Guido Fuchs schreibt über schlechtes Benehmen
Unheilige Schimpftiraden
„Ich habe hin und wieder in die Tischkante gebissen“, erzählt Guido Fuchs – als er nämlich an seinem Buch „Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche“ arbeitete. Teil 4 unserer Serie über katholische Medienleute.
Von Hubertus Büker
Da wäre die Sache mit dem Kautabak. Die Männer, so berichten es Volkskundler aus dem Schweizer Lugneztal, mussten ihren Tabakklumpen des Sonntagmorgens vor dem Betreten der Kirche auf der Friedhofsmauer ablegen – und sich dessen Position in der langen Reihe der Brocken gut merken, um nach der Messe den eigenen genüsslich wieder in den Mund zu stecken. Allerdings stibitzten ein paar freche Schlingel unterm Hochamt manchmal die saftigsten Batzen. Oder sie vertauschten sie, was nach dem Kirchgang für ziemlich unheilige Schimpftiraden sorgte.
Eine zwar wenig appetitliche, aber doch amüsante Anekdote. Natürlich ist Guido Fuchs bei den Recherchen für sein Buch nicht nur auf heitere Begebenheiten gestoßen. In Gotteshäusern wird geschlafen und geschwätzt, gebettelt und geschachert, getrunken und geraucht, geprügelt und gepopelt. Das lässt einen dann und wann schmunzeln, zeugt aber ansonsten bestenfalls von Gedanken- und meistens von ungebührlicher Rücksichts- und Ehrfurchtslosigkeit.
Essen und Trinken: „Dazu können alle was sagen“
Trotz dieser ernsten Aspekte: Schlechtes Benehmen in der Kirche ist denn doch eher ein buntes Thema; eigentlich, möchte man meinen, unter der Würde eines promovierten Theologen und langjährigen Hochschullehrers. Für Guido Fuchs hingegen ist das ein typischer Stoff. „Ich habe mich relativ früh den grauen Bezirken der Liturgiewissenschaft zugewandt“, sagt der 67-Jährige.
Es fing an, als er sich mit dem Tischgebet beschäftigte und mit Tischsitten und ganz allgemein mit Essen und Trinken: „Da habe ich gemerkt, dass ich darüber mit vielen Leuten ins Gespräch komme.“ Wer könne schon über ein Messbuch aus dem 14. Jahrhundert mitreden? Essen und Trinken jedoch – „dazu können alle was sagen“. So sind im Lauf der Zeit mehrere Bücher zu diesem Themenkreis erschienen, außerdem über Riten an Heiligabend oder die Geschichte von Weihnachtsliedern. Da reiht sich das aktuelle Werk übers schlechte Benehmen in der Kirche gut ein.
Wissenschaft fern der Menschen und fern der Praxis ist eben nicht sein Ding. Seit über 30 Jahren verantwortet Fuchs „Liturgie konkret“, eine monatliche Gottesdiensthilfe aus dem Regensburger Pustet Verlag, die über 5000 Priester oder Leiterinnen und Leiter von Wort-Gottes-Feiern mit Anregungen, Modellen und Textvorschlägen versorgt. Und 2005 hat er das Institut für Liturgie und Alltagskultur in Hildesheim gegründet. Es beschäftigt sich mit allen Bereichen, „wo der Gottesdienst der Kirche in den Alltag der Menschen reicht und von wo die Liturgie wiederum vom Alltag Impulse empfängt“.
Das lässt nachfragen: Wie wirkt denn das normale Leben in die Gestaltung der Liturgie hinein? Fuchs nennt als Beispiel neue Gottesdienstformen. Da gebe es nicht nur die inzwischen vielerorts praktizierte „Frühschicht“ vor Arbeit- oder Schulbeginn; laufend entstünden weitere, teils kurzlebige und mit Vorliebe englisch bezeichnete Formate wie „Workout-Gottesdienste“, „bet & breakfast“ oder „brunch & pray“.
Fuchs erkennt auch im Auftreten des Priesters im Gottesdienst durchaus Einflüsse der heutigen Zeit, etwa Spurenelemente aus dem Showgeschäft. „Das wird in der Ausbildung ja auch richtig gelehrt: Wie trete ich auf? Wie spreche ich? Was sind meine Gesten?“ Zu Beginn des Gottesdienstes werde mitunter die im Messbuch vorgesehene geistliche Einstimmung auf das heilige Geschehen zu einer herzlichen, vielleicht auch betont lockeren Begrüßung umfunktioniert, und manchmal erscheine der Priester als eine Art Moderator des Gottesdienstes.
Swing und Pop: „Große musikalische Liebe“
Fuchs ist die Unterhaltungsbranche nicht fremd. Neben Theologie hat er Musikwissenschaft studiert und es überrascht nicht, dass er einen Hymnus-Chor leitete und bis heute als Kantor und Organist aktiv ist. Seine „große musikalische Liebe“ aber ist das „Savoy Ballroom Orchestra“, eine Bigband mit einem Repertoire vom Swing über Tanz- bis zu Popmusik. Ende der 1980er Jahre stieß er zu dem mehrfach preisgekrönten Orchester, ansässig in dem kleinen Dorf Bütthard in der Nähe von Würzburg, wo Fuchs an der Uni lehrte. Seit er in Hildesheim lebt, sind regelmäßige Auftritte mit dem Orchester nicht mehr drin, aber „bis vor zwei Jahren bin ich immer mal wieder eingesprungen“. Er habe sie sehr genossen, sagt Fuchs, „diese ganz andere Welt mit normalen Leuten“. Will sagen: die mit Theologie erfrischend wenig am Hut haben.
Auch Guido Fuchs möchte sich künftig von der Theologie nach und nach verabschieden und sich mehr der Literatur zuwenden. Nein, keine Romane schreiben. Er hat bereits zwei Anthologien vorgelegt, also Sammlungen literarischer Texte zu bestimmten Motiven, und möchte das gerne fortführen. Eine der beiden Anthologien mit Texten von Heinrich Böll, Gertrud Fussenegger, Günter Grass, Herta Müller und vielen anderen beweist, dass sich solche Projekte mit seinen Leib-und-Magen-Themen wie Essen und Trinken sogar verbinden lassen. Das Buch heißt: „In der Bahnhofsgaststätte. Ein literarisches Menü in zwölf Gängen.“