Kongress zur zukünftigen Rolle der Kirchenmusik
Quo vadis, Kirchenmusik?
Annette Herr beim Orgelunterricht. Foto: M. Blum |
Wer wird die Orgel spielen, wenn der nächste Generationenwechsel stattfinden muss? Wer wird die Chöre leiten? Wer wird Kirchenmusik studieren? Oder anders: Welche Weichen müssen gestellt werden, damit Kirchenmusik im 21. Jahrhundert weiterhin eine Rolle spielen kann? Nach Antworten auf diese und viele weitere Fragen suchten Ende Oktober die Teilnehmer eines gemeinsamen Kongresses in der Katholischen Akademie in Berlin. Organisiert hatten ihn der Deutsche Musikrat, der sich für die Interessen der 15 Millionen musizierenden Menschen in Deutschland einsetzt, sowie die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).
Kirchenmusik nicht nur nach „Nutzen“ bewerten
Er beleuchtete das Spannungsfeld der Kirchenmusik zwischen ihrer liturgischen Funktion und ihrer künstlerischen Autonomie als Kulturgut in der heutigen Gesellschaft – gerade auch in der aktuellen gesellschaftlichen Situation, mit Pandemie und Krieg. Der „funktionalen Begründung“ der Kirchenmusik hätte Bach mit weit weniger Aufwand und Anspruch Genüge getan, sagte Christoph Krummacher, Theologe und ehemaliger Rektor der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig in seinem Vortrag. Er sprach über das transzendente Erlebnis durch das Hören und Musizieren geistlicher Musik. Jeder Erkenntnisgewinn in der Begegnung mit dem Kunstwerk, so Krummacher, sei in der Folge auch ein Glaubensgewinn. Er zitierte den Theologen Fulbert Steffensky: „Es ist Zeit, dass Kirche in der Welt des Funktionierens für die nutzlosen Schönheiten eintritt.“
Ehrenamt stößt bei Ausbildung an Grenzen
Die katholische Kirchenmusik in den ostdeutschen Bistümern setzt seit einigen Jahren neben den hauptamtlichen Kantorenstellen vor allem auf das Ehrenamt „zum Gotteslohn“. Dabei haben Erstere neben ihrer eigentlichen Arbeit in der Gemeinde – das sind aufs Jahr gesehen im Schnitt schnell 50 statt 39 Wochenstunden – kaum Freiraum für das Begleiten und Fortbilden der Ehrenamtlichen geschweige denn für die stringente Ausbildung des Nachwuchses.
Wer wird in Zukunft das Kirchenmusik-Studium antreten und Verantwortung für die Kirchenmusik im Bistum übernehmen, ohne zuvor von einer hauptamtlich tätigen Persönlichkeit für die Sache Jesu begeistert und seit der Jugend zielgerichtet ausgebildet worden zu sein? Wer wird den Solopart in der Mozartmesse singen, ohne als Kind in einem kirchlichen Kinderchor aufgewachsen zu sein und eine solche professionell gestaltete Messe erlebt zu haben?
Esther Petri, Geschäftsführerin beim Carus-Verlag, formulierte in ihrem Impuls: „Der Nutzen der Kirchenmusik ist nicht allen so klar wie der einer Zahnbürste“. Aber statt über Kirchenaustritte zu klagen, sei es nötig, im künftigen Haushalt die Kirchenmusik höher zu gewichten: Sie dürfe nicht als „Luxusgut“ hinter Diakonie und Jugendarbeit stehen.
Kirchenmusik fördert die Demokratie
Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD, sieht in der Kirchenmusik als rituelle Begleitung besonderer Ereignisse wie Taufe und Bestattung ein kulturelles Rückgrat unserer Gesellschaft. Die Gemeinschaft unter dem Dach der Kirche sei eine Einübung in demokratische Tugenden, in sozialer Teilhabe und gesellschaftliches Engagement. Viele gute Beispiele konnten hier zusammengetragen werden: Ehrenamtlich geleitete Vereine und Stiftungen unter kirchlichem Dach sind längst – punktuell an ihrem Ort – eine wichtige Säule der Kirchenmusik. Unzählige Hilfsangebote für die Ukraine sind entstanden, ökumenische und interreligiöse Friedensgebete.
Der Berliner Musikrat organisiert flächendeckend die preisgünstige Vermietung kirchlicher Räume an Amateurmusik-Ensembles, die Kirche zeigt hier auch den kirchenfernen und andersgläubigen Mitwirkenden ihr offenes, freundliches Gesicht.
Aber – so Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Vorsitzender der AG Kirchenmusik: „Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für ein präsentes Kirchenmusikleben“ kann nicht allein bei den Mitbürgern vor Ort liegen. Sie „betrifft Staat, Zivilgesellschaft und Kirchen. Die Kirchenparlamente und -leitungen stehen in der Verantwortung, für bessere Rahmenbedingungen in der personellen und Sachausstattung zu sorgen.“
In einzelnen Bundesländern und Berufsverbänden wie etwa der Orchestervereinigung Unisono, dem Deutschen Tonkünstlerverband DTKV, dem Netzwerk der Freien Ensembles „Freo“ oder dem Sächsischen Musikrat wurden bereits Honorar-Standards erarbeitet. Der Kongress befördert den Prozess, er bringt die Interessengruppen – über Grenzen von Bundesländern, Konfessionen, Bistümern und Landeskirchen hinweg – an einen Tisch. So verabschiedete die Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrates in der Folge des Kongresses eine Resolution, die sich an Verantwortliche in der Politik, im Kulturbereich und in den Kirchen wendet. Christian Höppner: „Kirchenmusik gehört zur DNA unserer kulturellen Vielfalt.“
Von Annette Herr
Die Autorin ist Vorsitzende des „VEKM – Verband evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, Landesverband Sachsen“ und stellvertretende Vorsitzende des katholischen Vereins „Kirchenfuge – Gohliser Verein zur Förderung der Kirchenmusik in Leipzig“.