Mit Engelsflügeln gegen Ressourcenverschwendung
Statement auf dem Katholikentag
Till-Martin Köster arbeitet seit Wochen an goldenen Engelsflügeln. Das Hilfswerk missio macht damit auf seine Handy-Sammelaktion aufmerksam.
Leise rieseln Kunststoff-Flöckchen durch den Raum und überziehen Boden, Stühle und Pullover mit einer weißen Schicht. Eine Atemschutzmaske verdeckt das Gesicht von Till-Martin Köster, der mit scharfem Messer einen großen Styropor-Block bearbeitet. Der Künstler, bis zu den Haarspitzen in einen blauen Overall gekleidet, schneidet und bohrt, schabt und reißt am Material. Das quietscht und splittert.
Stunden später zeichnen sich filigrane Linien auf der Oberfläche ab. Köster pausiert kurz, setzt die Maske ab, fährt sich mit den Fingern durch die Haare. "Ich bin der Handwerker," sagt er und schaut auf sein Werk. Das hat nun klare Konturen: Es ist das erste von zwei Modellen für je über zwei Meter große Engelsflügel, die auf dem Katholikentag in Stuttgart präsentiert werden sollen.
Es ist eine Skulptur, die im Auftrag das katholischen Hilfswerks missio entsteht. Es unterhält partnerschaftliche Beziehungen zu den Kirchen in Afrika, Asien und Ozeanien und unterstützt deren Projekte. Mit der Aktion Schutzengel hat sich missio schon gegen Kinderprostitution und für mit HIV infizierte Waisen sowie Menschen auf der Flucht eingesetzt. Aktuell engagiert sich das Hilfswerk beim Kampf gegen moderne Sklaverei.
Doch es geht missio auch um eine Bewusstseinsbildung in Deutschland. Deswegen ruft das Hilfswerk schon seit mehreren Jahren dazu auf, alte Handys zu spenden, die in den Schubladen ungenutzt in Vergessenheit geraten. Rund 200 Millionen sollen es Schätzungen zufolge sein, etwa 6.000 Kilogramm Gold sind in ihnen verbaut. "Goldhandys" nennt missio die Mobilfunkgeräte und hat schon rund 310.000 von ihnen gesammelt. Sie werden recycelt und wiederverwertet - und missio erhält pro Handy einen Betrag, mit dem Projekte etwa im Kongo finanziert werden.
Dort nämlich bauen Menschen unter oft gefährlichen und menschenunwürdigen Bedingungen die Rohstoffe für die Smartphones ab. Auch Künstler Köster, Jahrgang 1978, will mit seinem Werk auf diese Situation aufmerksam machen: "Mir geht es als Künstler darum zu zeigen, dass nicht alles einfach verfügbar ist und dass die Herstellung von Dingen Zeit kostet."
Stabilität und Langlebigkeit
Sein Atelier in Solingen ist mit den Flügeln gut ausgefüllt, an der Wand reihen sich weitere große Skulpturen nebeneinander. Corona und Krieg sorgen in den Baumärkten für Engpässe. Wochenlang arbeitet Köster an dem Projekt, hat genau geplant, welche Schritte er gehen muss, damit am Ende vergoldete und stabile Flügel auf dem Schlossplatz in Stuttgart stehen können.
Die beiden Styropor-Modelle bestreicht er mit Mörtel. Mal zieht dieser zu schnell an, mal ist er zu "frischkäsig", wie Köster sagt. Für den plastischen Eindruck brauche es die richtige Mischung. Der Künstler rennt ins Badezimmer, füllt Wasser nach in die Eimer mit dem Baustoff. Wenn der Mörtel getrocknet ist, zieht er mit einer Fräse wieder die Konturen des Flügels nach. Manchmal bricht ein Stück ab, Köster klatscht eine weitere Portion Mörtel auf die Skulptur. "In der Kunst ist vieles provisorisch", sagt er.
Später verlagert er seinen Arbeitsplatz nach draußen. Mit blauem Silikon umhüllt er die Modelle. Das Silikon soll, von einem Betonkasten eingehüllt, als Form dienen für die endgültige Skulptur: Köster gießt Harz in die Form, später kommt Glasfaser darauf. Aus dem groben Modell entstehen so filigrane und robuste Engelsflügel, die in einem letzten Schritt vergoldet werden.
Stabilität und Langlebigkeit sind die Stichworte, die auch für den Künstler entscheidend sind. Er habe sich durchaus Gedanken über die vielen Materialien gemacht, erklärt er - und wollte zugleich ein Kunstwerk schaffen, dass über Jahre hält und nicht nach wenigen Tagen in sich zusammenfällt.
Darauf hofft auch missio. Die goldenen Engelsflügel sollen nicht nur auf die "Aktion Schutzengel" aufmerksam machen und Menschen dazu animieren, Fotos mit den Flügeln zu machen und unter dem Hashtag #goldhandy in die Sozialen Medien zu posten. Sie seien auch ein Aufruf an Politik und Wirtschaft, nachhaltige Standards in Beschaffung und Produktion einzuhalten und umzusetzen.
kna