Die Katholische Studentengemeinde Halle und die Stasi-Spitzel
Trotzdem nicht allgegenwärtig
Die Katholische Studentengemeinde in Halle wurde wie erwartet von Stasi-Spitzeln ausgespäht. Doch das Informantennetz war kleiner als befürchtet. Das ist das vorläufige Ergebnis von fünfjährigen Recherchen.
In der Katholischen Studentengemeinde in Halle wurde jeweils zum Patronatsfest von den Studierenden ein Stück aufgeführt. 1960 war das das Drama „Die Gerechten“ des französischen Existenzialisten Albert Camus, das sich mit der ethischen Berechtigung von Revolutionen wegen deren möglichen unschuldigen Opfern beschäftigt. Die Anfrage an den auch in der DDR propagierten sowjetischen Revolutionsmythos lag auf der Hand. | Foto: privat |
„Wenn zwei oder drei von uns versammelt sind, ist ein Stasi-Spitzel mit dabei. Dieser an das berühmte Bibel-Wort angelehnte, sarkastische Satz kursierte in der KSG“, erinnert sich Johannes Piskorz (75), von 1962 bis 1968 als Medizinstudent in der Katholischen Studentengemeinde (KSG) Thomas Morus in Halle aktiv. „Wir sind damals von einer Stasi-Unterwanderung ausgegangen“, so der Vorsitzende des Fördervereins der KSG Halle. „Viele Jahre später nach der Friedlichen Revolution gab es dann die Möglichkeit, die dunstige Sicht auf diese Problematik ein bisschen aufzuhellen.“
In Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Erfurt (FKZE) nahm der langjährige Nervenarzt, Psychotherapeut und engagierte Katholik Johannes Piskorz ab 2012 Einsicht in die Akten des Staatsicherheitsdienstes der DDR (Stasi). Das Ergebnis der Recherchen fiel jedoch etwas anders aus als gedacht: „Wir haben insgesamt weniger Belege für eine Stasi-Bespitzelung gefunden als vermutet.“
„Ob Unterlagen am Ende der DDR gezielt vernichtet wurden oder eher chaotische Planlosigkeit das Geschehen bestimmte, ist unklar“, sagt Piskorz nach Beendigung seiner Recherchen. Und auch, ob die Gauck-Behörde jetzt alle vorhandenen Unterlagen gefunden habe, um sie für die Untersuchungen bereitzustellen, sei nicht zu sagen. Schließlich gebe es auch noch viele Säcke zerrissener Akten. „Andererseits ist mir von Fachleuten in Sachen Aufarbeitung gesagt worden, Berichte einzelner Informeller Mitarbeiter (IM) würden sich in der Regel mehrfach abgelegt finden: unter der bespitzelten Person und in der Akte des IM. Man kann also vermuten: Wenn an beiden Stellen nichts zu finden ist, dann gab es auch nichts.“
„Wir haben bei unseren Recherchen nach potenziellen Bespitzelungsopfern gesucht, also mit Hilfe uns bekannter Namen von gut 200 ehemaligen Mitgliedern der KSG Halle aus der gesamten DDR-Zeit“, sagt Piskorz. „Von der Gauck-Behörde wurden uns daraufhin 34 Akten ehemaliger Mitglieder der KSG Halle zur Einsicht bereitgestellt. Unter diesem Material waren sechs Akten von Tätern, von denen vier damals aktive Mitglieder der KSG waren.“
Gefunden hat Piskorz zum Beispiel, dass die Stasi die kurzzeitige Schließung des Domizils der KSG im Mühlweg 1975 durch den Magdeburger Bischof Johannes Braun „als Ergebnis der eigenen Zersetzungsarbeit einordnete und als ihren Erfolg verbuchte“. In den Unterlagen heiße es sinngemäß: Die Gruppe der Studenten, die zu Studentenpfarrer Josef Göbel (1970 bis 75) hielt, sei als „feindlich negative Gruppe aufgelöst worden“. „Das aber“, so Piskorz, „entsprach nicht den Tatsachen, da die Ursache für die Schließung innerkirchliche Auseinandersetzungen innerhalb der Studentengemeinde und mit dem Bischof waren.“
Einzelne KSG-Studenten wurden von der Stasi zur Kooperation gedrängt
1977 wurde in Prag die Petition „Charta 77“ veröffentlicht, die die in der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki festgeschriebenen Bürgerrechte der realen Situation in der kommunistischen Tschechoslowakei gegenüberstellte. Sehr schnell wurde das Papier auch in der DDR in Übersetzung verbreitet. „In der KSG Halle übernahm einer der fleißigsten IM auf Bitten des zu dem Zeitpunkt ahnungslosen Studentpfarrers Walter Richter (1975-78) die Vervielfältigung und meldete der Stasi brühwarm, wer sich einen Abzug geben ließ.“ Einzelne Studenten wurden daraufhin laut Stasiakten vom MfS zur Zusammenarbeit gedrängt, von denen einer zeitweise kooperierte. Ein anderer habe die Mitarbeit verweigert, die daraufhin befürchtete Exmatrikulation sei unerklärlicherweise ausgeblieben, obwohl die Anweisung dazu bereits schriftlich gegeben war.
Dr. Johannes Piskorz. | Foto: Eckhard Pohl |
Derselbe IM, der die Charta 77 vervielfältigte, berichtete detailliert über die Abläufe in der KSG, das Domizil der Studenten im Mühlweg („Mühle“) oder die Ferienhütte im thüringischen Frauenwald, so Piskorz. Er lieferte Namen mit Adresse, Studienrichtung und politischer Einstellung von KSG-Mitgliedern, von vermuteten Absichten der Republikflucht, Schilderungen von Predigten, Ansprachen und Besprechungen und Informationen über Mitglieder des Vertrauenskreises. „Ein besonderes Augenmerk“, so Piskorz, „lag auf Kontakten zu westdeutschen Studentengemeinden und zum Ausland: Der IM gab detaillierte Listen mit Namen, Adressen und Studienrichtungen der West-Studenten, die etwa an Wochenendtreffen in Berlin oder Messetreffen in Leipzig teilnahmen, an die Stasi. Immer wieder berichtete er intensiv und zum Teil sehr fantasiereich an der Realität vorbei von Kontakten zu den Studentengemeinden in Köln und Mainz.“ So hätten seinen Angaben zufolge BRD-Studenten „zehn Exemplare“ von „Solchenitzin“ und „50 bis 60 Exemplare“ von „Archipel“ und „Krepsstation“ (gemeint war der russische Schriftsteller und Dissident Alexander Solschenyzin und seine Bücher „Archipel Gulag“ und „Krebsstation“) in die DDR eingeschleust. Zudem, so Pis-korz, berichtete er über angebliche konspirative „Vertrauenskreise“ in Italien, Polen, der ČSSR, Ungarn, in der Bundesrepublik und der DDR, deren „feindlich negative Zusammenarbeit“ vorgesehen sei, bis dahin, dass er ein konkretes Treffen in der ČSSR mit Datum, aber noch ohne Ort zur Vernetzung der „Vertrauenskreise“ ankündigte und später dementieren musste.
Ein weiterer sehr fleißiger IM sei laut Stasi-Unterlagen ein Hallescher Professor gewesen, der damals zirka 50 Jahre alt war, regelmäßig in die KSG kam und einen intensiven persönlichen Kontakt zu den jeweiligen Studentenpfarrern pflegte. „Das war ein ziemlich zurückhaltender Mann, der durch seine Informantentätigkeit offensichtlich eine Bühne gefunden hatte, auf der er etwas darstellte. Er konnte dann auch ins westliche Ausland und in die Sowjetunion reisen.“ Auch er habe sich wie der überfleißige junge IM durch seine Tätigkeit möglicherweise bestätigt gefühlt, so Piskorz.
Ein anderer Student, der wegen des Verteilens von Flugblättern in Haft gekommen war, wurde im Knast als IM geworben. „Nicht zuletzt, weil er im Gefängnis gewesen war, hat man ihm dann in der KSG und im Umfeld des von kirchlich und gesellschaftlich engagierten Priestern und Laien 1969 gegründeten Aktionskreises Halle (AKH) zunächst sehr vertraut, sodass er viele Fakten, aber auch Fantasieprodukte weitergegeben hat“, so Piskorz.
Einige Studentenpfarrer waren besonders im Visier des MfS
„Trotz dieser und einiger weiterer IM und ihrer Aktivitäten scheint es dem Stasi angesichts zu geringer Bereitschaft von KSG-Mitgliedern zur IM-Tätigkeit nicht gelungen zu sein, ein flächendeckendes Bespitzelungsnetz in der KSG zu schaffen. In den Stasi-Unterlagen sind immer wieder Maßnahmepläne zur Werbung zu finden, die Planzahlen wurden jedoch nie erfüllt“, so Piskorz. „Ein besonders guter IM sollte ,intelligent, ehrlich, Student und katholisch‘ sein“.
„Das MfS hat sich auf Pfarrer und bestimmte Protagonisten eingeschossen und die Seelsorger mit möglichst vielen IM umgeben. Pfarrer Adolf Brockhoff (1954 bis 1966) war über die Jahre von zirka 20 IM umgeben, Pfarrer Göbel von zirka zehn.“ Studenpfarrer Brockhoff war zugleich Leiter des in Halle ansässigen Sprachenkurses für angehende Theologen. In dieser Zeit gelang es der Stasi, einen der Vorkursstudenten zur Mitarbeit zu gewinnen. Er berichtete haarklein über Alltagsabläufe und regimekritische Äußerungen von Brockhoff. Einmal wurden auf seinen Bericht über vergrabene Bücher hin von der Stasi Grabungen auf dem Gelände im Mühlweg durchgeführt, die die Informationen des IM als Fantasieprodukte entlarvten.
Aus den Opferakten gehe hervor, dass vier Studenten bei Werbungsversuchen eine Mitarbeit verweigerten. In die Untersuchung im Rahmen der Recherchen seien „nur die Unterlagen von ehemaligen KSG-Mitgliedern aufgenommen worden, die während ihrer Studienzeit als IM aktiv waren – oder als Mitglieder des Lehrkörpers die KSG für die Stasi ausforschten – beziehungsweise dafür vorgesehen waren und es verweigerten. Vereinzelte erfolgreiche Werbungen früherer KSG-Mitglieder während ihres späteren Berufslebens galten dem Ausforschen beruflicher Inhalte und wurden bei der jetzigen Untersuchung nicht berücksichtigt, ebensowenig, wie die Verweigerung der Stasi-Mitarbeit durch als IM vorgesehene ehemalige KSG-Mitglieder“, so Piskorz.
Von Eckhard Pohl