Fastenserie
Und wohin jetzt?
Foto: Adobestock/Gur
Wirklich viel wissen wir nicht über das Leben des historischen Jesus. Aber in einem sind sich die Bibelwissenschaftler ziemlich einig: Bevor Jesus öffentlich auftrat, bevor er anfing, als Prediger und Heiler durchs Land zu ziehen und Jüngerinnen und Jünger zu sammeln, lebte er eine Zeitlang in der Wüste.
Wie lange, wissen wir nicht. Die vierzig Tage, von denen die Evangelien sprechen, sind nicht im Kalender abgehakt, sondern den vierzig Jahren nachempfunden, die das Volk Israel gebraucht haben soll, um aus Ägypten aus- und ins Gelobte Land einzuziehen. Vierzig: eine heilige Zahl.
Vielleicht hat Jesus auch eine Weile bei den Essenern gelebt, bei jenen asketischen Männern, die ähnlich einer Ordensgemeinschaft zölibatär gelebt, den Tempelkult kritisiert und auf das nahende Gottesreich gewartet haben sollen und die geografisch in der Gegend von Qumran vermutet werden. Jesu Botschaft würde jedenfalls dazu passen.
Ich bin dann mal weg!
Aber egal ob in der Gemeinschaft eines Klosters oder ganz allein: Offenbar hat Jesus sich in die Wüste zurückgezogen, um herauszufinden, was seine Bestimmung ist. Offenbar war der Sohn des Zimmermanns nicht damit zufrieden, das zu tun, was man von ihm erwartete: wie seine Eltern in Nazaret zu leben; wie sein Vater Häuser zu bauen; wie alle Männer zu heiraten und Kinder zu zeugen. Jesus scheint ein schwieriger junger Mann gewesen zu sein. Den Eltern ungehorsam und auf der Suche nach sich selbst plötzlich einfach unterwegs. Ich bin dann mal weg!
Wenn heute junge Leute auf der Suche nach ihrem Lebensweg sind, dann gönnen sie sich manchmal ein sogenanntes Gap-Year, zu Deutsch: Lückenjahr. Dann machen manche nach Abschluss der Schule oder der Ausbildung, andere vielleicht nach Abbruch eines Studiums einige Zeit ... naja, wenn man gemein ist, könnte man sagen: gar nichts. Andere nennen es freundlicher: Orientierung. Oder Selbstbesinnung. Und das ist gar nicht so anders als Jesu Auszeit in der Wüste. Nur deutlich bequemer.
Denn was macht Jesus da in der Wüste? Er stellt sich seinen Hoffnungen, Wünschen, aber auch seinen Zweifeln und Ängsten. Er spricht mit seinem Gott und stellt sich seinen Dämonen, die ihn verunsichern. Er fragt danach, was Gott von ihm will und ob es sein kann, dass er ihn zu einem ganz anderen Leben berufen hat, als alle andere es erwarten. Denn eines ist doch klar: Jesus ist nicht mit dem Bewusstsein aufgewachsen: „Ah, ich bin Gottes Sohn und werde die Welt erlösen!“ Wer und was er ist, was sein Auftrag ist und wie er ihn angehen kann – diese Erkenntnis musste bei Jesus genauso wachsen wie bei jedem anderen Menschen.
Vielleicht denken Sie jetzt: Geht mich nichts an, ich habe meinen Platz im Leben längst gefunden; ich weiß, was der Sinn und das Ziel meines Lebens ist. Das ist schön, herzlichen Glückwunsch!
Es geht aber nicht allen so. Denn manchmal lösen sich alte Gewissheiten auf. Vielleicht aufgrund äußerer Umstände, einer Krankheit oder eines Unfalls zum Beispiel, aufgrund derer man seinen Beruf oder sein Lieblingshobby nicht mehr ausüben kann. Oder aufgrund eines Todesfalls in der Familie, der alle Selbstverständlichkeiten infrage stellt. Oder aufgrund einer Trennung, die uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Vielleicht auch nur wegen des Eintritts ins Rentenalter oder weil das jüngste Kind auszieht und man sich als Mutter oder Vater nicht mehr gebraucht fühlt.
Wer bin ich – jetzt in diesem Lebensabschnitt? Wo will ich hin – in der Zeit, die mir hier auf Erden voraussichtlich noch bleibt? Und was kann ich tun, um meine Ziele zu erreichen? Um solche Fragen zu beantworten, muss man sich nicht in die Wüste zurückziehen, schon gar nicht vierzig Tage. Aber ohne ein bisschen Rückzug, ohne etwas Stille und – ja – Einsamkeit wird es auch nicht gehen. Wer in der Alltagsroutine bleibt, hat selten den Kopf frei für Neues. Auch Jesus fand seinen Weg nicht auf der Baustelle in Nazareth.
Geht es uns vielleicht doch um Macht?
Und noch etwas gehört dazu: Ehrlichkeit zu sich selbst. Die drei Versuchungen Jesu, von denen Matthäus und Lukas erzählen, sind ja nichts anderes als innere Anfechtungen, die viele von uns kennen. Als da sind: Interessieren wir uns vielleicht in erster Linie doch vor allem für unser persönliches Wohlergehen, für Urlaub, Auto und das schöne Eigenheim? Geht es uns bei all unserem Engagement vielleicht doch um Macht, Einfluss und Ansehen? Und halten wir uns selbst für unfehlbar, unangreifbar?
Nein, sagen Sie jetzt bestimmt. Aber wie ist es, wenn Sie ganz ehrlich sind zu sich selbst? Jesus jedenfalls hatte mit diesen Fragen zu kämpfen. Und wenn es dem schon so ging ...