Ist der Zölibat heute hilfreich für Priester?
Ungeteilt für Gott
Verheiratete sorgen sich um die Dinge der Welt, Unverheiratete um die Sache des Herrn. So sagt es Paulus im Korintherbrief. Demnach ist die Ehelosigkeit hilfreich für den Dienst des Priesters. Pfarrer Thilo Wilhelm bestätigt das.
Thilo Wilhelm ist im besten Alter. 43 Jahre alt, zwei Hochschulabschlüsse, Leitungsposition. Schlank, ein fröhliches Wesen, nur die Haare werden langsam lichter. Andere in seinem Alter haben Haus, Ehefrau, Kinder. Wilhelm nicht. Vor mehr als zehn Jahren verzichtete er auf eine eigene Familie: 2007 wurde Wilhelm zum Priester geweiht. Schon ein halbes Jahr zuvor, bei seiner Diakonenweihe, hatte er den Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit, versprochen.
Wilhelm stammt aus einer katholischen Familie aus Hagen im Osnabrücker Land. Dort engagierte er sich in seiner Kirchengemeinde, war Messdiener und Firmkatechet. Nach dem Abitur studierte Wilhelm Betriebswirtschaft. „Mir war immer klar, dass ich ein Leben aus christlicher Verantwortung führen wollte“, aber eben nicht mehr. Noch nicht.
Während des Studiums reifte die Entscheidung, Priester zu werden. Ein besonderes Berufungserlebnis hatte er nicht, der Wunsch, sein Leben Gott zu widmen, entwickelte sich aber immer stärker, bis er sich schließlich entschied, Priester zu werden. „Ich wollte ganz aus dieser Beziehung zu Gott leben.“ Er machte sein BWL-Diplom, studierte Theologie, wurde zum Priester geweiht. Nach verschiedenen anderen Stationen ist Wilhelm nun Pfarrer der Domgemeinde in Osnabrück und als Regens für die Priesterausbildung im Bistum Osnabrück zuständig.
Ob er vor der Weihe mit dem Zölibat gerungen habe? Wilhelm überlegt kurz, dann sagt er: „Nein, die Frage des Zölibats stand für mich nicht im Vordergrund. Das schwang einfach mit“, gehörte für Wilhelm also einfach selbstverständlich zum Leben eines Priesters dazu. So hatte er es ja auch bei den Kaplänen in seiner Heimatpfarrei erlebt.
Viel Freiheit für Messe und Meditation, für Gebet und Seelsorge
Der Zölibat ist für Wilhelm sozusagen Teil des Gesamtpaketes des priesterlichen Lebens, er ist nur eine Facette. Es geht um das ganze Dasein, um die Frage, ob ein Mensch überzeugend als Priester lebt und wirkt. Etwa durch die Art, wie er Menschen, auch unbequemen, begegnet, um Armut oder in unseren Breiten vielleicht eher um eine gewisse bescheidene Lebensführung, eben um den ganzen Menschen und seinen Lebensstil. „Ist an meinem Leben sichtbar, dass ich Christ, dass ich Priester bin?“, fragt Wilhelm.
Radikal, mit aller Konsequenz will sich Wilhelm Gott zuwenden und verzichtet dafür auf Familie, Kinder und gelebte Sexualität. „Es geht um eine gewisse Exklusivität der Beziehung. Gott steht für mich an erster Stelle“, erklärt Wilhelm. Das meint Paulus, wenn er den Korinthern schreibt: „Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt.“
Völlig richtig findet Wilhelm, dass verheiratete Frauen und Männer Gott nicht immer an die erste Stelle setzen können, sondern sich oft dem Partner oder den Kindern zuwenden müssen. Er muss das nicht. Er ist frei für die lange Meditationszeit am Morgen, für die tägliche Messe, das Stundengebet, die Seelsorge.
Natürlich könne man auch in anderen Lebensformen Gott konsequent nachfolgen, sagt Wilhelm. Sein Weg sei eben der des zölibatären Priesters. Dass er diesen Weg gefunden hat – man kann es Gabe nennen, Geschenk, Charisma. So wie für andere die Ehe das Charisma ist. Wilhelm ist wichtig, dass das keine Gabe ist, die ihn hervorhebt oder auszeichnet.
Für ihn ist der Zölibat Gewinn: Er gewinnt die Freiheit, sich Gott zu widmen. Auch im praktischen Sinne, weil Gott nicht mit Terminen in Familie oder Beruf konkurrieren muss. Vor allem aber, weil er eine Freiheit des Herzens gewinnt, sich ungeteilt Gott widmen zu können. „Ich glaube, dass ich mich auch für den Zölibat entschieden hätte, wenn man es mir bei der Weihe freigestellt hätte“, sagt er.
Doch während andere nach einem schweren Tag nach Hause kommen und ihrem Partner das Herz ausschütten können, kommt der 43-Jährige in eine leere Wohnung. Keine Schulter, an die er sich anlehnen kann. Aber Gott, an den er sich wendet. „Wie Partner miteinander sprechen, um Kraft zu schöpfen, schöpfe ich diese Kraft aus dem Gebet. Ich bringe die Dinge, die mich bewegen, im Gebet vor Gott.“
Hilfreich sind Gespräche mit Freunden und mit dem geistlichen Begleiter
Im Alltag kann aber das Fehlen der sprichwörtlichen besseren Hälfte ein Risiko sein. Ein Partner ist ja oft auch Korrektiv und Stütze, um den großen und kleinen Versuchungen des Lebens zu widerstehen. Dass manche Priester daran scheitern, ist kein Geheimnis. Einige leiden unter Einsamkeit, andere verfallen dem Alkohol oder haben Probleme mit der eigenen Sexualität, verlieren sich vielleicht in Internetpornografie. Wilhelm weicht diesen Problemen nicht aus. „Unsere Chance ist, dass man darüber heute viel offener sprechen kann.“ Aber wie geht er selbst mit Versuchungen um? „Mir hilft das Gebet“, sagt er. Und Gespräche mit Freunden sowie mit seinem geistlichen Begleiter, mit dem er alle vier bis sechs Wochen über sein Leben spricht.
Thilo Wilhelm ist mit seinem Leben zufrieden. „Um des Himmelreiches willen“, wie es im Kirchenrecht heißt, hat er sich für den Zölibat entschieden. Schließlich kann der Zölibat ein Zeichen sein in einer Gesellschaft, in der Sex ständig gegenwärtig und verfügbar zu sein scheint. „Ich kann darauf verzichten, weil ich nicht alles im irdischen Leben haben muss“, sagt Wilhelm. „Ich setze auf eine Beziehung, die nicht nur innerweltlich ist.“
Von Ulrich Waschki