Drei Mütter aus drei Generationen zum Muttertag im Gespräch

Von Liebe, Glück und Stress

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Drei Mütter im Gespräch
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Fotos: Stephanie Jegliczka

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Drei Mütter im Gespräch: Ruth und Kerstin Ostendorf, Anni Fislage (von links nach rechts)
 

An diesem Sonntag ist Muttertag. Aber was bedeutet das eigentlich: Mutter zu sein? Und wie hat es sich im Laufe der Jahre verändert? Kerstin Ostendorf hat ihre Mutter und ihre Oma zum Gespräch gebeten – und manch überraschende Antwort gehört.

Mit meinen Freundinnen, die bereits Mütter sind, unterhalte ich mich oft über unsere Kinder: über die ersten Schritte, über den Blödsinn, den die Kleinen manchmal veranstalten, über ihre schlauen Sprüche. Wir tauschen uns aus, über anstrengende Nächte und Kinderkrankheiten – und manchmal reden wir uns den Frust von der Seele, wenn wir von Beruf und Erziehung gestresst sind. 

Anni Fislage
Mutter von zwei Kindern: Anni Fislage, 92 Jahre

Mit meiner Mama spreche ich darüber nur sehr selten. Das soll sich heute ändern. Gemeinsam besuchen wir meine Oma, ihre Mutter. Ich will von den beiden wissen: Wie war das für euch, als ihr Mutter geworden seid? Wie sehr hat das euer Leben verändert? Wie habt ihr eure Interessen und die eurer Kinder unter einen Hut bekommen? Und: Was kann ich von euch lernen?

Meine Oma ist 92 Jahre alt und wohnt in ihrem Haus in Ibbenbüren bei Münster. Seit meiner Kindheit hat sich dort nicht viel verändert. Wir gehen in die gute Stube, die nur benutzt wird, wenn Besuch kommt. An der Wand hängen Fotos von mir und meinem jüngeren Bruder: als Kinder in Dirndl und Lederhose, zu Hause im Garten. Wir setzen uns auf das große, schwere Sofa. Mama und Oma schauen mich gespannt an.

Ich frage: „Oma, wie war das für dich, Mutter zu sein?“ Sie sagt: „Das war schön.“ Ein wenig nervös knetet sie ihre Hände. Dass ich sie so konkret danach frage, ist für sie ungewohnt. „Es war eine gute Zeit damals. Aber es war manchmal auch schwierig, weil wir nicht viel Geld hatten.“ Sie erzählt, dass sie und Opa mit 28 Jahren geheiratet haben, das war 1959. Mein Opa, der vor 15 Jahren gestorben ist, arbeitete als Bäcker- und Konditormeister, meine Oma war Verkäuferin in einem Kaufhaus. Gemeinsam mit ihrer Mutter wohnten die beiden in ihrem Elternhaus.

Die Geburt ihrer Kinder hat das Leben meiner Oma nicht auf den Kopf gestellt

Zwei Jahre nach der Hochzeit wurde mein Onkel Rainer geboren, noch einmal vier Jahre später meine Mama. „Kinder zu haben, war immer unser Wunsch. Das haben Opa und ich nie infrage gestellt“, sagt Oma. „Aber war es damals nicht üblich, direkt nach der Hochzeit Kinder zu bekommen?“, frage ich. „Ja, schon. Einige haben auch gefragt. Meine Schwägerin zum Beispiel: ‚Was ist los? Warum habt ihr noch keine Kinder?‘“, erzählt sie. Sie zuckt mit den Schultern, als wäre ihr das egal, aber ich merke, wie sehr sie das heute noch stört. Sonst habe sie aber keinen Druck gespürt. Weder von ihrer Mutter noch vom katholischen Pfarrer, der einmal im Jahr zu einem Seelsorgegespräch ins Haus kam.

Kerstin Ostendorf
Mutter eines Kindes: Kerstin Ostendorf, 36 Jahre

Als mein Onkel und meine Mama geboren waren, habe das ihr Leben verändert, aber nicht auf den Kopf gestellt, sagt sie. Ein größerer Einschnitt war ihre Heirat: Damals gab sie ihren Beruf auf. Etwas, was für mich unvorstellbar ist. „Das war so üblich. Die Frage, weiterzuarbeiten, stellte sich überhaupt nicht. Es war klar: Du bleibst zu Hause und kümmerst dich um Haushalt und Kinder“, sagt sie. „Aber hast du denn nicht deine Arbeit vermisst?“, frage ich.  „Nein, eigentlich nicht. Ich war da nicht immer gern.“ Sie arbeitete in der Abteilung für Haushaltwaren, musste schwere Töpfe und Tafelservices schleppen. Abends, nach Ladenschluss, musste sie noch die Böden schrubben oder auf Lieferungen warten. „Das konnte richtig spät werden und extra Geld gab es dafür nicht. Der Chef sagte immer: ,Wem das nicht passt, der kann gehen.‘ Aber es gab ja keine Stellen.“ 

Meine Oma brauchte ihren Beruf in der Nachkriegszeit, damit ihre Familie sich zwischendurch etwas gönnen konnte. Später kellnerte sie, wenn im Gasthaus im Ort Hochzeiten gefeiert wurden, und arbeitete als Kassiererin im Lebensmittelgeschäft ihres Bruders. Und das neue Haus, in das sie 1975 einzogen, musste auch bezahlt werden. Selbstverwirklichung und Sinn bei der Arbeit? Das waren für meine Oma keine Kriterien. 

Für mich schon. Als ich 2020 mit meiner Tochter Hannah schwanger war, war für mich klar: Nach einem Jahr Elternzeit werde ich wieder arbeiten gehen. Nur zu Hause zu sein, war mir zu wenig. „Du hast ja auch immer gesagt, dass du nicht studiert hast, um dann nur Hausfrau und Mutter zu sein“, sagt meine Mama.

Auch sie hat immer gearbeitet. Acht Wochen nach meiner Geburt startete sie wieder halbtags als Arzthelferin. Meine Mama war 22 Jahre alt, als sie mit mir schwanger wurde. Ich war – wie ich augenzwinkernd sage – ein ungeplantes Wunschkind. Damals hatte sie gerade eine neue Stelle angetreten, in einer Praxis, in der sie sich wohlfühlte, mit netten Kolleginnen und einem verständnisvollen Chef, von dem sie noch viel lernen konnte. „Das wollte ich nicht wieder aufgeben“, sagt sie. Erziehungszeiten mit staatlicher finanzieller Unterstützung gab es 1988 nicht. Auch keine Kita, die für so kleine Kinder eine Betreuung anbot. „Ich war heilfroh, als ihr gesagt habt, dass ihr Kerstin nehmt und ich weiterarbeiten kann“, sagt sie und schaut meine Oma an. 

Meine Mutter hat beruhigt gearbeitet, weil Oma und Opa aufgepasst haben

Morgens um sieben Uhr brachte sie mich zu Oma und Opa, am Mittag oder Nachmittag holte sie mich ab. „Fiel dir das nicht schwer, mich so jung abzugeben?“, frage ich. Meine Mama überlegt kurz, dann sagt sie: „Nein. Ich wusste, du bist gut versorgt. Da sind zwei Leute, die sich nur um dich kümmern. Da konnte ich beruhigt zur Arbeit fahren.“ 

Bei mir war das anders. Ich hatte während der Schwangerschaft nicht damit gerechnet, wie schwer es mir fallen würde, Hannah in die Krippengruppe zu geben. Ein Jahr war ich mit ihr zu Hause und weil es die Corona-Zeit war, waren wir besonders eng verbunden: Spielrunden mit anderen Müttern oder Kurse gab es nicht. Häufig waren wir tagsüber nur zu zweit. Jetzt gab ich sie mehr als sechs Stunden täglich in die Hände von Menschen, die mir fremd waren. Die Erzieherinnen in der Kita waren nett und verständnisvoll, sie gaben mir ein gutes Gefühl. Und Hannah fühlte sich zum Glück dort schnell wohl. Aber noch heute habe ich manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn ich sie dort weinend zurücklassen muss, weil sie mich nicht gehen lassen will. 

Ruth Ostendiorf
Mutter von zwei Kindern Ruth Ostendorf, 58 Jahre

„Wir waren schon sehr überrascht, dass du nach einem Jahr Pause wieder angefangen hast zu arbeiten“, sagt meine Mama in meine Grübelei hinein. „Und dann auch so viele Stunden. Da haben Papa und ich für einen Moment echt geschluckt und dachten: so ein kleines Würmchen in die Kita geben … boah.“ Ich stutze. „Aber du hast mich doch schon viel früher abgegeben“, sage ich. „Ja, aber das war bei Oma und Opa“, entgegnet sie. „Aber es gab für dich ja auch keine andere Möglichkeit. Wir arbeiten ja auch noch. Und im Nachhinein sagen wir: Es hat Hannah nicht geschadet.“ Meine Oma nickt. Doch ich weiß: Richtig gut gefiel auch ihr nicht, dass Hannah so jung in die Krippe kam. 

Meine Eltern und Großeltern haben sich aber nie in die Entscheidung von meinem Mann und mir eingemischt. „Das war uns immer wichtig“, sagt meine Mama. „Ich würde bestimmt manches anders machen. Aber das ist euer Ding. Da halten wir uns raus“, sagt sie. Meine Oma nickt wieder. Sie hat erlebt, wie ihre Mutter sich immer mal wieder in die Erziehung eingemischt hat. „Sie hat sich auf die Seite der Kinder gestellt“, erinnert sich Oma. „Wenn Mama und Rainer zu spät nach Hause kamen, wenn ich dann mit euch geschimpft habe, hat sie mich gestoppt und gesagt, ich solle nicht so streng mit euch sein.“ Ob sie sich dann mit ihr gestritten habe, will ich wissen. Denn mich würde eine solche Einmischung wütend machen. „Nein, wir sind aber auch so erzogen worden, dass wir den Eltern zu gehorchen haben. Das hörte nicht auf, nur weil ich selbst Mutter war“, sagt sie. 

Anni Fislage: Ich wäre lieber heute Mutter. Ihr habt mehr Möglichkeiten und Freiheiten. 

Die Aussage meiner Mama zu Hannahs Erziehung macht mich aber neugierig. „Was würdest du denn an meiner Stelle anders machen?“, frage ich. „Du diskutierst so viel mit Hannah. Zum Beispiel über ihre Kleidung. Das hätte ich mit euch in dem Alter nicht gemacht. Ihr habt das angezogen, was ich euch hingelegt habe“, sagt sie. Ich muss grinsen. „Freiwillig hätte ich die Pullover mit den Spitzenkragen bestimmt nicht angezogen“, sage ich.

Aber es stimmt: Meine Tochter ist ein kleiner Sturkopf. Momentan will sie nur Kleider anziehen. Natürlich setze ich ihr Grenzen, mir ist es aber wichtig, sie so zu erziehen, dass sie frei ist, selbstständig denkt und für sich und ihre Wünsche eintreten kann. Bei der Kleidung gelingt das schon hervorragend.

„Oder beim Schlafen. Das wäre bei uns auch anders“, sagt meine Mama. Mein Bruder und ich haben so gut wie nie im Elternbett geschlafen. „Ihr seid manchmal nachts gekommen, aber dann habe ich euch wieder in eure Betten gebracht“, sagt Mama. „Wenn ihr mal bei uns geschlafen habt, fühltet ihr euch auch nicht wohl.“ Auch das ist bei meiner Tochter anders. Hannah kommt oft in der Nacht und möchte im Elternbett schlafen. Sie kuschelt sich dann unter die Bettdecke und hält meine Hand. „Sie sucht meine Nähe. Dann bringe ich es nicht übers Herz, sie fortzuschicken“, sage ich. „Ja, sie vermisst dich ja auch, weil du den ganzen Tag nicht da bist“, sagt meine Oma.

Kerstin Ostendorf: Mute ich meiner Tochter zu viel zu?

Uff – das sitzt. Denn genau darüber denke ich häufig nach: Mute ich meiner Tochter zu viel zu? Ich arbeite 30 Stunden in der Woche, bin täglich in der Redaktion. Morgens zu 8 Uhr bringe ich Hannah in die Kita, nachmittags um 15 Uhr hole ich sie wieder ab. Den Rest des Tages verbringen wir dann zusammen. Das ist mir wichtig. Wir spielen oder malen, fahren zum Kinderturnen oder besuchen die Ur-Omas, Omas oder Freundinnen mit Kindern. Ich gebe mir alle Mühe, für Hannah da zu sein.

Ich weiß aber auch, dass sie funktionieren muss – anders, als ich es mit drei Jahren musste. Ich muss mehr Druck ausüben, damit unser Alltag läuft. Das spürt sie. Morgens um 6.30 Uhr wecke ich sie. Oft ist sie, die Langschläferin, dann noch müde. Für Trödeln, Spielen oder Diskutieren bleibt aber keine Zeit. Da wir im Winter umgezogen sind, am neuen Wohnort aber noch keinen Kitaplatz haben, bringe ich Hannah in die Kita am alten Wohnort. Aufgrund der Fahrtzeit ist unser Morgen straff organisiert. 

Am Nachmittag ist Hannah oft erschöpft. „Ihre Tage sind momentan ganz schön lang“, sagt meine Mama. Wenn wir im Sommer die Kita wechseln, wird das hoffentlich besser, denke ich. Denn auf meine Arbeit als Redakteurin möchte ich nicht verzichten. Dafür ist mir dieser Ausgleich zum Muttersein zu wichtig.

„Hattest du manchmal das Gefühl, dich zwischen der Arbeit und mir zerrissen zu fühlen?“, frage ich meine Mama. „Nein“, sagt sie. „Die Aufgaben musste ich aber auch jonglieren. Wenn ihr krank wart, konnte ich nicht ohne Weiteres zu Hause bleiben. Papa konnte das auch nur selten übernehmen. Außerdem musste ich ja den Haushalt schaffen und unseren großen Garten ordentlich halten. Freizeit hatte ich nicht“, sagt sie.

Was meine Mama von früher erzählt, erinnert mich an meine Situation heute

Ich schlucke. „Das hört sich ja fast so an wie jetzt bei mir“, sage ich. Mein Mann arbeitet Vollzeit, wir haben gerade ein Haus gebaut und vieles musste er dafür nebenbei organisieren. Oft hilft er auch seinen Eltern, die selbstständig sind. So gut es geht, bringt er sich im Haushalt ein und kümmert sich um Hannah. Wir versuchen, uns gegenseitig Freiräume zu schaffen. Perfekt gelingt uns das aber nicht. „Manchmal denke ich, wir haben das herangezogen. Es gibt auch Frauen, die machen das anders“, sagt meine Mama. „Vielleicht waren wir zu sehr in den Rollen verhaftet. Das hat dich so geprägt, dass du es jetzt ähnlich machst.“ Ja, vielleicht, gebe ich zu. Aber ich weiß auch, dass sich unser Leben – und auch das vieler anderer Frauen meiner Generation – nicht anders organisieren lässt. 

Ruth Ostendorf: Ich möchte heute nicht mehr junge Mutter sein. Auf diesen Konkurrenzkampf hätte ich keine Lust. 

„Oma, wärst du gerne heute Mutter?“, frage ich sie. „Ja“, sagt sie ohne Zögern. „Viel lieber. Ihr habt heute mehr Möglichkeiten und Freiheiten.“ Ich antworte: „Dafür muss ich heute aber auch viel unter einen Hut bringen. Das ist manchmal ganz schön stressig.“ Sie überlegt und sagt: „Diesen Stress kenne ich von früher nicht. Und den würde ich auch heute einfach nicht an mich herankommen lassen.“ Ich muss lachen und denke: Wie das geht, das wüsste ich gerne. „Und du, Mama?“ Sie schüttelt den Kopf. „Nein, ich möchte heute nicht mehr eine junge Mutter sein. Auf diesen Konkurrenzkampf unter den Müttern hätte ich keine Lust: Mein Kind schläft schon durch, mein Kind fährt schon Fahrrad, mein Kind malt schon perfekt – das wäre mir zu anstrengend.“

Sie sagt, sie sei froh, dass sie meinen Bruder und mich so gut groß bekommen hat – und dass wir heute beide ein gutes und selbstständiges Leben führen können: „Das macht mich stolz.“ Ich frage: „Und hast du einen Tipp für mich? Und für all die jungen Mütter heute?“ Sie überlegt kurz und sagt: „Werdet ruhiger. Gönnt euch mehr Muße.“ Es sei nicht selbstverständlich, so alt zu werden wie meine Oma. „Ich sehe das bei Papa: Wie er sich freut, wenn die Enkelkinder kommen. Wie er mit ihnen durchs Wohnzimmer robbt. Dafür hatte er früher mit euch kaum Zeit.“ Und: „Überlegt euch, was ihr wirklich im Leben braucht. Mehrere Urlaube im Jahr? All die Deko, all die modische Kleidung? Oder geht auch weniger?“ Vielleicht könne man Arbeitszeiten und Verpflichtungen reduzieren – und mehr Zeit füreinander gewinnen.

Nach dem Gespräch fahre ich nachdenklich nach Hause. Ich gehöre nicht zu denen, die das Geld zum Fenster hinauswerfen und deswegen viel arbeiten. Aber ich möchte meine Arbeit gut machen, hundert Prozent im Job geben – und hundert Prozent zu Hause. Ich habe es gerne perfekt und harmonisch. Vielleicht meint meine Mama auch das: dass ich als junge Mutter das Leben ein bisschen lockerer sehen und mich von den Umständen nicht zu sehr hetzen lassen sollte. Ich werde es probieren.

Kerstin Osterndorf