Evangelische Kirche will politisches Unrecht aufarbeiten
Übersehenes Leid anerkennen
Die Kirchen waren für viele Menschen in der DDR einer den wenigen Freiräume, sich abseits der geltenden Vorgaben des SED-Staates politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Doch gelegentlich haben auch die Kirchen versagt und so staatliche Sanktionen gegen missliebige Oppositionelle ermöglicht. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) will sich diesem Kapitel ihrer Geschichte jetzt widmen. – Das Foto entstand beim Evangelischen Kirchentag in Halle 1988. Foto: Imago/epd |
Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) will Verantwortung für interne Verfehlungen in der DDR-Zeit übernehmen. „Den Menschen, die sich in ihrem Leid bisher übersehen fühlten, soll Gerechtigkeit widerfahren“, sagte Oberkirchenrat Christian Fuhrmann dem Evangelischen Pressedienst in Erfurt. Auch wenn die Landeskirche für einmalige Zahlungen 500 000 Euro bereitstelle, gehe es nicht um Entschädigungen. Den Betroffenen sei die Anerkennung ihres Unrechtes am wichtigsten.
Der Landeskirchenrat hat jetzt ein Anerkennungsverfahren für Opfer der SED-Diktatur in den eigenen Reihen initiiert. Was versprechen Sie sich davon?
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat es eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Evangelischen Kirche in der DDR gegeben. Denken Sie nur an die leider manchmal ja auch erfolgreichen Versuche des Staates und der Stasi, auf kirchliches Handeln Einfluss zu nehmen, Menschen zu instrumentalisieren. Auf der anderen Seite steht, dass Christen und ihre Kirchen viel für die Demokratisierung des Landes unternommen haben, sie gerade auch in einem ökumenischen Prozess sehr viel für die Bewahrung der Schöpfung getan haben. Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren aber auch immer wieder deutlich, dass systemische, persönliche und –wie immer im Leben – auch irrtümliche Gründe zu Unrecht führten, unter dem Menschen leiden mussten und zum Teil bis heute leiden.
Diese Menschen sollen jetzt entschädigt werden?
Nein, wir wollen durch kirchliches Handeln verursachtes Unrecht anerkennen. Den Menschen, die sich in ihrem Leid bisher übersehen fühlten, soll Gerechtigkeit widerfahren. Sie können kein Unrecht allein mit Geld aus der Welt schaffen.
Aber für erlittene wirtschaftliche Schäden kann Geld als Form der Widergutmachung gezahlt werden?
Richtig, wobei diese Zahlung nur eine Form der Anerkennungen sind, die uns vorschweben. Andere Möglichkeiten sind, alte Disziplinarverfahren noch einmal unter die Lupe zu nehmen oder das öffentliche Eingeständnis von Schuld, das auch Eingang in Publikationen finden könnte. Möglich wäre auch die Befassung mit diesen Schicksalen in einem dritten Forum zum 2017 veröffentlichten Bußwort der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Das ja nicht nur für Freude bei den Christen, gerade unter denen mit DDR-Erfahrung, gesorgt hatte. Damals wurde der Alleingang des Landeskirchenrates unter der fast vollständigen Umgehung der Synode, des Kirchenparlaments, heftig kritisiert. Droht mit den jetzt eingeleiteten Anerkennungsverfahren erneut Ungemach?
Das denke ich nicht. Alle Synodalen waren persönlich zu den bisher zwei Bußwort-Foren eingeladen, die dort angesprochenen Schicksale wurden inzwischen publiziert. Erst im Herbst hat die Kirchenleitung die Synode über ihr Vorhaben, einen Anerkennungsausschuss einzurichten, informiert. Das Gremium soll in nicht öffentlicher Sitzung die Sicht derer, die sich als Opfer kirchlichen Handels sehen, anhören und prüfen. Auf der nächsten Tagung der Synode sollen die Kriterien für die Arbeit des Ausschusses vorgestellt werden.
Das Votum dieses Ausschusses ist dann bindend?
Es hat endgültigen Charakter, ja. Deshalb ist es uns auch sehr wichtig, dass alle drei Mitglieder jahrelange Erfahrungen mit dem Thema Aufarbeitung haben. Sie entscheiden mit Zweidrittel-Mehrheit. Zudem steht ihnen mit Pfarrer Christian Dietrich, dem früheren Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, als Geschäftsführer ein ausgewiesener Fachmann zur Seite. Dazu kommt als Ombudsfrau für die Opfer noch Hildigund Neubert.
Was ist die Rolle der früheren Thüringer Beauftragten für die Stasi-Unterlagen?
Sie steht den Opfern zur Seite, berät sie und schlägt dem Ausschuss die Befassung mit den Einzelschicksalen vor. Sie ist Lotsin und Vertrauensfrau in einem. Auf die Entscheidung des Ausschusses hat sie aber keinen Einfluss.
In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass es auch Gruppen von Menschen mit gleichen oder ähnlichen Schicksalen gibt, etwa junge Leute, die nicht studieren durften, Pfarrer mit Berufsverbot nach der Ausreise aus der DDR oder Betreuer in der offenen Arbeit, die mit ihren renitenten Schützlingen gleich mit diszipliniert wurden. Wie weit reichen da 500 000 Euro?
Ehrlich: Das weiß ich nicht. Wir haben geschaut, was in vergleichbaren Fällen bisher gezahlt wurde. Einem Pfarrer, dem nach der Ausreise aus der DDR die Ordination entzogen wurde, kann die Kirche jetzt nicht entgangene Rentenbeiträge nachzahlen. Noch einmal: Diesen Betroffenen ist die Anerkennung ihres Unrechts am wichtigsten.
Dennoch, wie viel Geld steht pro Einzelschicksal in Rede?
Wie gehen von einem Korridor von 10 000 bis 15 000 Euro pro Fall aus. Sie können aber jetzt nicht die halbe Million Euro nehmen und sie durch 10 000 Euro dividieren. Auch wenn der Ausschuss ehrenamtlich arbeitet, bedeuten die Verfahren dennoch einen finanziellen Aufwand. Aber diese Summe muss ja noch nicht das letzte Wort sein. Lassen Sie uns zunächst schauen, wie viele Betroffene sich melden. Die Verfahren und ihre Vorbereitung sollen aber nicht zur Dauerbeschäftigung werden.
Anträge könnten Menschen stellen, die haupt- oder ehrenamtlich für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen sowie für die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen – beide Landeskirchen fusionierten 2009 zur EKM – tätig waren. Erwarten sie ein unterschiedliches Echo aus den Gebieten der Vorgängerkirche?
Es ist immer wieder zu hören, dass eine der beiden staatstragender als die andere gewesen sein soll. Mit Blick auf einige der exponierteren Amtsträger lässt sich eine gewisse Nähe zur DDR-Obrigkeit auch sicher nicht absprechen. Kirchenhistorisch würde ich aber keine pauschale These wagen wollen, zumal sie vor dem Hintergrund der in den Verfahren zu klärenden Fragen auch wenig hilfreich erscheint.
Interview: Dirk Löhr