Bundestag entscheidet über Suizidbeihilfe

Sterben in Würde

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Eine Hand mit bunt lackierten Fingernägeln, die auf einem Bett liegt
Nachweis

Foto:  kna/Gordon Welters

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Neue Lebensfreude: Viola hat sich im Hospiz in Berlin die Fingernägel bunt lackieren lassen.

Am 7. Juli will der Bundestag über die Suizidbeihilfe entscheiden. Dabei geht es um die Frage: Was ist ein lebenswertes Leben – und was ein guter Tod? Zwei Frauen erzählen von Ängsten, Hoffnungen und letzten Wünschen.

Eigentlich will sie nicht mehr warten. „Der Tod ist gar nicht schlimm. Ich glaube, mir wird’s drüben gutgehen“, sagt Viola M. Sie will zu Andrei, ihrem Lebensgefährten, der im November unerwartet starb. Und zu ihrer Schwester, die Krebs hatte und schon ein paar Jahre tot ist. Aber dann ist da das Vogelgezwitscher, das von der Terrasse hereindringt. Und die Bäume vor dem Fenster, durch die der Wind fährt.  „Ich liebe alles Grüne“, erzählt die 50-Jährige.

Schmal wie ein Kind liegt sie auf dem Rücken, die Arme waagerecht von sich gestreckt. Sie sind beschwert von Kirschkernkissen, um schmerzhafte Spastiken zu verhindern. Viola hat Multiple Sklerose. Seit Jahren kann sie nicht mehr laufen, seit vielen Monaten fällt ihr das Sprechen sehr schwer. Sie benötigt intensive Pflege rund um die Uhr.

„Wenn ich mir was wünschen dürfte, möchte ich etwas glücklich sein“: Diese Zeilen von Marlene Dietrich haucht sie so leise, dass ihre Freundin Doreen sie laut wiederholen muss. „Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht, ob wir leben wollen oder lieber nicht“, lautet eine andere Zeile.

Zwei Gesetzentwürfe stehen zur Debatte

Tod oder Leben? Leben um jeden Preis? Gibt es einen würdigen, gar schönen Tod? Ist Leben immer lebenswert? Der Bundestag will am 7. Juli über eine gesetzliche Regelung zur Suizidbeihilfe entscheiden. Es liegen zwei Entwürfe vor. Ein liberaler ist stärker darauf angelegt, Suizid unter bestimmten Bedingungen zu ermöglichen. Der andere stellt den Schutz vor Missbrauch in den Vordergrund. Es soll ausgeschlossen werden, dass Menschen sich zur Selbsttötung gedrängt fühlen.

Viola kam kurz nach ihrem 50. Geburtstag Anfang Mai ins Hospiz der Caritas in Berlin-Pankow, um Sterbefasten zu machen: So wird der Freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken umgangssprachlich genannt. Den Gedanken an diese schnellere Herbeiführung des Todes hat sie nach wie vor im Kopf – aber festlegen möchte sie den Fastenbeginn erst mal nicht. „Es gab eine Zeit, da habe ich nur Schwarz getragen. Jetzt bin ich ganz bunt“, sagt Viola. Ihre Fingernägel sind rot, blau und lila lackiert. Vor ein paar Tagen hat sie sich auf ihren Arm ein Tattoo stechen lassen.

„Wir werden sie in keinem Fall zu etwas drängen. Frau M. hat hier neuen Lebensmut geschöpft“, sagt Anne Müller, die Pflegedienstleiterin des Hospizes. „Sein Leben beendet man nicht einfach so. Die Hoffnung stirbt wirklich zuletzt“, sagt die 42-Jährige. Dennoch sei Sterbehilfe bei ihren Gästen ein Thema. „Aber ernst gemeint ist es, so ist meine Erfahrung, in den seltensten Fällen. In der Regel ist so eine Aussage ein Hilfeschrei und keine Aufforderung.“

260 stationäre Hospize gibt es bundesweit. Die Idee ist, unheilbar Kranke und Sterbende bis zum letzten Tag zu begleiten, Lebensqualität zu ermöglichen und den natürlichen Lebens- und Sterbeverlauf zu akzeptieren. Suizidbeihilfe, also die Bereitstellung von tödlichen Medikamenten, findet nicht statt.
 
Drei Wochen sind die Kranken im Durchschnitt im Hospiz, bis sie sterben, so Müller. Manchem, dessen Ende laut ärztlicher Diagnose kurz bevorsteht, gehe es plötzlich besser, erzählt sie: Man werde gut gepflegt, bekocht, die Symptome ließen nach, die Todesangst werde weniger. „Für mich ist das eigentliche Problem, dass die Pflege, wie wir sie hier machen, für alle älteren und sterbenden Menschen gang und gäbe sein müsste. Jeder, der sein Leben gelebt hat, müsste so versorgt werden“, sagt Müller.

Rosemarie Lowack, 83 Jahre alt, lebt in einer Berliner Senioreneinrichtung der Diakonie, ist täglich auf Hilfe angewiesen. Ihre Wohnung ist liebevoll eingerichtet, Spitzendeckchen auf dem Tisch, Engelsfiguren an der Wand. Sie ist seit acht Jahren querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl – die Langzeitfolge eines Unfalls, den sie als Kind hatte.

Die ehemalige evangelische Religionslehrerin hat sich intensiv mit dem Thema Sterbehilfe auseinandergesetzt. Bereits vor 40 Jahren wurde sie Mitglied der Gesellschaft für humanes Sterben, die seit Jahrzehnten in Deutschland Sterbehilfe propagiert. 60 Euro kostet die jährliche Mitgliedschaft. Dafür wird man etwa juristisch beraten und es wird eine Freitodbegleitung vermittelt.

Der langsame Tod der Mutter prägte sie

So weit ist es bei Lowack noch nicht. Sie hat bisher keinen Antrag gestellt. Sie will aber sichergehen, einen „Notausgang“ haben. „Ich möchte würdevoll abtreten und nicht wie ein Häuflein Elend. Es beruhigt mich, zu wissen, dass ich nichts durchziehen muss, was mich abstößt.“

Der Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben sei auch deshalb gewachsen, weil sie immer mit Schmerzen gelebt habe. Hinzu kommt die Erinnerung an den Tod ihrer Mutter. Sie lag anderthalb Jahre im Koma. „Sie war eine so schöne, lebendige Frau. Und dann verschwand sie, wurde immer weniger. Sie verging geradezu. Das fand ich schrecklich. Ich will meinen Kindern das nicht antun“, erklärt sie. „Wem nützt es denn, wenn ich das durchstehe? Wem nütze ich überhaupt noch, wenn ich so krank bin?“

Und dass man eines Morgens aufwacht und weiß, dass man den Abend nicht mehr erleben wird? Besonders für ihre jüngere Tochter war das ein schwieriger Gedanke, gibt Lowack zu. Beide Töchter hätten ihr aber zugesichert, dass sie „diesen letzten Schritt“ mitmachen, wenn es soweit ist.

Es gibt Schweizer Studien, nach denen Angehörige mehr posttraumatische Belastungsstörungen haben, wenn ein geliebter Mensch Suizidbeihilfe in Anspruch genommen hat. Das könnte aber auch daran liegen, dass sie sich nicht trauen, über die Todesursache zu sprechen.

Sterbebegleiterin Anne Müller glaubt, dass der Abschied leichter fällt, wenn der Tod von selbst kommt. „Es ist eher ein Abschied auf Raten, man gewöhnt sich langsam daran, dass der andere bald nicht mehr da sein wird. Beim assistierten Suizid kommt für die Angehörigen viel nach – auch wenn es im ersten Moment vielleicht eine Erleichterung ist.“
 

Nina Schmedding