Moderne Computertechnik macht es möglich
Virtueller Besuch in der zerstörten Erfurter Synagoge
Die Große Erfurter Synagoge wurde 1884 geweiht und 1938 von den Nationalsozialisten zerstört. Fotos: Stadtverwaltung Erfurt |
Die 1938 von den Nazis geschändete und zerstörte Große Synagoge in Erfurt kann ab sofort dank moderner Technik wieder betreten werden. Dafür liegen im Showroom „360Grad Thüringen Digital Entdecken“ der landeseignen Tourismus-Gesellschaft, im Erinnerungsort Topf & Söhne und in der Neuen Synagoge der Jüdischen Landesgemeinde insgesamt zehn VR-Brillen für virtuelle Besichtigungen bereit, teilte die Oberkuratorin der Erfurter Geschichtsmuseen, Annegret Schüle, mit. Zudem sei ein 3D-Modell des 1884 im maurischen Stil errichteten und geweihten jüdischen Gotteshauses freigeschaltet worden.
Thüringens Ministerpräsident Ramelow mit VR-Brille auf „Besichtigungstour“ durch die Synagoge. |
Näherer Zugang als in der Realität
Landesrabbiner Alexander Nachama, der mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Erfurts Kultur-Beigeordneten Tobias Knoblich als erster eine der Brillen in der Neuen Synagoge ausprobierte, sagte, der virtuelle Rundgang erlaube einen näheren Zugang etwa zur aufgeschlagenen Tora als dies in der Realität möglich sei. Von dieser Nähe verspreche er sich auch einen einfacheren Zugang zum Judentum gerade für junge Leute. Sie trügen keine Schuld an den schrecklichen Taten der Nazizeit, aber Verantwortung dafür, dass sich so etwas nie wiederhole, betonte Nachama.
Der Landesrabbiner erinnerte auch an den Bau der Neuen Synagoge auf dem Grundstück der zerstörten Großen Synagoge 1952. Das Gebäude war der einzige Neubau eines jüdischen Gotteshauses zu DDR-Zeiten.
Trotz des Neubaus und der nun erfolgten virtuellen Rekonstruktion sprach Nachama von „irreparablen Schäden“. 1938 hätten noch über 3700 Männer, Frauen und Kinder der Jüdischen Landesgemeinde angehört. 1989 seien es nur noch 26 gewesen. Inzwischen sei die Gemeinde - nicht zuletzt durch die Einwanderung von Juden aus der früheren Sowjetunion - wieder auf 700 Menschen angewachsen.
Angesichts der nur fragmentarisch überlieferten Quellen sei es eine Herausforderung gewesen, detailgenau die Architektur, die religiösen Objekte, die Geschichte der Menschen in der Synagoge zu recherchieren, sagte Kuratorin Schüle. Ein interdisziplinäres Team habe nach der Rekonstruktion die Räume mit Klang, Bildern und Videos ausgestattet.
Bewerbung als Unesco-Weltkulturerbe
Daran seien Fachleute der Universität und der Fachhochschule Erfurt, der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena sowie zahlreiche junge Wissenschaftler beteiligt gewesen. Große Unterstützung habe auch die Jüdische Landesgemeinde geleistet.
Unter den bundesweit bereits virtuell zugänglichen Synagogen bietet die VR-Anwendung in Erfurt nach Schüles Worten eine innovative Besonderheit: Sie ermögliche erstmals Interaktivität und sorge damit für noch mehr Realitätsnähe. So könnten sich Interessierte im virtuellen Raum individuell bewegen, mit Objekten interagieren und nach eigener Auswahl Informationen abrufen.
Modernste Technik macht es nun möglich, die virtuell rekonstruierte Große Synagoge wieder besuchen zu können. |
Ramelow verwies auf die laufende Erfurter Bewerbung um Aufnahme ihrer mittelalterlichen jüdischen Stätten in das Unesco-Weltkulturerbe. „Die Geschichte betrifft nicht nur die Jüdische Gemeinde, sie betrifft uns. Eine aktive und lebendige jüdische Gemeinde ist eine Aufgabe von uns und für uns“, betonte der Ministerpräsident.
(epd)
- Erinnerungsort Topf & Söhne (Sorbenweg 7), ohne Anmeldung: Sa/So 11 bis 17 Uhr, mit Anmeldung (0361 655-1681 oder fsj.topfundsoehne@erfurt.de): Di–Fr 13.30 bis 17.30 Uhr
- Jüdische Landesgemeinde Thüringen (Max-Cars-Platz 1), Anmeldung erbeten: 0361/5624964 oder info@jlgt.org
- 360Grad Thüringen Digital Entdecken (Willy-Brandt-Platz 1), ohne Anmeldung: Mo–Fr 9 bis 17 Uhr, Sa/So 10 bis 16 Uhr
Weitere Infos: 0361/37420 oder service@thueringen-entdecken.de