Anstoss 49/2018

„Rupfi“ wird geliebt und angenommen

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Der Erfurter Weihnachtsmarkt, der im Laufe der Jahre mit zu einem der schönsten Weihnachtsmärkte Deutschlands aufstieg und sich jetzt sogar mit den schönsten Europas messen lassen will, hat in diesem Jahr eine Besonderheit.


Diese besteht in seinem Weihnachtsbaum, was an sich ja nicht wirklich etwas Besonderes ist.
Jeder Weihnachtsmarkt hat einen Weihnachtsbaum. Doch Erfurts Baum, eine 27 Meter hohe Rotfichte, ist gelinde gesagt sehr licht. Sobald er aufgestellt war, sorgte er für Lacher, und er hatte auch schnell seinen Spitznamen weg: Rupfi. Denn genauso sieht er aus. Inzwischen allerdings lässt Rupfi sich gut vermarkten und sammelt sogar Spenden. In limitierter Auflage wurde ein eigens kreierter Button mit dem Hashtag #wirliebenrupfi produziert. Die Einnahmen kommen unter anderem dem Kinderhospiz Mitteldeutschland zugute.

Was ich sehr bemerkenswert finde, ist: Rupfi wird geliebt. Und das, obwohl er wirklich nicht schön, ja, von einem Bilderbuchweihnachtsbaum weit entfernt ist. Trotz seiner Makel oder wohl eher wegen seiner Makel wird er geliebt. Das ist erstaunlich. Denn im Leben von Nichtbäumen, namentlich von Menschen ist das keinesfalls immer selbstverständlich. Uns selbst gegenüber herrscht oft Unbarmherzigkeit. Das fängt schon bei der eigenen Person an. Zu dick, zu dünn, zu kurz, zu lang. Nicht klug genug, zu schnell erschöpft, unmusikalisch, nicht redegewandt usw.usw. Wer ständig seine Makel vor Augen hat, hat ein echtes Problem. Nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit seinen Mitmenschen. Wer durch die Brille des Makels schaut, kann die eigentliche Schönheit, das, was jemanden wirklich ausmacht, kaum erkennen. Bei anderen nicht und bei sich selbst nicht. Doch wie legt man die Brille des Makels ab? Manchmal scheint sie ja festgewachsen zu sein. Genügt es, mir zu sagen: Gott liebt dich, und zwar so wie du bist (und das gilt natürlich auch für meine Nächsten)? Ich glaube, wir müssen es uns auch selbst sagen: Ich nehme mich so an, wie ich bin. Ich erkenne wertungsfrei an, wie ich bin. Also statt „ich wäre gern“ lieber das „ich bin“, denn das Leben spielt sich nicht im Konjunktiv ab.
 
Andrea Wilke, Erfurt

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