Johannes Rogge ist neuer Rundfunkbeauftragter des Erzbistums Berlin
Seelsorge auch digital denken
Johannes Rogge will neue Wege wagen – und daneben die bewährten Formate seines langjährigen Vorgängers Joachim Opahle fortsetzen. Foto: Erzbistum Berlin |
Herr Rogge, mit Ihrer Personalie hat in der Rundfunkarbeit des Erzbistums ein Generationenwechsel stattgefunden. Hat sich auch die Medienlandschaft verändert?
Mein Vorgänger Joachim Opahle sitzt sonntags um 20.15 Uhr vor dem Fernseher und schaut Tatort. Ich warte ab, ob ich was verpasst habe, und schau es mir irgendwann in der Mediathek an. Das gilt auch für die Rundfunkarbeit: Nach wie vor schalten die meisten Hörer am Sonntag um 10 Uhr ihr Radio ein, um die Gottesdienstübertragung anzuhören. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die sich auf YouTube einen passenden Gottesdienst aussuchen und ihn mitfeiern, wann es ihnen passt. Rundfunkarbeit ist nicht mehr auf Hörfunk und Fernsehen beschränkt. Das ist erfreulich, aber auch eine eigene Herausforderung.
Worauf kommt es bei der Arbeit mit sozialen Medien an?
Der Begriff „Social Media“ ist die Probe aufs Exempel: Ist wirklich „sozial“, was da passiert? Findet Interaktion statt, haben Emotionen Platz, wird auf „Netikette“ – auf den verträglichen Umgang miteinander im Netz – geachtet? Ist Platz für Spiritualität und Denkanstöße, werden unterschiedliche Meinungen ausgehalten? Facebook ist da sehr streng: Wenn wir Anfragen nicht zügig beantworten, gibt es Minuspunkte.
Wie in der realen Welt ist es entscheidend, da zu sein, eine offene Kirche, ein offenes Ohr zu haben, mit den Nutzern interagieren und kommunizieren, sich um die Leute kümmern.
Es geht also nicht nur darum, alle paar Tage ein Foto und dazu einen Satz aus der Bibel zu „posten“?
Das gehört auch dazu und hat seine Berechtigung. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Besonders die Beziehungsarbeit ist, was es zu einem „sozialen“ Medium macht, dazu gehören Verlässlichkeit und Kontinuität. Zum Beispiel haben wir in der Pandemie Gottesdienstformate für Instagram und YouTube entwickelt, die ich gerne verstetigen würde – ansonsten bleiben sie „Strohfeuer“. Eine gute Präsenz in den sozialen Medien aufzubauen, geht nicht von heute auf morgen. Man braucht eine gute Idee und ein Konzept, viel Durchhaltevermögen und auch personelle Ressourcen. Aber vor allem Spaß an der Sache!
Der Erfolg der Musikerin Helene Fischer wäre ohne die „Ochsentour“ nicht denkbar; jahrelang ist sie auf jedem noch so kleinen Dorffest aufgetreten, jetzt füllt sie die großen Arenen.
Social-Media-Plattformen wie „Facebook“, „Instagram“ und „YouTube“ sind verschieden. Muss Kirche die Nutzer entsprechend unterschiedlich ansprechen?
Auf jeder Plattform gelten andere Spielregeln. Auf Facebook werden viele Nachrichten veröffentlicht und es wird viel kommentiert. Die Leute wollen sich unterhalten lassen oder diskutieren.
Auf Instagram spielen Bildsprache und Ästhetik eine größere Rolle. Da versuchen wir beispielsweise Architekturbegeisterte über gute Bilder von Kirchen auch für Spiritualität und Glaube zu interessieren. Eine Gemeindereferentin aus dem Bistum Essen macht vor laufender Kamera „Bible Lettering“, also die künstlerische Gestaltung von Bibeltexten, während sie über die Frohe Botschaft spricht und sie auslegt.
YouTube hat sich während der Pandemie bewährt: Gemeinden konnten dort mit relativ geringem Aufwand ihre Gottesdienste übertragen – für viele ein echter Segen!
In den sozialen Netzwerken oder Medien geht es ja längst nicht mehr nur um Austausch und Vernetzung auf privater Ebene.
Genau. Soziale Medien sind auch ein großer Marktplatz und werden von Unternehmen, Institutionen und Prominenten genutzt. Sie haben verstanden, wie viele Menschen sie dort erreichen können und platzieren ihre Botschaft entsprechend.
Und die Kirche?
Mit dem Verweis, „das kann ja jemand machen, der zu viel Zeit hat“, nehmen wir die Entwicklung nicht ernst. Dabei können wir selbst beeinflussen, wie wir als Kirche in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Ein Konzern wie Mercedes Benz will vor allem Autos verkaufen. Dazu schärft er beständig die eigene Marke, und das nicht nur über TV-Werbung, sondern auch über die sozialen Medien.
Wir als Kirche haben die Chance, unsere „Produkte“ in einem neuen Umfeld zu präsentieren: überzeugende Seelsorgerinnen, Trost- und Segensangebote oder ein digitales Fürbittbuch. Und wir können Kirche überraschend zeigen, mit Inhalten, die nicht dem Klischee entsprechen. Als der BER in Berlin endlich eröffnet wurde, haben wir zu einer – aus katholischer Sicht – geradezu rasanten Fertigstellung gratuliert. Die Selbstironie hat funktioniert, das hätte mancher der Kirche so gar nicht zugetraut.
Wenn aktive Präsenz in den sozialen Medien so aufwendig ist: Lohnt sich das überhaupt?
Unbedingt, denn viele Menschen erreichen wir nur noch auf diesem Weg. Mir stellt sich dabei aber auch die Frage: Wie definieren wir unsere Ziele oder Erfolg? Geht es nur um die Anzahl der „Likes“? Und warum machen wir einen so großen Unterschied zwischen 180 Leuten auf YouTube und 200 Leuten im Gottesdienst vor Ort? In den Pfarreien betreiben viele Engagierte Medienarbeit mit hohem persönlichem Einsatz. Dafür bin ich total dankbar und ermutige sie, weiterzumachen – auch wenn die Inhalte ruhig noch mehr Leute erreichen könnten oder es manchmal technisch hakt. Das gehört mit dazu.
Manche fragen, ob Kirche unbedingt dem Trend folgen muss. Zumal es auch ethische Kritik an den großen Anbietern gibt.
Als Bistum oder Pfarrei sind wir im ständigen Aufmerksamkeitswettstreit mit wesentlich größeren Akteuren, die wir nicht übertreffen können. Auch die große Macht der Medienkonzerne macht mir Sorgen.
Aber mittlerweile sind zwei Generationen „digital“ aufgewachsen. Und wenn wir den Kontakt nicht verlieren wollen, müssen wir auch im digitalen Raum mitmachen. Viele Seelsorger tun dies bereits.
Was fehlt der Kirche, um im digitalen Raum noch präsenter mit ihren Themen zu sein?
Ich wünsche mir noch viel mehr Gesichter als digitale Glaubensvermittler, mit denen sich Menschen identifizieren können. Ich will noch mehr Gläubige ermutigen, relevant zu werden im Alltag von jungen Leuten, die viel Zeit mit Social Media verbringen. Paulus hat es vorgemacht: Kirche muss dahin gehen, wo die Menschen sind, die nach Gott suchen. Auch wenn es auf dem Areopag in Athen zunächst schief lief.
Auch digitale Pastoral ist Pastoral, nicht nur wenn sich eine Jugendgruppe im Gemeindehaus trifft. Auch wer auf „Twitch“ ein Computerspiel spielt und dabei über Gott und Glaubensthemen spricht, verkündigt die Frohe Botschaft. Alle Christen sind aufgefordert, Zeugnis von der Hoffnung zu geben, die sie trägt, ehrenamtlich oder hauptamtlich, analog oder digital – das darf man nicht gegeneinander ausspielen.
Apropos Twitch: Auf dieser Plattform geht es besonders laut und schrill zu. Ist Pastoral so überhaupt vorstellbar?
Wenn der bekannte Streamer „Montana Black“ seinem jungen Millionenpublikum von seinem engen Verhältnis zu seiner Oma erzählt, nach dem Motto: „Leute, das ist, was wirklich zählt im Leben“. Dann rufen danach viele ihre Oma an und fragen, wie es ihr eigentlich so geht. Seelsorge geht also auch, wenn es laut und schrill ist.
Besteht kirchliches Leben aber nicht vor allem aus persönlichen Begegnungen? Und was ist mit den klassischen Medienformaten, die nach wie vor noch viele Menschen verfolgen?
Auch wenn es mehr Arbeit ist: Natürlich werden wir das eine tun und das andere nicht lassen, wir bleiben in Radio und Fernsehen präsent. Ausgangspunkt und Ursakrament ist und bleibt die gottesdienstliche Versammlung. Aber es gibt viele Wege, sein Christ-Sein und seinen Glauben zu leben, auch in digitalen Räumen.
Interview: Stefan Schilde