Wie die Vereinten Nationen gegen Kriegsverbrecher ermitteln

Völkermördern auf der Spur

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UN-Ermittler Serge Brammertz in seinem Büro
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Foto: kna/Leslie Hondebrink-Herme/Un-Irmct

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Empfindet seine Arbeit als Privileg: Serge Brammertz, UN-Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien

Fulgence Kayishema, der vermeintliche Flüchtling aus Burundi, war ein fleißiger Arbeiter - bis seine Tarnung aufflog und die Polizei vor der Tür stand. Die Verhaftung eines der meistgesuchten Kriegsverbrecher der Welt sorgte Ende Mai weltweit für Schlagzeilen. Ein Erfolg für UN-Chefankläger Serge Brammertz.


Wie wurde der Völkermörder verhaftet?

Die Verhaftung von Fulgence Kayishema (62) in einer Weinbauregion bei Kapstadt sorgte Ende Mai weltweit für Schlagzeilen. Dem früheren Polizisten wird vorgeworfen, während des Völkermords in Ruanda 1994 eine Kirche mit 2000 Schutzsuchenden angezündet und mithilfe eines Bulldozers plattgewalzt zu haben. Insgesamt starben bei dem Genozid mehr als 800.000 Angehörige der Tutsi-Ethnie und gemäßigte Hutus.

"Wir fanden heraus, dass Kayishema unter verschiedenen Identitäten in Südafrika lebte. Während der Hausdurchsuchung waren meine Mitarbeiter vor Ort, und ich wurde alle 30 Minuten über den aktuellen Stand informiert", sagt Serge Brammertz, Chefankläger des Internationalen Residualmechanismus für die UN-Strafgerichtshöfe (IRMCT); also jenes Gerichts in Den Haag, das die Kriegsverbrechen von Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien ahndet. Die Festnahme Kayishemas nach fast drei Jahrzehnten auf der Flucht verbucht Brammertz als erfolgreichen Abschluss jahrelanger Ermittlungen.

Wie können Kriegsverbrecher untertauchen?

Als Brammertz 2008 in Den Haag Chefankläger wurde, waren die jugoslawischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic bereits 13 Jahre flüchtig. "Wir erlebten immer wieder, dass die Straftäter in den ersten Jahren nach einem Konflikt sehr viele Unterstützer hatten", erzählt der belgische Jurist. Teils erhielten die gesuchten Völkermörder sogar Standing Ovation in Fußballstadien.

Jahre vergingen, bis sich manche Nationen zu Zusammenarbeit mit der UN-Justiz bereiterklärten. Erst dann tauchten die Verbrecher unter. Karadzic etwa getarnt als Doktor, 15 Kilo abgespeckt und mit verändertem Akzent. "Er hat sogar in Fernsehshows mitgemacht, obwohl er der meistgesuchte Kriegsverbrecher des ehemaligen Jugoslawiens war", erinnert sich Brammertz.

Wie findet man sie?

Die untergetauchten Schwerverbrecher aufzuspüren, ist Aufgabe eines Tracking Teams: eine internationale Arbeitsgruppe aus sieben Analysten und Ermittlern. Während sie früher auf ein weltweites Informanten-Netzwerk setzten, steht heute die Datenanalyse im Fokus; etwa Bewegungsprotokolle, Finanz- und Telefonanalyse. Das führte 2020 zur Festnahme von Felicien Kabuga, einem der Financiers des ruandischen Völkermords.

"Anhand der Mobilfunk-Ortung und den Bewegungsprotokollen sahen wir, dass sich stets einer seiner Verwandten an einem Ort in der Nähe von Paris aufhielt, obwohl keiner von ihnen dort lebte." Dem Chef-Propagandisten, dessen Radiosender Milles Collines einst das Massaker an den Tutsis anheizte, hatte es geschafft, sich 15 Jahre vor den französischen Behörden zu verstecken.

Was passiert mit den Verhafteten?

2010 wurden die UN-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda zum IRMCT zusammengelegt, um die Täter von ethnisch und religiös motivierten Massenmorden der Gerechtigkeit zuzuführen. Einer davon ist Karadzic, der für die Ermordung Tausender bosnischer Muslime während der Jugoslawienkriege verantwortlich war. "Diese Brutalität ist nicht das Monopol eines einzelnen Kontinents. Wenn Menschen keinerlei Kontrolle mehr unterliegen, kann man erst sehen, wozu sie fähig sind", sagt Brammertz.

Kompliziert scheinen seine jüngeren Fälle: Felicien Kabuga wurde wegen einer Demenzerkrankung für prozessunfähig erklärt; jetzt soll ein Quasi-Gerichtsprozess ohne Verurteilung den Opfern zumindest Gewissheit bringen. Unterdessen will der in Südafrika festgenommene Kayishema seine Auslieferung durch einen Asylantrag verhindern - eine geradezu absurde Entwicklung, meint Brammertz.

Was spornt die UN-Ermittler an?

"Oft werde ich gefragt, ob ich nach 30 Jahren mit der dunklen Seite der Menschheit überhaupt noch an die Menschheit glauben kann", sagt der Chefankläger. Tatsächlich empfindet er seine Arbeit als Privileg. Er könne einen Unterschied im Leben der Menschen herbeiführen: "Das habe ich etwa nach den Festnahmen von Karadzic und Mladic festgestellt, als ich in den Tagen danach Überlebende von Srebrenica und anderen Tatorten traf. Ich sah, was es den Menschen bedeutet, dass die Täter nach 20 Jahren doch noch festgenommen und vor Gericht gestellt werden." Derzeit sucht Brammertz' Team nach den drei letzten flüchtigen Hauptorganisatoren des Ruanda-Genozids. Daneben wolle man den Strafbehörden in Ruanda helfen, die von Kigali gesuchten Täter in Europa, den USA und Afrika zu finden.
 

kna