Essener Tafel will wieder Ausländer aufnehmen
Versöhnliche Signale
Die Zeichen stehen auf Versöhnung: Die Essener Tafel will in Kürze wieder Ausländer aufnehmen.
Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm auslösen? Fest steht, dass manchmal kleine Anlässe eine große Debatte nach sich ziehen. So geschehen nach dem Beschluss der Essener Tafel, vorerst keine Ausländer mehr neu in ihre Kartei aufzunehmen und zu versorgen.
Der Beschluss des Trägervereins, bereits am 10. Januar gefasst, löste ab Ende Februar eine ganze Kaskade von emotionalen Debatten über vermeintlichen Rassismus sowie die Sozial- und Flüchtlingspolitik in Deutschland aus. Zu ihrem 25-jährigen Bestehen in diesem Jahr hätten sich die bundesweit mehr als 900 Tafeln sicher eine bessere PR-Kampagne gewünscht.
Jetzt scheint sich die Lage zu beruhigen: Bei einem "Runden Tisch" beschlossen die Verantwortlichen, den Aufnahmestopp für Ausländer voraussichtlich Ende März aufzuheben. Sollte es erneut zu Engpässen kommen, sollten besonders Alleinerziehende, Familien mit minderjährigen Kindern sowie Senioren - egal welcher Herkunft - bevorzugt aufgenommen werden, teilte die Stadt Essen am Sonntag mit.
Die Zeichen stehen auf Versöhnung: Beim "Runden Tisch" bedankten sich die Essener Migrantenselbstorganisationen ausdrücklich für die Arbeit der Tafel und kündigten an, die eigenen Mitglieder zu mobilisieren, sich ehrenamtlich zu engagieren. Zuvor war Jörg Sartor auf der Mitgliederversammlung des Tafel-Trägervereins am Samstag mit deutlicher Mehrheit als Vorsitzender bestätigt worden. Er hatte zwischenzeitlich seinen Rücktritt erwogen.
Zunächst hatte der Beschluss der Essener Tafel zu einer Rassismus-Debatte geführt: Weil der Anteil nicht-deutscher Klienten auf drei Viertel angestiegen war, wollte die Essener Tafel nur noch Deutsche als Neukunden aufnehmen. Durch Flüchtlinge und Zuwanderer seien ältere Tafel-Nutzerinnen und Alleinerziehende einem Verdrängungsprozess zum Opfer gefallen, so die Begründung. Besonders unter den Syrern und Russlanddeutschen wollte Tafel-Chef Sartor "ein Nehmer-Gen" ausgemacht haben.
Kritik der Politiker
Flüchtlinge, die bedürftigen Deutschen etwas wegnehmen - das war Wasser auf die Mühlen der AfD. Nicht nur die Gründerin der deutschen Tafel-Bewegung, Sabine Werth, distanzierte sich von der Auswahl nach Pass. Sogar die Bundeskanzlerin meldete sich zu Wort: "Ich glaube, da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen", erklärte sie - und stach damit in ein - auch innerparteiliches - Wespennest.
Von Jens Spahn über Grünen-Chef Robert Habeck bis zu FDP-Chef Christian Lindner reichte die Reihe der Merkel-Kritiker: "Wenn Helfer bedrängt werden, dann sollte die Politik die Tafel nicht kritisieren, sondern Hilfe anbieten", sagte Lindner. Und Spahn erklärte: Wenn junge Männer "derart dreist und robust" aufträten, finde er es richtig, Maßnahmen zu ergreifen.
Doch der Konflikt führte auch zu einem Streit über die Sozialpolitik. "Die Armen prügeln sich um die Krümel, die von den Tischen der Reichen fallen", hieß es polemisch zugespitzt. Es sei eine Schande, dass ein Land mit einem Haushaltsüberschuss von 36 Milliarden Euro überhaupt Tafeln brauche, kritisierte etwa Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.
Dem widersprach am Wochenende Jens Spahn: "Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe", sagte er. Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut. "Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht."
Eine Argumentation, die der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, so nicht unterschreiben will. "Tafeln sind nicht dazu da, politische Probleme zu bewältigen. Sie sind entstanden, weil Ehrenamtliche keine Lebensmittel vergammeln lassen wollten", erläuterte der Prälat. "Statt auf die Tafeln zu setzen, muss die Politik dafür Sorge tragen, dass Armut entschieden bekämpft und letztlich vermieden wird", sagte er. Der Chef des Deutschen Caritasverbandes forderte eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um mindestens 60 Euro im Monat. Richtig sei, dass in Deutschland niemand verhungern müsse. Es gehe aber auch darum, den Armen ein menschenwürdiges Leben und ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen.
kna