Fachtagung pastorale! in Magdeburg war Ort des Aufbruchs

Schöpferische Minderheit zeigt, was in ihr steckt

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Klare Worte, konstruktive Gespräche: Die Fachtagung pastorale! in Magdeburg war ein Ort des Aufbruchs und der Zuversicht für eine selbstbewusstere Diasporakirche im Osten Deutschlands.

Eröffnung in der Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg: Thomas Pogoda, Direktor der Magdeburger Fachakademie für Gemeindepastoral, „dirigiert“ die pastorale!.    Foto: die pastorale! (die-pastorale.de) / Walter Wetzler (walter-wetzler.de)

 

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige mag den Begriff Diaspora nicht. „Das hat oft so einen muffigen Charakter und klingt nach Notstandsgebiet. Manchmal wird der Begriff auch verklärend verwendet im Sinne einer besonderen Kraft, die aus der Vereinzelung erwächst.“ Beides sieht Feige kritisch. Deshalb spricht er bei Diasporakirche lieber von einer „schöpferischen Minderheit – in ökumenischem Geist und in Kooperation mit anderen Partnern“.
Diese schöpferische Minderheit hat sich jetzt in Magdeburg zur dreitägigen pastorale! getroffen, eine Mischung aus Fachtagung, Ideenbörse und Erfahrungsaustausch. Über 1300 Menschen aus den fünf ostdeutschen Bistümern und darüber hinaus haben die Gelegenheit zum Gedankenaustausch über Kirche und Gesellschaft hierzulande genutzt. Rund 100 Veranstaltungen, darunter 70 Workshops und elf Vorträge standen auf dem Programm.
 

„Es geht nicht um ein Comeback der Kirche“
Manche Beobachter sprechen von einem kleinen „ostdeutschen Katholikentag“. „Dabei war der Fokus längst nicht so binnenkirchlich, wie er zuweilen bei Katholikentagen im Westen ist. Die Teilnehmer diskutierten nicht nur die Rolle der Christen in einem säkularen Umfeld. Sie dachten immer auch die Perspektive ,der anderen‘ mit, die keinerlei Bezugspunkte zu Kirche haben“, schreibt beispielsweise Karin Wollschläger von der Katholischen Nachrichtenagentur (kna).
Das kann zum einen damit zusammenhängen, dass die pastorale! nicht von oben, im Rahmen der offiziellen kirchlichen Strukturen organisiert wurde, sondern dass sich Mitarbeiter verschiedener ostdeutscher Verbände, Einrichtungen und Institutionen zusammengetan und die Veranstaltung konzipiert und umgesetzt haben. (Auch der Tag des Herrn gehörte zu den Mitveranstaltern.) Dabei konnte die Magdeburger pastorale! auf die Erfahrungen von zwei Vorgänger-Veranstaltungen 2006 und 2009 im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz zurückgreifen.
Ein anderer Grund für die weniger binnenkirchliche Perspektive war der Eröffnungsvortrag des Philosophen und Theologen Eberhard Tiefensee (Leipzig). Er machte den Teilnehmern gleich zu Beginn deutlich: Ein Perspektivwechsel ist nötig. Es brauchte eine kopernikanische Wende oder eine Umänderung der Denkart. „Es geht nicht um ein ‚Comeback der Kirche‘, sondern um ‚die anderen‘. Mission ist Sendung, nicht Magnetismus.“ Dabei gelte, dass der andere, der Nicht-Religiöse nicht defizitär ist, sondern eben anders oder fremd. Denn – so belegen verschiedenen Untersuchungen: Auch ohne Gott lässt es sich gut leben.
Tiefensee plädierte deshalb für eine Ökumene der dritten Art. Neben dem Gespräch unter den Christen und zwischen Christen und anderen Religionen geht es dabei um das Gespräch zwischen Religiösen und Nicht-Religiösen. Christen sollten natürlich den Glauben als eine Lebensweise vorschlagen, aber nicht versuchen, den anderen auf ihre Seite zu ziehen. Was aus dem Vorschlag wird, liegt bei Gott. Die Frage an alles kirchliche Handeln heiße deshalb: „Würden wir das auch tun, wenn es uns nichts bringt?“
Dass nicht wenige kirchliche Aktivitäten hierzulande von diesem Denken schon inspiriert sind, zeigte sich bei zahlreichen Workshops. Ob bei der Trauerbegleitung von konfessionslosen Menschen, bei religiöser Bildungsarbeit für bekenntnisfreie Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen oder bei den vielfältigen karitativen Angeboten.
 

Neues Selbstbewusstsein der Kirche im Osten
Die Bilanz der pastorale! ist positiv. „Das Interesse hat unsere Erwartungen klar übertroffen“, sagt Guido Erbrich, Pädagogischer Leiter des Roncalli-Hauses. „Hier war ein neues Selbstbewusstsein der Kirche im Osten spürbar. Beeindruckend, wie Menschen aus den unterschiedlichsten Positionen innerhalb der Kirche – Bischöfe, Hauptamtliche, Ehrenamtliche, Priester, Laien, Ordensleute – miteinander auf Augenhöhe diskutiert haben. Statt Polemiken und großen Kontroversen haben wir konstruktive und in der Sache offene Gespräche erlebt.“ Das mache auch für den geplanten gesamtdeutschen synodalen Weg Mut.
„Die Kirche im Osten ist in den letzten 30 Jahren vielfältiger geworden, und das konnte man im Roncalli-Haus erleben. Es mögen nur wenige Katholiken hier leben, doch ihr Engagement für Glauben, Kirche und Gesellschaft ist groß“, resümiert Daniela Bethge, die als Leiterin des Projektes „Ökumene-3-Praxis“ maßgeblich an der Planung und Durchführung der pastorale! beteiligt war.
 

Bei allem Nachdenken über die Zukunft der eigenen Kirche
schmoren die ostdeutschen Christen nicht im eigenen Saft. Thomas Pogoda, Direktor der Fachakademie für Gemeindepastoral im Bistum Magdeburg: „Der Wunsch, mit der Gesellschaft gemeinsam wirken zu wollen, ist bei allen groß. Der Blick auf die konfessionslosen Mitmenschen war allgegenwärtig – und auch die Bereitschaft, von den Mitmenschen zu lernen.“
Elisabeth Neuhaus, Leiterin der Hauptabteilung Pastoral im Bischöflichen Ordinariat Dresden, sagte rückblickend: „Ich habe hochengagierte Menschen erlebt, die ihrer Kirche sehr verbunden sind. Ich habe die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen wahrgenommen, zugleich aber ein Zögern in der Umsetzung. Beim konkreten Wie kommen die Widerstände – das ist ganz natürlich!“ Es zeige sich, dass Rahmenpläne, die einfach umgesetzt werden, nicht mehr funktionieren. „Es geht um eine Haltungsänderung.“ Die pastorale! sei „wie eine Tankstelle gewesen, die Kraft gibt für die Niederungen des Alltags“.

 

Das Team der pastorale! bei einem der Vorbereitungstreffen im Leipziger St. Benno Verlag.    Foto: Holger Jakobi

 

Drei Dinge hatte sich Bischof Feige zur Eröffnung gewünscht: Die pastorale! solle keine „Ostalgie-Veranstaltung“ sein, Denn: „Die besonderen Voraussetzungen in Ostdeutschland fordern uns vielmehr heraus, darüber noch einmal intensiver nachzudenken.“ Außerdem erhoffe er sich geistige Impulse und eine Intensivierung des Netzwerks. Während beides sicher in Erfüllung gegangen ist, gibt es bei der dritten Hoffnung nach „mehr Aufmerksamkeit anderer Bistümer und Regionen für unsere ostdeutsche Situation“ sicher noch Nachholebedarf, auch wenn sich aus den Bistümern Aachen, Hildesheim und München-Freising einige auf den Weg nach Magdeburg gemacht hatten.

Hinweis: Ab Mitte Oktober werden die Vorträge als Videomitschnitte online verfügbar sein. Eine Veröffentlichung in Buchform ist ebenfalls geplant. Bereits jetzt sind auf der Website die-pastorale.de Fotogalerien und Tageszusammenfassungen abrufbar.

Von Matthias Holluba
 

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