Anstoß 05/21

Viral gehen oder: Hauptsache ich?

Image
SYMBOL_Anstossbild_0.jpg

Nein, es geht nicht um das Unwort des Jahres und ausnahmsweise auch nicht um die Corona-Pandemie. Es geht um ein schillerndes Wort aus der modernen digitalen Welt: „Viral gehen“.


Das meine Videos, Bilder und Posts viral gehen, ist die Hoffnung aller, die als Influencer unterwegs sind. Als Influencer werden Personen bezeichnet, die in sozialen Netzwerken hohes Ansehen genießen und besonders gut in der Online-Welt vernetzt ist. Die Redewendung „viral gehen“ bedeutet, meine Beiträge werden im Internet tausend- oder millionenfach geklickt, geliked und geteilt.
Das ist eine gute Sache, weil sich damit Geld mit Produktwerbung verdienen lässt. Geld zu verdienen ist an sich keine schlechte Sache. Trotzdem sind sich die meisten Menschen darüber einig, dass es nicht richtig ist, Geld mit Drogen, Waffen oder der Zerstörung der Umwelt zu verdienen. Das Gleiche gilt im Netz. Es ist nicht richtig, Geld mit Schrottwerbung zu verdienen.
Seit einiger Zeit folge ich Oliver Pocher. Er nimmt sich Influencer vor, die es übertreiben. Mitten in der Pandemie werben sie für einen Urlaub in Dubai oder einen kleinen Ausflug nach Winterberg. Natürlich weisen sie ganz nebenbei auf das eine oder andere supertolle Produkt hin, dass man mit wenigen Klicks supergünstig bestellen kann. Ich folge Oliver Pocher, weil er recht hat. Einigen Influencern ist völlig egal, wie und womit sie ihr Geld verdienen. Hauptsache ich komme in den Urlaub. Hauptsache ich komme nach Winterberg. Hauptsache meine Kasse stimmt. Man könnte es die „Nach mir die Sintflut“- oder die „Hauptsache Ich“-Krankheit nennen. Dagegen sind selbst Virologen machtlos.
Es dreht sich nicht alles nur um mich. Niemand ist der Nabel der Welt. Ich glaube, das ist die heilsame Haltung, die uns Jesus Christus vorgelebt hat. Und sie ist die Voraussetzung, andere und anderes wichtiger zu nehmen als mich. Wer das besonders schön nachlesen möchte, dem empfehle ich den Philipperhymnus (Philipper 2,5-11). Ich bin Gott besonders ähnlich, wenn ich mich nicht zu wichtig nehme. Schön wär’s, wenn dieser Gedanke viral geht.

Pfarrer Marko Dutzschke, Lübbenau