Anstoß 01/22

Vehemenz übertragen

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Vor einiger Zeit suchte ich ein passendes Foto für einen Beitrag. Inhaltlich ging es um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie.


Diese verschäfen für einige Personengruppen – beispielsweise Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen, geringfügig Beschäftigte, ... – hier in unserem Land ihre oft ohnehin schon etwas schwierige Lage noch. Nach dem Durchforsten mehrerer Portale, die Fotomaterial anbieten, wurde ich fündig. Doch einfach war das nicht. Es gibt zwar Unmengen an Bildern, die Menschen in Not und Elend zeigen; allerdings handelte es sich dabei immer um Länder, die zu den ärmsten der Welt zählen. Ein Bild mit hiesigen Menschen, die zum Beispiel zur „Tafel“ oder Suppenküche gehen, fand ich nicht.
Dabei gibt es sie, die Menschen, die nicht mithalten können, so sehr sie sich auch mühen. Sie versuchen, es so gut es geht zu verbergen. Bis auf den einen oder anderen Obdachlosen, der öffentlich bettelt und dem die Mehrheit ausweicht, wird die Armut versteckt. Oder machen wir uns nur nicht die Mühe, genauer hinzusehen? Bei den Gedanken an die gerade genannte Armut bei uns, die nicht kleinzureden oder zu relativieren ist, habe ich aber auch die Bilder der Armen vor Augen, bei denen es ums nackte Überleben geht. Bei denen auf der Speisekarte „Hunger“, wenn nicht gar „Verhungern“ steht. Haben wir uns an die Bilder gewöhnt? An primitive Kommentare wie „würden die nicht so viele Kinder kriegen, dann...“, an resigniertes Schulterzucken „man kann nicht allen helfen“, an Unterstellungen a la „wer weiß, wo die Spenden wirklich hingehen“ ...
Ich will nicht verkennen, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich hier vor Ort und auch über die Grenzen hinweg, je nach ihren Möglichkeiten, sehr für die Armen und ein menschenwürdiges Leben einsetzen.

Ich wünsche mir für das neue Jahr, dass mit der gleichen Vehemenz, mit der für die Corona-Impfung geworben wird, sich jeder seiner Verantwortung für das Wohlergehen aller bewusst ist. Uns sind, weiß Gott, nicht alle Hände gebunden. „Impfen ist in dieser Pandemie eine Verpflichtung aus Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe“, hieß es von den deutschen Bischöfen. Jemanden vor dem Hungertod zu bewahren doch auch, oder?
 
Andrea Wilke, Erfurt