Rechtzeitig das hohe Amt aufgeben

Rücktritte zur rechten Zeit

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Angela Merkel wird nach 18 Jahren den Parteivorsitz der CDU abgeben. Nicht ganz freiwillig, aber doch selbstbestimmt gibt sie ihr Amt auf. Eine solche Entscheidung zu treffen, fällt aber nicht jedem leicht. Egal ob Topmanager oder Vorsitzender eines Vereins – so manch einer hadert mit dem Rückzug.

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Stilvoller Abgang: Angela Merkel hat angekündigt,
den Parteivorsitz abzugeben und in der nächsten
Legislaturperiode kein Amt zu übernehmen.
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Im letzten Moment scheint Angela Merkel das gelungen zu sein, was zuvor Benedikt XVI. und Beatrix, Königin der Niederlande, geschafft haben: Sie haben ihr Amt freiwillig aufgegeben. Zugegeben, der Vergleich hinkt. Papst und Königin haben ein Amt auf Lebenszeit, Angela Merkel verzichtet lediglich auf eine weitere Kandidatur. Und dennoch: Verantwortung abgeben und loslassen – das ist gar nicht so einfach. „Angela Merkel fällt es vermutlich nicht so leicht, wie es derzeit erscheint“, sagt der Psychologe und Berater Michael Schmitz, der ein Buch über die Psychologie der Macht geschrieben hat. „Aber ich glaube, sie kann unterscheiden zwischen der Macht des Amtes und ihrer Person.“  


Diesen Unterschied erkennen nicht alle. Je länger eine Person eine Machtposition innehat, desto stärker verändern sich das Selbstverständnis und die eigene Wahrnehmung. „Das gilt für Politiker und Manager genauso wie für den Vorsitzenden des Sportvereins, den Vorsteher einer Gemeinde oder den Türsteher an der Diskothek“, sagt Schmitz. „Sie alle haben durch ihre Funktion die Möglichkeit, anderen etwas vorzuschreiben und Entscheidungen zu treffen, die andere beeinflussen.“
Als Benedikt XVI. am Rosenmontag 2013 seinen Rücktritt erklärte, dachten viele an einen Karnevalsscherz. Er sei „zur Gewissheit gelangt“, dass seine Kräfte aufgrund seines Alters nicht mehr geeignet seien, „um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben“, sagte Benedikt XVI. damals. Nur wenige Wochen später legte Beatrix im April 2013 als Königin der Niederlande ihre Aufgaben nieder und übergab das Zepter an ihren Sohn Willem-Alexander.


Wer Einfluss ausüben kann, der gibt diese Möglichkeit meist nur ungerne auf. Beispiele dafür gibt es viele, auch außerhalb der großen Politik: Der Unternehmer, der seinem Sohn die Leitung der Firma nicht zutraut, oder der Vorsitzende des Schützenvereins, der auch nach Jahrzehnten an der Spitze seinen Posten nicht für Jüngere räumen will. 


Es gibt verschiedene Arten von Macht, aber alle haben etwas gemeinsam: Um die Mächtigen sammeln sich Menschen, die besonders freundlich sind – nicht weil, sie die Menschen mögen, sondern weil sie sich von ihnen bessere Chancen erhoffen. „Diese Aufmerksamkeit später aufzugeben, ist schwer, weil man sich daran gewöhnt hat und das für selbstverständlich hält. Mächtige Menschen verstehen nicht mehr, dass das nicht mit ihnen als Person sondern nur mit ihrer Funktion zu tun hat“, sagt Schmitz. 
 

Wer andere Interessen hat, kann ein Amt leichter aufgeben

Aber wieso gelingt es einigen leichter als anderen, wichtige Posten aufzugeben? Das ist auch eine Charakterfrage: Wer besonders eitel ist und das Scheinwerferlicht braucht, um sich gut zu fühlen, dem wird ein Rücktritt schwerfallen. „Jemand, der sein Selbstbewusstsein nur aus seinem Amt zieht, hat ein Problem, es loszulassen“, sagt Schmitz. 
Wer aber eine Familie, einen Freundeskreis und Hobbys hat, dem falle es leichter. „Wer in eine Gemeinschaft eingebunden ist, der strebt nicht so sehr nach Machtfunktionen. Der hat eher das Gefühl: Ich bin gut so wie ich bin. Dafür brauche ich kein Amt“, sagt der Berater.

Kerstin Ostendorf