Jüdischer Geigenbauer lässt Geigen von Holocaust-Opfern erklingen
Violinen der Hoffnung
Image
Angeregt von einem früheren Auszubildenden aus Dresden, kämpft ein jüdischer Geigenbauer gegen das Vergessen der Schoah an. Mit Instrumenten, die einstmals Holocaust-Opfern gehörten, reist er um die Welt.
Amnon Weinstein in seiner Werkstatt mit Geigen, die einst Holocaust-Opfern gehört haben. | Fotos: Familie Weinstein |
In einer ruhigen Nebenstraße im pulsierenden Tel Aviv liegt die Werkstatt von Amnon Weinstein. Beim Betreten der Räume könnte man meinen, man sei in eine andere Zeit gereist. In der Luft liegt ein Duft von Leim, Lack und Holzstaub. An den Wänden hängen fein säuberlich sortiert diverse Hobel-, Klemm- und Schraubwerkzeuge. Der 79-jährige Weinstein betreibt eine Geigenbauwerkstatt und zählt mit seinem Handwerk zu den berühmtesten Geigenbauern der Welt.
„Wenn du sie nicht kaufst, zerbrechen oder verbrennen wir sie“
Sein Vater, Moshe Weinstein, ist 1938 von Polen nach Palästina emigriert und eröffnete dort eine kleine Werkstatt im Keller eines Mehrfamilienhauses. Durch eine Kooperation mit dem renommierten „Palestine Symphony Orchestra“ verschaffte sich Moshe einen guten Ruf weit über die Stadtgrenzen von Tel Aviv hinaus.
Viele europäische Juden, die vor den Nationalsozialisten nach Israel geflohen waren, kamen in seine Werkstatt und übergaben ihm ihre Violinen und die Violinen ihrer Angehörigen. Sie konnten und wollten die Instrumente, die sie an die Grausamkeiten der Schoah erinnerten, nicht bei sich behalten.
„Die Musiker kamen zu meinem Vater und sagten: ,Wenn du unsere Instrumente nicht kaufst, dann zerbrechen oder verbrennen wir sie‘“, erinnert sich Amnon Weinstein heute. Diese Vorstellung sei für seinen Vater als passionierten Geigenbauer unerträglich gewesen: „Obwohl er wusste, dass er sie nie weiterverkaufen könnte – denn deutsche Produkte wurden nach der Schoah von Juden gemieden – kaufte er viele Violinen auf“.
So kam die Familie Weinstein zu einer großartigen Sammlung der besten in Deutschland gebauten Instrumente. Diese lagerte Moshe Weinstein in einem großen Schrank ein. Mehr als sie einzulagern konnte er jedoch nicht tun, denn zu groß war sein eigener Schmerz. Über die Zeit verstaubten die Violinen in der kleinen Werkstatt in Tel Aviv und waren verstimmt.
In den 1980er-Jahren öffnete Amnon Weinstein aus Neugierde den alten Violinenschrank seines Vaters und entdeckte in einer der eingelagerten Instrumente edle Gravierungen. Die Leidenschaft für seinen Beruf war größer als das Unwohlsein, das er beim Öffnen des Schrankes verspürte. Er recherchierte und fand heraus, dass der Besitzer der Violine in Auschwitz interniert war und im Männerorchester des Vernichtungslagers spielen musste. Weinstein kam zu der Einsicht: „Ich musste die Violinen wieder zum Klingen bringen – auch als Zeichen gegen das Vergessen.“ Dabei wollte er die Geschichten der ehemaligen Besitzer herausfinden und bewahren. An manchen Instrumenten musste er nur Regen- und Schneespuren beseitigen, andere bedurften einer Generalüberholung. Mitunter verbrachte er ein halbes Jahr damit, den Lack eines einzigen Instruments zu restaurieren. Im Jahr 1992 kam ein Dresdner Bogenmacher, Daniel Schmidt, zu Amnon Weinstein nach Tel Aviv. Auf der Suche nach dem Exotischen und fasziniert von der jüdischen Kultur erfüllte sich der junge Sachse mit seinem Besuch in Israel einen Lebenstraum.
Sowohl handwerklich als auch zeitgeschichtlich lernte er viel von Weinstein. „Besonders angetan war ich von den unzähligen deutschen Violinen, die ich in der Werkstatt meines Lehrmeisters entdeckte“, sagt Schmidt heute, der mittlerweile selbst eine Bogenmacherwerkstatt in Dresden
betreibt. Schmidt ließ sich von seinem Lehrmeister die Geschichten erzählen, die mit den Violinen verbunden sind. Eines der Instrumente gehörte beispielsweise Erich Weininger.
Es hat den jungen Mann auf einem Leidensweg durch die Konzentrationslager in Dachau und Buchenwald, dem erzwungenen Aufenthalt auf Mauritius bis hin zu seiner Immigration nach Palästina 1945 begleitet. Moshe Weinstein bekam die Violine später von einem Angehörigen des Musikers.
Sein Vater, Moshe Weinstein, ist 1938 von Polen nach Palästina emigriert und eröffnete dort eine kleine Werkstatt im Keller eines Mehrfamilienhauses. Durch eine Kooperation mit dem renommierten „Palestine Symphony Orchestra“ verschaffte sich Moshe einen guten Ruf weit über die Stadtgrenzen von Tel Aviv hinaus.
Viele europäische Juden, die vor den Nationalsozialisten nach Israel geflohen waren, kamen in seine Werkstatt und übergaben ihm ihre Violinen und die Violinen ihrer Angehörigen. Sie konnten und wollten die Instrumente, die sie an die Grausamkeiten der Schoah erinnerten, nicht bei sich behalten.
„Die Musiker kamen zu meinem Vater und sagten: ,Wenn du unsere Instrumente nicht kaufst, dann zerbrechen oder verbrennen wir sie‘“, erinnert sich Amnon Weinstein heute. Diese Vorstellung sei für seinen Vater als passionierten Geigenbauer unerträglich gewesen: „Obwohl er wusste, dass er sie nie weiterverkaufen könnte – denn deutsche Produkte wurden nach der Schoah von Juden gemieden – kaufte er viele Violinen auf“.
So kam die Familie Weinstein zu einer großartigen Sammlung der besten in Deutschland gebauten Instrumente. Diese lagerte Moshe Weinstein in einem großen Schrank ein. Mehr als sie einzulagern konnte er jedoch nicht tun, denn zu groß war sein eigener Schmerz. Über die Zeit verstaubten die Violinen in der kleinen Werkstatt in Tel Aviv und waren verstimmt.
In den 1980er-Jahren öffnete Amnon Weinstein aus Neugierde den alten Violinenschrank seines Vaters und entdeckte in einer der eingelagerten Instrumente edle Gravierungen. Die Leidenschaft für seinen Beruf war größer als das Unwohlsein, das er beim Öffnen des Schrankes verspürte. Er recherchierte und fand heraus, dass der Besitzer der Violine in Auschwitz interniert war und im Männerorchester des Vernichtungslagers spielen musste. Weinstein kam zu der Einsicht: „Ich musste die Violinen wieder zum Klingen bringen – auch als Zeichen gegen das Vergessen.“ Dabei wollte er die Geschichten der ehemaligen Besitzer herausfinden und bewahren. An manchen Instrumenten musste er nur Regen- und Schneespuren beseitigen, andere bedurften einer Generalüberholung. Mitunter verbrachte er ein halbes Jahr damit, den Lack eines einzigen Instruments zu restaurieren. Im Jahr 1992 kam ein Dresdner Bogenmacher, Daniel Schmidt, zu Amnon Weinstein nach Tel Aviv. Auf der Suche nach dem Exotischen und fasziniert von der jüdischen Kultur erfüllte sich der junge Sachse mit seinem Besuch in Israel einen Lebenstraum.
Sowohl handwerklich als auch zeitgeschichtlich lernte er viel von Weinstein. „Besonders angetan war ich von den unzähligen deutschen Violinen, die ich in der Werkstatt meines Lehrmeisters entdeckte“, sagt Schmidt heute, der mittlerweile selbst eine Bogenmacherwerkstatt in Dresden
betreibt. Schmidt ließ sich von seinem Lehrmeister die Geschichten erzählen, die mit den Violinen verbunden sind. Eines der Instrumente gehörte beispielsweise Erich Weininger.
Es hat den jungen Mann auf einem Leidensweg durch die Konzentrationslager in Dachau und Buchenwald, dem erzwungenen Aufenthalt auf Mauritius bis hin zu seiner Immigration nach Palästina 1945 begleitet. Moshe Weinstein bekam die Violine später von einem Angehörigen des Musikers.
Amnon Weinsteins Sohn Avshalom unterstützt das Projekt des Vaters von Istanbul aus. |
Die Geschichten der Violinen müssen erzählt werden
Erschreckt und fasziniert zugleich motivierte Daniel Schmidt seinen Meister, diese Geschichten öffentlich zu machen. Nachdem der Bogenmacher nach Deutschland zurückgekehrt war, organisierte er gemeinsam mit dem Verband deutscher Geigenbauer und Bogenmacher einen Besuch Weinsteins in Dresden. Im Rahmen der Musikspielwoche 1999 hielt Weinstein einen Vortrag über seine Fundstücke, wovon er einen Teil mit nach Dresden gebracht hatte. „Nach meinem Vortrag war es still im Saal. Niemand konnte mehr sprechen“, erinnert sich Weinstein heute. Zu groß seien Betroffenheit und Mitgefühl gewesen. Erst weit nach Mitternacht habe sich langsam ein Gespräch unter den Geigenbauern und Bogenmachern entwickelt. Sie alle waren sich einig: Die Geschichten der Violinen müssen öffentlich erzählt werden.
Weinstein begann daraufhin, systematisch Violinen zu sammeln und zu restaurieren, deren Geschichte mit der Schoah verbunden ist. Dies war der Beginn des Projekts „Violinen der Hoffnung“. Heute zählt seine Sammlung über 70 Stück – darunter Unikate, die nirgends auf der Welt mehr zu finden sind. Einige der Violinen erhielt er auch von Geflohenen aus Großbritannien, den USA und Kanada.
Mit den restaurierten Instrumenten reist Weinstein um die Welt: Jerusalem, Istanbul, Paris, Madrid, Cleveland und Berlin sind einige der Stationen des Projekts. Viele Konzerte wurden bereits auf den Violinen gespielt. Weinstein selbst sagt heute, die Erinnerung habe sich zwar nicht in den Korpus der Violinen eingeschrieben, aber die Musiker spielten dennoch anders auf ihnen – irgendwie intensiver. Zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht ist der Geigenbauer mit einem Teil seiner Sammelstücke an den Ort zurückgekehrt, an dem sein Projekt den Ursprung hat: in die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Anschließend reiste er nach Dortmund weiter und gab dort Gedenkkonzerte. „Solch eine Grausamkeit wie die Schoah darf sich nie mehr wiederholen“, sagt Weinstein. „Deshalb reise ich durch die ganze Welt und möchte die Menschen darüber aufklären.“
Erschreckt und fasziniert zugleich motivierte Daniel Schmidt seinen Meister, diese Geschichten öffentlich zu machen. Nachdem der Bogenmacher nach Deutschland zurückgekehrt war, organisierte er gemeinsam mit dem Verband deutscher Geigenbauer und Bogenmacher einen Besuch Weinsteins in Dresden. Im Rahmen der Musikspielwoche 1999 hielt Weinstein einen Vortrag über seine Fundstücke, wovon er einen Teil mit nach Dresden gebracht hatte. „Nach meinem Vortrag war es still im Saal. Niemand konnte mehr sprechen“, erinnert sich Weinstein heute. Zu groß seien Betroffenheit und Mitgefühl gewesen. Erst weit nach Mitternacht habe sich langsam ein Gespräch unter den Geigenbauern und Bogenmachern entwickelt. Sie alle waren sich einig: Die Geschichten der Violinen müssen öffentlich erzählt werden.
Weinstein begann daraufhin, systematisch Violinen zu sammeln und zu restaurieren, deren Geschichte mit der Schoah verbunden ist. Dies war der Beginn des Projekts „Violinen der Hoffnung“. Heute zählt seine Sammlung über 70 Stück – darunter Unikate, die nirgends auf der Welt mehr zu finden sind. Einige der Violinen erhielt er auch von Geflohenen aus Großbritannien, den USA und Kanada.
Mit den restaurierten Instrumenten reist Weinstein um die Welt: Jerusalem, Istanbul, Paris, Madrid, Cleveland und Berlin sind einige der Stationen des Projekts. Viele Konzerte wurden bereits auf den Violinen gespielt. Weinstein selbst sagt heute, die Erinnerung habe sich zwar nicht in den Korpus der Violinen eingeschrieben, aber die Musiker spielten dennoch anders auf ihnen – irgendwie intensiver. Zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht ist der Geigenbauer mit einem Teil seiner Sammelstücke an den Ort zurückgekehrt, an dem sein Projekt den Ursprung hat: in die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Anschließend reiste er nach Dortmund weiter und gab dort Gedenkkonzerte. „Solch eine Grausamkeit wie die Schoah darf sich nie mehr wiederholen“, sagt Weinstein. „Deshalb reise ich durch die ganze Welt und möchte die Menschen darüber aufklären.“
Buchtipp: Damit ihr Lied nicht verklingt...
Christa Roth berichtet authentisch über das Lebensprojekt Amnon Weinsteins, der Romanautor Titus Müller lässt die Geschichte der „Violinen der Hoffnung“ in einer eindrücklichen Erzählung lebendig werden.
Christa Roth, Titus Müller: Geigen der Hoffnung. Damit ihr Lied nicht verklingt; Adeo-Verlag 2016; ISBN 9783863341176; 216 Seiten; Preis: 17,99 Euro
Christa Roth berichtet authentisch über das Lebensprojekt Amnon Weinsteins, der Romanautor Titus Müller lässt die Geschichte der „Violinen der Hoffnung“ in einer eindrücklichen Erzählung lebendig werden.
Christa Roth, Titus Müller: Geigen der Hoffnung. Damit ihr Lied nicht verklingt; Adeo-Verlag 2016; ISBN 9783863341176; 216 Seiten; Preis: 17,99 Euro
Von Julia Rosner