Mit seiner Taufe begann für Jesus ein neuer Lebensabschnitt

Vom Durchstarten und Durchhalten

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Ihr wisst, wie es angefangen hat nach der Taufe, erinnert Petrus in der Lesung aus der Apostelgeschichte. „Wie Jesus umherzog, Gutes tat und alle heilte“. Das klingt nach Durchmarsch, aber ganz so einfach war der Neubeginn wohl nicht. Da geht es Jesus wie uns selbst.

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Mit dem Startschuss alles geben: die Eisschnellläuferin Anni Friesinger 2006. Foto: imago images/Sammy Minkoff

Von Susanne Haverkamp

Wir wissen fast nichts über die ersten Lebensjahrzehnte Jesu. Vielleicht hat er bei seinem Vater das Zimmermannshandwerk gelernt. Vielleicht hat er die ganze Zeit in und um Nazaret verbracht. Er scheint unverheiratet gewesen zu sein – ungewöhnlich, warum? Gehörte er vielleicht den frommen Essenern an? War er schon längst aus dem bürgerlichen Leben ausgestiegen, als wir von ihm hören? Viele Fragen, aber sicher ist eines: Die Taufe der Umkehr, die er von Johannes am Jordanufer empfing, war eine echte Umkehr, ein radikaler Neuanfang. Was immer Jesus vorher gemacht hat: Jetzt beginnt seine Karriere als Wanderprediger.
Und die beginnt mit einem Motivationsschub. „Du bist mein geliebter Sohn“, hört Jesus. Oder vielleicht fühlt er es auch eher, tief in seinem Inneren. Mit so einem Satz lässt sich gut starten in einen neuen Lebensabschnitt.
Bestimmt kennen Sie das auch. Mit „Du bist mein geliebter Mann“, kann man gut eine Ehe beginnen. Wenn die Juniorchefin von ihrem Vater hört „Ich habe volles Vertrauen in dich!“, erleichtert das die Geschäftsübergabe. Wenn man einem Kind bei der Einschulung sagt „Du schaffst das, mein Schatz“, macht das neue Umfeld gleich weniger Angst. 

Jesus startet nicht gleich durch

Doch trotz dieser göttlichen Liebeserklärung startet Jesus nicht mit vollem Elan in sein neues Leben. Nein, er braucht noch eine Weile. Bei Matthäus, Markus und Lukas folgt nach der Taufe die Versuchung Jesu. Der Teufel zeigt ihm alle Reiche der Welt, verspricht ihm Macht, Einfluss, Geld – und Jesus kämpft dagegen an.
Das kennen Sie auch, oder? Dass übergroßes Lob zu Kopf steigen kann. Dass der Gatte, die Juniorchefin, das Schulkind denken: läuft. Mir kann nichts passieren. Ich bin direkt auf dem Weg an die Spitze. Mühelos. Und dann braucht es Kraft, um gegen diese Versuchung anzukämpfen. Um Bodenhaftung zu bewahren. Um nicht abzuheben.
Der Evangelist Johannes kennt die Versuchungsgeschichte nicht. Aber auch bei ihm springt Jesus nach dieser Gotteserfahrung bei der Taufe nicht mit Schwung in die Jüngersuche. Bei Johannes suchen die ersten Jünger Jesus, nicht umgekehrt:

„Am Tag darauf stand Johannes wieder dort und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht!“ (Johannes 1,35-39)

Das kennen Sie auch, oder? Dass manche Leute einen Schubs brauchen. Dass manchmal ein anderer zuerst sieht, was in einem steckt. Ein Lehrer vielleicht, eine Kollegin, ein Freund, jemand aus der Verwandtschaft, ein Trainer, eine Beraterin im Jobcenter. Manche Leute müssen angesprochen werden, bevor sie ihr eigenes Potenzial entdecken. Interessant, dass Johannes das bei Jesus genauso vermutet.
Dann aber geht es los. Nach dem ruckeligen Start gibt Jesus richtig Gas. Die Predigten in den Synagogen von Nazaret und anderswo, die Heilungen, die Berufung der Jünger, das Weinwunder in Kana. Schlag auf Schlag geht es jetzt. Die Beliebtheit Jesu wächst, der Andrang des Volkes ist riesig. Lukas erzählt:

„Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon waren gekommen, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte.“ (Lukas 6,17-19)

Das kennen Sie auch, oder? Dass es Phasen gibt, da läuft es einfach, da gelingt alles. Die Ehe ist glücklich, die Firma kann sich vor Aufträgen kaum retten, die Schule ist ein Kinderspiel. In diesen Phasen fühlt man sich getragen vom eigenen Selbstbewusstsein, von den Menschen um einen herum, von Gott. Wahrlich glückliche Zeiten in denen man seine Berufung gefunden hat, in denen man meint, nichts könne einen umhauen.

Liebe hängt nicht an objektiven Erfolgen

Bis es dann irgendwann wieder ruckelt, auch bei Jesus. Die Euphorie der ersten Erfolge führt eben nicht zum Durchmarsch. Im Gegenteil rufen diese Erfolge allerlei Gegner auf den Plan. In Nazaret treiben aufgebrachte Bürger ihn zur Stadt hinaus. Die Familie erklärt Jesus für verrückt und will ihn mit Gewalt nach Hause holen. Der Jüngerkreis dezimiert sich stark, als Jesus mit „Esst mein Fleisch“ und „Trinkt mein Blut“ anfängt. Petrus kritisiert seine Pläne, nach Jerusalem zu gehen und Judas will mehr Power gegen die Römer. Die Hohenpriester sehen in Jesus einen üblen Gotteslästerer, die Römer den nächsten politischen Revolutionsführer.
Das kennen Sie auch, oder? Dass ganz plötzlich von überallher Schwierigkeiten auftauchen. Dass in der Ehe nur noch gestritten wird, Corona die Firma ausbremst, Kollegen unkollegial werden, der beste Kumpel die Freundschaft kündigt, das Finanzamt Nachforderungen erhebt und irgendwie alles zusammenzubrechen droht.
Dann heißt es: durchhalten, kämpfen. Neuanfänge haben es so an sich, dass ihr Zauber mal eher, mal später verfliegt. Dann kommen die Schwierigkeiten des Alltags und manchmal kommen nicht alltägliche Schwierigkeiten obendrauf. Wie schafft man es dann, nicht aufzugeben, den angefangenen Weg weiterzugehen?
Ich vermute, Jesus hat dieser allererste Satz geholfen, die allererste Gotteserfahrung: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Denn diese Zusage hängt nicht an objektiven Erfolgen, nicht an der Zahl der Anhänger, nicht an den Bilanzen, nicht an den Zeugnisnoten. In dem Wissen, geliebt zu sein, kann man Schwierigkeiten durchstehen und sogar in den Tod gehen. Und das gilt für Jesus wie für uns alle.