eine neue Freiheit: „Ich kann jetzt einfach Seelsorger sein.“ Als Pfarrer hatte er nach der Sonntagsmesse für gewöhnlich noch Kirchenvorstands-Angelegenheiten zu klären. Heute hat er Zeit, Gottesdienstteilnehmer zu fragen, was sie gerade bewegt – und er kann ihnen zuhören. „Ich bin gern für Sie da und teile mit Ihnen Freud und Leid“, ist auf seiner Visitenkarte zu lesen. In seiner heutigen Art, Priester zu sein, sieht er Zukunft. Sie entspricht mehr dem Bild der Kirche, wie es das Zweite Vatikanische Konzil gezeichnet hat, ist er überzeugt, denn sie setzt stärker darauf, dass jeder Gläubige aufgrund seiner Taufe und seiner Firmung Verantwortung für die Kirche trägt.

Freiraum für Seelsorge ist gewachsen
Kurz vor dem ersten Corona-Lockdown war Jörg Bahrke in Sangerhausen eingetroffen. Da Hausbesuche nicht mehr möglich waren, ließ er sich eine Liste der treuen Kirchgänger der Region geben und telefonierte sie der Reihe nach ab. Bald darauf meldete sich eine junge Frau: „Ich bin die Tochter von Frau X., die Sie angerufen haben. Wie geht es eigentlich Ihnen?“ Dass auch ihm selbst einfühlsam Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, hat ihn berührt.
Gemeinschaft mit anderen Christen, mit anderen Priestern zu leben, empfand Jörg Bahrke von jeher als Basis und Kraftquelle für seine Berufung. Die Fokolarbewegung ist für ihn ein Ort geistlichen Austauschs und zugleich Freiraum, in dem er unbefangen auch über Belastendes sprechen darf oder über Themen, zu denen er sich noch gar keine eigene Meinung gebildet hat. Bestärkende Gemeinschaftserfahrungen macht er auch andernorts, etwa im Ökumenkreis von Sangerhausen. Es tut ihm zum Beispiel gut, dass dort auch die evangelischen Christen sein Leiden am Missbrauch der katholischen Kirche aufrichtig teilen.
Als hinderlich auf seinem neu eingeschlagenen Weg empfindet der geistliche Moderator, dass er weiterhin den Titel Pfarrer trägt – laut Kirchenrecht ist der nicht an das Amt gebunden. Wer also einmal Pfarrer ist, der bleibt es Zeit seines Lebens. Viele Gemeindemitglieder verbinden mit dem Wort „Pfarrer“ feste Rollen-Erwartungen. Jörg Bahrke hingegen fühlt sich wohler mit dem Bild, das der Papst in seinem Schreiben Evangelii Gaudii vom kirchlichen Hirten gezeichnet hat: „… er wird sich bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen, andere Male wird er einfach inmitten aller sein, und bei einigen Gelegenheiten wird er hinter dem Volk hergehen, weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden.“ In einem Pfarrei-Leitungsteam unterwegs zu sein, führt keinesfalls automatisch dazu, dass Priester ihre Berufung in diesem Geist leben, betont Jörg Bahrke. Die Versuchung, so weiterzumachen wie zuvor, bleibe als geistlicher Moderator durchaus bestehen. Neue Wege zu beschreiten, setze eine bewusste Entscheidung voraus.

Von Dorothee Wanzek
 

Dorothee Wanzek Redaktionsleiterin
Tag des Herrn

Meinung: Nicht mein Problem?
Die Unsicherheit über die Zukunft der Kirche treibt diejenigen besonders heftig um, die sich ihr mit ihrer ganzen Existenz verschrieben haben. Wie Priester nicht leben sollten, ist im Zuge des Missbrauchsskandals mehr als deutlich geworden. Was ihre künftige Rolle sein kann, ist dagegen vielen noch nicht so richtig klar.
Ich meine, dass engagierte Christen in den Gemeinden durchaus hilfreich wirken können. Dabei denke ich nicht an gutgemeinte Ratschläge und erst recht nicht an Mitleidsbekundungen für die zölibatäre Lebensform – gerade wer sich dafür bewusst entschieden hat, schätzt die oft nicht so sehr. Beflügelnd für Priester könnte es dagegen sein, wenn Gemeindemitglieder ihrer eigenen Berufung auf den Grund gehen, wenn sie Menschen in verschiedenen Berufungen mit Wertschätzung und Anteilnahme begegnen und wenn sie niemanden auf die Rolle festnageln, die er oder sie oder seine Vorgänger vor fünfzig Jahren spielte. Die Unsicherheit wird all dies wohl nicht vertreiben. Im gemeinsamen Vertrauen auf die Wegbegleitung Gottes könnte aber Lebendigkeit wachsen.