Deutsch-polnisches Ringen um Kirchenkurs
Renovabis-Chef: „Die Differenzen sind grundsätzlicher Natur“
Foto: kna/Dieter Mayr
KNA: Pfarrer Schwartz, Polen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Wo sieht Renovabis in dem Land noch Förderbedarf?
Schwartz: Unser Nachbarland hat sich wirtschaftlich gut entwickelt. Doch es ist zu bedenken: In Polen leben Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, auch unglaublich viele unbegleitete Kinder und Jugendliche. Ich habe eine Einrichtung mit 80 Kindern besucht, die aus besetzten Gebieten ohne Eltern dorthin kamen und mit großer Hingabe betreut werden. Wir haben durch den Krieg in der Ukraine eine völlig neue Herausforderung und unterstützen hier die Caritas und Schulen in Polen.
Und das Zweite, was sich in den letzten Jahren verstärkt hat, ist die Notwendigkeit, tatsächlich wieder für mehr Dialog zu sorgen, gerade wenn man auch manche Differenzen zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat sieht. Wichtig ist auch die Förderung von Foren des Gesprächs innerhalb von Polen, in denen Synodalität in einem guten Sinn entwickelt wird und in denen Laien auch ihre Aufgabe und ihre Rolle in der Gesellschaft und in der Kirche wahrnehmen lernen.
Das Dritte ist die Vergabe von Stipendien für Priester, Ordensleute und Laien für Studium und Ausbildung im westlichen Ausland, weil wir glauben, dass die jungen Generationen auch innerhalb der Kirche lernen müssen, miteinander an einem gemeinsamen Haus Europa zu bauen und nicht populistischen Strömungen zu unterliegen.
KNA: Was waren die wichtigsten Projekte in Polen, die Renovabis seit der Gründung 1993 unterstützt hat.
Schwartz: Sicherlich die Arbeit mit der Schulkommission der Polnischen Bischofskonferenz, wo wir die katholischen Schulen begleitet haben, um sie zukunftsfähig zu machen. Das war gerade in den Neunzigerjahren eine große Herausforderung. Dann in vielen Bereichen auch der Aufbau von Caritas-Organisationen. Und die Unterstützung des Aufbaus von Universitäten und der Priesterseminare.
KNA: Und die deutsch-polnische Versöhnungsarbeit?
Schwartz: Wir unterstützen weiter das Zentrum für Dialog und Gebet in Auschwitz. Versöhnungsarbeit ist etwas ganz Existentielles für die Beziehung zwischen Deutschland und Polen, aber auch zwischen deutscher Kirche und polnischer Kirche. Das ist eine Aufgabe, die überhaupt noch nicht zu Ende ist. Wo man auch merkt, dass Versöhnungsprozesse einen Horizont haben, der überhaupt nicht zu Ende geht.
KNA: Polens Bischofskonferenz hat inzwischen eine eigene Hilfsorganisation für Osteuropa. Ein Erfolg?
Schwartz: Ja, mit der Arbeitsgemeinschaft „Hilfe für die Kirche im Osten“ pflegen wir eine enge Kooperation. Für uns ist das eine Bestätigung dafür, dass Solidarität etwas ist, was uns Christen insgesamt auszeichnet. Das hat die polnische Kirche auch wirklich verinnerlicht. Da sind wir auch sehr dankbar dafür. Solidarität ist eine Sache, die wie ein Virus ansteckt. Wir wollen ja auch, dass unsere Arbeit andere Kirchen zur Zusammenarbeit mit Partnern in Osteuropa einlädt.
KNA: Ein Streitthema zwischen der Deutschen und Polnischen Bischofskonferenz ist aktuell das deutsche Reformprojekt Synodaler Weg. Wo liegt der Kern des Problems?
Schwartz: Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der jeweiligen Kirchen. Die Kirche in Deutschland hat erstens einen sehr starken Verbandskatholizismus, eine sehr starke Position der Laien schon immer gehabt mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Also eine Stimme der Laien innerhalb der Gesellschaft, die manchmal sogar mehr Gehör fand als die der Bischöfe selbst. Das gibt es in Polen in dieser Weise so nicht. Die polnische Kirche ist noch sehr hierarchisch organisiert. Das macht es für Fragen von Synodalität nicht zwingend einfacher, tatsächlich kooperative und partizipative Lösungen zu finden.
Der Hauptvorwurf von polnischen Bischöfen ist, der deutsche Weg wirke von oben nach unten. Es sei eine typisch deutsche Art und Weise, von oben alles regeln zu wollen, was eigentlich von unten besser organisiert werden würde. Der synodale Prozess, den der Papst weltweit initiiert hat, sei ein Prozess, der von unten, also den Pfarrgemeinden, über die Dekanate und Diözesen und so weiter nach oben in die Weltsynode gehen würde. Diesen Weg halten viele für den tragfähigeren bei dieser Sache.
KNA: Konnten Sie denn in ihren Gesprächen mit den polnischen Bischöfen Vorbehalte gegen den Synodalen Weg in Deutschland abbauen?
Schwartz: Zumindest konnte ich immer wieder versuchen, in Einzelgesprächen auch deutlich zu machen, dass es unseren Bischöfen genauso wie unseren Laien nicht darum geht, eine neue evangelische Kirche zu gründen. Sondern dass der Ausgangspunkt hierfür die Erfahrung des massenhaften Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und die Wahrnehmung sind, dass es systemische Gründe gibt. Mir wurde abgenommen und auch geglaubt, dass es das Interesse der Verantwortlichen des Synodalen Wegs ist, dass auch noch in 20 Jahren die katholische Kirche in Deutschland lebt.
Böswilligkeit wird den Deutschen eigentlich nicht unterstellt. Das heißt aber nicht, dass man deshalb einer Meinung sein muss. Es ist meines Erachtens schon ein gutes Zeichen, wenn gegenseitig kein böser Wille unterstellt wird.
Der Dialogprozess wird lange und nicht einfach sein. Man muss sich auch klar machen, dass in der Weltkirche Platz für Vielfalt sein darf; dies muss keine Gefahr für die Einheit darstellen.
KNA: Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, schrieb dem Papst, die Akteure des Synodalen Wegs in Deutschland wollten offenbar eine „Revolution“ vollbringen, die eher von „linksliberalen Ideologien inspiriert ist“ als vom Evangelium. Was sagen Sie dazu?
Schwartz: Ich bin hier Gast der Polnischen Bischofskonferenz und bemühe mich darum, dass ein Dialog geprägt von gegenseitiger Wertschätzung gelingt.
KNA: Wie groß sind die Differenzen?
Schwartz: Die sind durchaus nicht klein. Die sind durchaus grundsätzlicher Natur. Aber sie laden zum Gespräch ein. Und dieses wird Renovabis weiterhin unterstützen.
Wir brauchen eine viel intensivere Gesprächskultur zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat, den deutschen Katholikinnen und Katholiken, die in diesem Prozess unterwegs sind, und den Vertretern der Kirchen in Osteuropa, um einfach deutlich zu machen, dass es uns nicht darum geht, irgendwie das gemeinsame Haus der katholischen Kirche zu verlassen. Dass wir auch nicht das Haus der Kirche revolutionieren wollen, aber dass wir durchaus davon überzeugt sind, dass eine Kirche, die sich ja seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil selber als 'ecclesia semper reformanda' beschreibt, auf der Suche nach den Wegen für die Zukunft zu sein hat.
Der Dialogprozess wird lange und nicht einfach sein. Man muss sich auch klar machen, dass in der Weltkirche Platz für Vielfalt sein darf; dies muss keine Gefahr für die Einheit darstellen.
KNA: Was kann Renovabis konkret gegen eine Entfremdung zwischen der Kirche in Polen und Deutschland tun?
Schwartz: Es muss einfach noch wesentlich mehr gegenseitige Besuche und Gespräche geben und eine Bereitschaft entwickelt werden, aufeinander zu hören. Renovabis wird da sein Möglichstes tun. Wir laden dazu ein, geben Anregungen und fördern weiter Initiativen, die einer Entfremdung entgegenwirken. Es braucht aber viel mehr Menschen in der Kirche, die sich dafür einsetzen.