Konflikte in Gemeinden als Zerreißprobe

Streiten wie die ersten Christen

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Die Anlässe mögen nichtig sein oder gewichtig, immer häufiger werden Konflikte in Gemeinden zur Zerreißprobe. Streit gehörte von jeher mit zur Kirche. Lässt sich von den frühen Christen etwas für den Umgang mit Konflikten lernen? Ein Interview mit Hildegard König, Professorin für Kirchengeschichte in Dresden.

Streit zwischen den Aposteln Petrus und Paulus – französische Buchmalerei um 1250. | Foto: picture alliance
 
Auch in der frühen Kirche gab es manchen Zwist. Worüber haben sich denn die ersten Christen gestritten?
 
Wenn von den ersten Christen die Rede ist, denkt mancher zuerst an das Ideal, das in der Apostelgeschichte transportiert wird: „Sie waren ein Herz und eine Seele und hatten alles gemeinsam ...“ Das war aber keinesfalls die Realität damals, es war ein Ideal.
Die frühesten Hinweise auf Konflikte geben schon die Paulusbriefe. Bereits im ersten Korintherbrief warnt der Apostel vor Spaltungen, die sich an Personen entzünden: Die einen halten zu Apollo, die anderen zu Paulus ... Eine andere Bemerkung des Paulus zeigt, dass auch grundlegende Glaubensinhalte strittig waren: Der Glaube an die Auferstehung sei unverzichtbar, mahnt er in Korinth. Im Galaterbrief greift er in den Streit ein über die Frage, ob bekehrte Heidenchristen sich der Beschneidung unterziehen müssen oder nicht. Es geht hier also darum, wie man Christ wird.
In der später verfassten Apostelgeschichte geht es mehrfach um ganz konkrete Probleme: Einige Christen legten ihre Besitzverhältnisse nicht offen, gaben nicht alles ab und wurden dann dafür bestraft. Bei der Witwenversorgung fühlte sich eine Gruppe offenbar benachteiligt und legte Beschwerde ein.
Die Evangelien berichten zwar nicht unmittelbar von Konflikten der frühen Gemeinden, doch manches scheint hindurch, zum Beispiel im Markusevangelium: Jünger regen sich darüber auf, dass andere im Namen Jesu Wunder wirken, obwohl sie nicht zum Jüngerkreis gehören. Auch von einem Rangstreit unter Jüngern ist dort die Rede.
 
Offensichtlich waren die frühen Christen also eine durchaus bunte Gruppe mit vielfältigen Konflikten und Konkurrenzsituationen. Was war damals ausschlaggebend zum Erhalt des Friedens?
 
Wie erfolgreich Paulus mit seinen Versuchen zur Konfliktbewältigung war, wissen wir nicht. Im Fall der Witwenversorgung in der Apostelgeschichte ist erstmalig ein „Konfliktmanagement“ erkennbar. Die Gemeinde löste das Problem organisatorisch. Eine Aufgabenteilung sollte für mehr Gerechtigkeit sorgen: die Zwölf waren fortan nur für die Verkündigung zuständig; mit karitativen Aufgaben wurden andere beauftragt. Im Markusevangelium ist erkennbar, dass Jesus den Streitparteien eine neue Sichtweise auf die Situation eröffnet: Im Blick auf die Konkurrenz durch Menschen, die in seinem Sinne arbeiten, ohne zur Gemeinde zu gehören, fordert er mehr Gelassenheit und größere Offenheit an: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns ...“ Auf Rangstreitigkeiten reagiert er mit neuen Maßstäben für die Rangordnung: Der Rang seines Gemeindemitglieds soll sich daran messen, wie sehr er im Sinne Jesu Dienst leistet.
 
Bei heutigen Auseinandersetzungen hängt vieles von gelingender Kommunikation ab. Spielte die auch früher schon eine Rolle? Fühlten sich einzelne Gruppierungen übergangen, gab es Missverständnisse oder bewusst fehlerhafte Nachrichtenübermittlung?
 
Professor Hildegard König, TU Dresden

Ja, von jeher geht es bei allen Konflikten doch letztlich um Kommunikation. Ein Beispiel aus Korinth: Dort gab es um 96 nach Christus eine Situation, bei der Junge gegen Alte aufstanden. Vermutlich handelte es sich nicht um einen Generationenkonflikt, sondern eher um einen Konflikt zwischen Neugetauften oder Zugezogenen und Alteingesessenen. Jedenfalls war die Lage so verfahren, dass die Gruppierungen nicht mehr „miteinander konnten“. Die Gemeindemitglieder ersuchten um eine „Mediation“ von außerhalb. In einem Brief nach Rom baten sie um Hilfe bei der Schlichtung des Konflikts. Im Antwortbrief werden die Korinther darauf eingeschworen, dass sich jeder auf Christus besinne. Zum Schluss empfiehlt man: Wenn sich die Jungen nicht mehr in die Gemeinde einfügen können, sollen sie auswandern, vielleicht auch, um anderswo eine neue Gemeinde zu gründen. Es ist bemerkenswert, dass sie nicht exkommuniziert oder in anderer Weise abgewertet werden, sondern dass ihnen zugetraut wird, auf eigenen Füßen zu stehen und zur Ausbreitung des Christentums, das ja damals erst im Wachsen war, beizutragen.

 
Wie wichtig ist bei gemeindlichen Entscheidungen die Einvernehmlichkeit? Und was dient dem Frieden eher: eine Entscheidung auszusitzen oder etwas zu entscheiden, auch wenn nicht alle mitgehen können?
 
In der Weltstadt Rom führte es im zweiten Jahrhundert unter den  noch kleinen christlichen Gemeinden zu großer Verwirrung, dass die aus dem Osten zugewanderten Christen zu einem anderen Datum Ostern feierten als die Einheimischen. Die Zugewanderten feierten am Termin des Passchafestes, die Einheimischen am Sonntag darauf. Ein Bischof  Viktor meinte die Autorität zu besitzen, alle exkommunizieren zu können, die es anders machen als die eingesessenen Römer. Sein Kollege Irenäus von Lyon widersprach ihm entschieden: Es handele sich um eine Frage der Praxis. Wegen solcher Fragen sei in den christlichen Gemeinden noch nie jemand exkommuniziert worden. Wenn Christen eine andere Praxis pflegten, lade man sie zum Zeichen der Verbundenheit zu sich in den Gottesdienst ein. Darin steckt die Aufforderung, Komplexität auszuhalten und zu lernen, damit zu leben, anstatt sich darauf zu versteifen, alles gemeinsam und gleich tun zu müssen.
Einmütigkeit müssen Christen zeigen, indem sie alle sich an Jesus Christus ausrichten. Wenn sie nicht mehr miteinander reden können, ist das oft ein Hinweis darauf, dass diese Zentrierung nicht mehr funktioniert und dass ihnen eigentlich Unwesentlicheres wichtiger geworden ist. Zerstrittene Gemeinden sollten sich fragen: Was ist der Kern unserer Gemeinde, unseres Christseins?
 
Sind aus altkirchlichen Texten Konfliktregeln erkennbar?
 
Ignatius von Antiochien, ein Gemeindeleiter aus dem zweiten Jahrhundert, äußerte sich in einer Briefserie zu der Frage: Wie können wir die Einheit wahren? Er präsentierte ein Lösungsmodell, das so praktikabel war, dass es sich in den folgenden Jahrhunderten dauerhaft durchsetzte: Jede Gemeinde hat nur einen Bischof, der sagt, wo es langgeht. Der Bischof war das Zentrum der Gemeinde und der Garant der Einheit. Der eine Bischof und die Einheit der Gemeinde spiegelten die Einheit Gottes.
 
Ist erkennbar, welche Rollen Frauen in Konflikten spielten?
 
Sie spielten eine Rolle. Das ist der Kirchenordnung einer syrischen Gemeinde des dritten Jahrhunderts  zu entnehmen. Dort kritisiert der unbekannte Autor das pastorale Tun der Gemeinde-Witwen, die missionierten, unterrichteten, tauften, sich um Kranke kümmerten, Kontakt zu Exkommunizierten pflegten und Geld verwalteten. All dies, so betont er, sei Aufgabe des Bischofs. Die einzige Aufgabe der Frauen sei es, für die Gemeinde zu beten. An diesem und anderen Beispielen ist eine Entwicklung erkennbar: Je stärker die Gemeinden sich institutionalisierten, desto weniger hatten Laien und Frauen zu sagen, desto stärker konzentrierte sich Leitungsverantwortung auf den Klerus.
 
Hat sich der Umgang mit Konflikten durch die wachsende Institutionalisierung verändert?
 
Anfangs wurden Konflikte direkt oder durch Briefaustausch verhandelt, später in großen und kleineren Synoden, bei denen aber auch Laien ein Mitspracherecht hatten, sofern sie von dem jeweiligen Problem betroffen waren. Festzustellen ist aber auch: Je mehr Kirche zur Institution wurde, umso geringer wurde die Bereitschaft, andere Varianten dessen, was Christen glauben können, auszuhalten, und umso schneller wurden Christen als häretisch ausgegrenzt.
Diese Entwicklung hat nicht allen gefallen. Es ist bemerkenswert, dass im vierten Jahrhundert, als die Kirche durch die Religionspolitik des Kaisers Konstantin ein etablierter Kult wurde, einzelne Gruppierungen mit „Auswanderung“ reagierten: Es entstand die asketische Bewegung, die über kleine Gemeinschaften in der Wüste zum Mönchtum führte.
 
Was können Christen unserer Bistümer in den aktuellen Veränderungsprozessen aus der Alten Kirchengeschichte lernen?
 
Neue Herausforderungen bringen veränderte Aufgaben mit sich und die lassen sich nicht ohne Strukturveränderungen bewältigen. Gegenwärtig braucht es zum Beispiel eine größere Bereitschaft, auf Charismen in den Gemeinden zu setzen. Mit dem bisherigen Amtsverständnis passt das nicht zusammen. Und: Konflikte gehören zu jedem Veränderungsprozess hinzu. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass es Konflikte gibt. Hilfreich ist auch jetzt immer wieder neu die Ausrichtung auf Jesus Christus – und das Vertrauen darauf, dass der Geist Gottes auch im scheinbaren Chaos immer mit dabei ist. Auf wen sollten wir denn sonst vertrauen?
 
Interview: Dorothee Wanzek

Zum Nachlesen in der Bibel:
  • Apostelgeschichte (Apg) 5: der Besitz
  • Apg 6: die Witwen
  • Erster Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinth (1 Kor) 1,11ff: Warnung vor Spaltung
  • 1 Kor 15,12: Zweifel an der Auferstehung
  • Markusevangelium (Mk) 9,33ff: Konkurrenz der Jünger
  • Mk 9,38ff: Konkurrenz fremder Wundertäter im Namen Jesu

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