Gottesdienstübertragungen gewinnen Zuschauer
Vor dem Bildschirm mitbeten
In der Corona-Krise steigen die Zuschauerzahlen: Viele Christen nutzen für Gottesdienste digitale Angebote.
Die Corona-Epidemie scheint digitale Innovationen zu beschleunigen. Das gilt für die Wirtschaft - Stichwort Heimarbeit - und offensichtlich auch für die Kirchen. Da es keine öffentlichen Gottesdienste mehr geben soll, haben einige Gemeinden innerhalb kürzester Zeit Übertragungen nicht-öffentlicher Feiern ins Internet auf die Beine gestellt. "Möglicherweise wird hier bereits die Kirche von morgen sichtbar, die sich ohnehin in neuen Formen vollzieht", erklärten die Bischöfe der evangelischen Nordkirche.
Auch der Papst springt auf den Zug auf. Wenn Franziskus den apostolischen Ostersegen "Urbi et orbi" spricht, wird der Petersplatz vermutlich leer bleiben. Dafür soll das Geschehen live im Netz gezeigt werden. Was das für die traditionelle Fernseh-Übertragung bedeutet, die jedes Jahr im Ersten und im Bayerischen Rundfunk (BR) läuft, ist noch nicht abzusehen. "Nach unseren Informationen aus dem Vatikan finden die Kar- und Osterfeierlichkeiten auf jeden Fall statt", sagte ein Sprecher des BR der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In welcher Form, stehe noch nicht fest. "Wir bleiben mit den Verantwortlichen im engen Austausch", hieß es.
Verantwortlich in Rom ist Radio Vatikan. Auf der entsprechenden Internetseite ist seit kurzem die tägliche Morgenmesse mit Papst Franziskus und einigen wenigen Teilnehmern zu sehen.
Auch der Multimedia-Sender des Erzbistums Köln domradio.de ergreift die "Gunst" der Stunde. Wegen der Corona-Krise weitete die Redaktion ihre Gottesdienstübertragungen aus dem Kölner Dom auf die sozialen Medien aus. Der Zuschauer sieht nur eine Handvoll Menschen - einen Geistlichen, einen Lektor, einen Kantor, einen Organisten - sonst ist die berühmteste Kirche Deutschlands leer. Die Kameras steuert der Sender von einem Regieraum außerhalb der Kathedrale.
Das ungewohnte Bild scheint der Beliebtheit keinen Abbruch zu tun. Die Zuschauerzahl bei den Gottesdiensten auf der Internetseite sei um das Vierfache gestiegen, meldet domradio.de. Die tägliche Gesamtreichweite auf Facebook habe sich auf 100.000 verdreifacht.
"Eine Art Grundversorgung für Christen"
Höhere Quoten verzeichnet auch das ZDF. Vergangenen Sonntag haben dem Sender zufolge 960.000 Zuschauer den Fernsehgottesdienst gesehen. Durchschnittlich seien es nur 720.000.
Auch der öffentlich-rechtliche Anbieter versucht, so wenig Menschen wie möglich in der Kirche zu versammeln. Bei der katholischen Messe am Sonntag aus Bensheim sollen nur ein Dutzend Personen in der Hospitalkirche Sankt Joseph sein - darunter ein Pfarrer, zwei Ministranten und vier Sänger. "Sie werden im Raum verteilt mit entsprechendem Abstand den Gottesdienst mitfeiern", erklärte eine Sprecherin auf Anfrage.
Grundsätzlich sei es in Corona-Zeiten eine gangbare Alternative, Messen als Übertragung anzusehen oder anzuhören, findet der Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann von der Universität Erfurt. Aber: "Die tatsächliche Versammlung der Gemeinde würde ich favorisieren." Während einer katholischen Messfeier würden viele Zeichen verwendet, zum Beispiel der Friedensgruß. Zudem empfehle die Kirche den Gläubigen, regelmäßig die Kommunion zu empfangen. Das ist vor einem Bildschirm schwer möglich.
Für Kranemann macht es außerdem einen Unterschied, ob Menschen alleine zu Hause einen Gottesdienst verfolgen oder sich in der Kirche tatsächlich als Mitmenschen begegnen. Wichtig sei, dass den Zuschauern und Zuhörern die Möglichkeit gegeben werde, sich zu beteiligen.
Bei den Fernsehgottesdiensten wird in der Regel die jeweilige Liednummer aus dem Gotteslob eingeblendet, damit das Publikum zu Hause mitsingen kann. Viele Menschen zünden außerdem eine Kerze an. "Wir sind uns bewusst, dass den TV-Gottesdiensten eine große Bedeutung zukommt", sagt die ZDF-Sprecherin, "denn sie stellen jetzt eine Art Grundversorgung für Christen dar."
kna