Kunstmuseum Moritzburg Halle zeigt von Nazis entfernte Bilder
Rückkehr auf Zeit
Oskar Kokoschkas „Der Marabout von Temacin“ (1928) und Emil Noldes „Judas bei den Hohenpriestern“(1922). Fotos: Eckhard Pohl |
1913 kaufte der erste amtlich bestellte Direktor des Städtischen Museums für Kunst und Kunstgewerbe in Halle, Max Sauerlandt, Emil Noldes Gemälde „Das Abendmahl“. Das war „absolut gewagt“, sagt der heutige Direktor des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), Thomas Bauer-Friedrich. Denn an dem Kauf des expressionistischen Werkes entzündete sich bald ein heftiger Streit darüber, ob deutsche Museen zeitgenössische Kunst ankaufen sollten. Sauerlandt sollte allerdings mit seiner Linie, moderne Kunst auszustellen, Recht behalten, und sein Museum entwickelte sich durch viele weitere Erwerbungen und Leihgaben zu einer der wichtigsten Sammlungen der Klassischen Moderne.
Die Bedeutung nahm jedoch 1937 ein jähes Ende. Im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmten die Nationalsozialisten 147 Werke. „Dazu gehörten nahezu alle Gemälde und einige großformatige Aquarelle, also der repräsentative Kern der Sammlung“, so der heutige Direktor. Der Schaden war unwiederbringlich.
Das „Abendmahl“ (1909) von Emil Nolde stand am Anfang der Expressionismus-Schwerpunkts des Kunstmuseums Halle. Foto: SMK Photo, Jakob Skou-Hansen © Nolde Stiftung Seebüll |
Im Jubiläumsjahr „100 Jahre Bauhaus“ nun zeigt das Team des Kunstmuseums um Thomas Bauer-Friedrich, Anke Dornbach und Susanne Köller erstmals eine – so weit dies möglich ist – „Rekonstruktion der historischen Sammlung“. Von den konfiszierten Bildern konnten in den letzten 30 Jahren 15 zurückerworben werden. Zu DDR-Zeiten war dies nicht möglich, zumal den Herrschenden in der SED-Diktatur die Klassische Moderne suspekt war. Für die aktuelle Schau „Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback“ konnten jetzt zudem weitere 40 der von den Nazis geraubten Werke aus Sammlungen in Europa, Japan und den USA nach Halle geholt werden. Mit selten oder noch nie gezeigten Exponaten aus den eigenen Beständen sind in der Ausstellung nun rund 300 Werke zu sehen, darunter von Feininger, Heckel, Kandinsky, Kirchner, Klee, Kokoschka, Lissitzky, Marc, Rohlfs und Nolde, der wegen seiner zeitweisen Nähe zu den Nationalsozialisten stärker in die Schlagzeilen geraten ist. Präsentiert werden die Exponate in der Folge ihrer Erwerbungen bis 1939.
Werke auch mit religiösen Themen
„Entscheidend für den Erwerb von Arbeiten war deren herausragende künstlerische Qualität“, so Bauer-Friedrich. Dabei hätten sich die ersten Direktoren des Museums konsequent am „Puls der Zeit“ orientiert. Neben Porträts, Szenen menschlichen Miteinanders, Aktdarstellungen, Tieren, Landschaften und abstrakten Bildern finden sich auch Werke zu religiösen Themen, so „Das Abendmahl“ (1909) und Noldes „Judas bei den Hohenpriestern“ (1922), „Weibliche Heiligenfigur“ (1915-20) von Lili Schultz oder die Darstellung des heiligen „Sebastian in Blau“ (1909/10) von Albert Weisgerber. Auch die unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges entstandende Skulptur Wilhelm Lehmbrucks „Mutter und Kind“ (1918) lässt sich in ihrem Anklang an das Madonnen-Motiv durchaus dazu zählen. Die Skulptur wurde im Gegensatz zu Arbeiten des Künstlers in anderen Museen nicht von den Nazis beschlagnahmt. Zu den Werken religiöser Thematik gehört auch die nicht konfiszierte Christus-Mappe des rheinländischen Druckgrafikers Walter Prutz mit sechs Lithografien zur Passion. Warum der Bestand an Grafiken und Zeichnungen in Halle nicht beschlagnahmt wurde, darüber gibt es Theorien, aber keine endgültige Erklärung, sagt Bauer-Friedrich. Sehr wahrscheinlich hänge es mit dem klugen Vorgehen der Direktoren zusammen.
Direktor Thomas Bauer-Friedrich, hier vor Lyonel Feiningers Gemälde „Zirchow VI“ (1916). |
Eine Art kriminalistischen Fahndungserfolg hat Bauer-Friedrich mit dem von den Nazis beschlagnahmten Werk Paul Klees „Ein Vorspiel zu Golgotha“ (1926) erzielt. „Es hieß, dass das fantastische Aquarell in den 1980er Jahren in einer französischen Galerie gelandet war. Ich konnte über das Galeriearchiv die letzte Mitarbeiterin in Paris ausfindig machen, die wusste, dass das Werk von einer Käuferin aus Japan erworben worden war. 1997 war es dann in das Prefectural Art Museum Miyazaki im Süden Japans gelangt, das nun bereit war, es uns auszuleihen.“ Das Werk (Aquarell und Tusche) ist in blutroter Farbe gehalten. Es lässt den Kreuzweg Jesu zum Berg Golgotha in seinen vielen Facetten erahnen.
Sieben Halle-Gemälde Feiningers zu sehen
Von den einst elf beschlagnahmten und noch zehn existierenden Halle-Gemälden Lyonel Feiningers sind jetzt sieben zu sehen, drei sind im Bestand der Moritzburg. Zudem werden die dazugehörigen Studien gezeigt. Ausgestellt sind auch viele kunsthandwerkliche Arbeiten aus Keramik, Kupfer/Emaille und Goldgranulationen. Für die Ausstellung sind diese Arbeiten aus eigenen Beständen gründlich recherchiert und katalogisiert worden.
Dank Computer-Animation wird auch der 1927 von Bauhaus-Gründer Walter Gropius eingereichte Architekturentwurf für ein Ensemble mit Stadthalle, Kunstmuseum und Sportforum für Halle präsentiert, das nie gebaut wurde. Mittels Datenbrille kann im virtuellen Museum annähernd die gesamte einstige Sammlung zur Moderne angeschaut werden, also auch Werke, die nicht mehr ausgeliehen werden, zerstört sind oder deren Verbleib unbekannt ist.
Ganz real aber ist in einer eigenen Abteilung zudem die Begegnung mit Werken der Bauhaus-Künstler Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Georg Muche und Oskar Schlemmer möglich.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen.
Oben virtuell der Entwurf von Walter Gropius für eine Stadtkrone für Halle mit Stadthalle, Kunstmuseum und Sportforum, darunter Halle-Gemälde Feiningers und davor Kunsthandwerk. |
Die Ausstellung ist bis 12. Januar täglich außer mittwochs zu sehen. Sie wird von einem umfangreichen Programm begleitet. Mehr: www.kunstmuseum-moritzburg.de
Von Eckhard Pohl