100 Jahre Sonntagsschutz

Vorgeschmack auf Gottes Reich

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Vor genau 100 Jahren wurde in der Weimarer Verfassung der Sonntagsschutz gesetzlich festgelegt. Immer häufiger wird der arbeitsfreie Sonntag heute aber eingeschränkt und ist doch sinnvoller denn je.

Foto: istockphoto/Giswengoat; Grafik: Dom Medien GmbH
Eine Unterbrechung vom Arbeitsalltag, um Dinge zu tun, für die sonst keine Zeit ist – das sollte der Sonntag sein. Foto: istockphoto/Giswengoat; Grafik: Dom Medien GmbH

„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ – Dieser Satz bildete den Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Er garantierte den Bürgerinnen und Bürgern der ersten deutschen Republik einen arbeitsfreien Sonntag. Dieser Satz ging auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein und gilt damit bis heute, 100 Jahre später, für uns alle. Immer häufiger kommt es aber zu Diskussionen um verkaufsoffene Sonntage in Innenstädten und darum, was am Sonntag erlaubt ist und was nicht. Eine Ausnahme ist Sonntagsarbeit in vielen Bereichen nicht mehr. Mehr als jeder zehnte Beschäftigte hat 2015 nach Angaben der Bundesregierung regelmäßig an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. 

„Es wäre ein Horroszenario für mich, wenn die Tage alle gleich wären“, sagt Tilman Jeremias. Der 53-Jährige ist evangelischer Pastor für Ökumene und Mission im Kirchenkreis Mecklenburg und hat ein Buch über den jüdischen Sabbat geschrieben. Die Feier des Sonntags im Christentum ist aus dem Sabbat entstanden, aber wegen der Auferstehung Jesu auf den Sonntag gelegt worden. Besonders die Unterbrechung der Arbeitswoche sei dabei wichtig, betont Jeremias. „Ich finde, dass wir uns dieses Gottesgeschenk immer wieder auch zu Herzen nehmen sollten.“ 

Einen Tag lang offline bleiben


Gerade in der heutigen digitalisierten Welt ist die Gefahr groß, diese Unterbrechung der Arbeit nicht wahrzunehmen. Viele Arbeitnehmer beantworten auf ihrem Handy auch am Wochenende Dienst-E-Mails. In Online-Shops kann man auch sonntags einkaufen. „Für mich ist eine sinnvolle Art und Weise, den Sonntag in unserer heutigen Zeit zu begehen, einen ganzen Tag lang offline zu bleiben“, sagt Jeremias. „Ich glaube, das würde schon manchen Druck und manche Hetze aus unserem Leben rausnehmen.“

Der freie Sonntag ermögliche es, auch Dinge zu tun, die kein Geld einbringen, wie Spaziergänge, Sport oder Theater. „So wie es das Grundgesetz sagt: Wir sollen die Seele erheben an diesem Tag“, sagt Jeremias. Auch für den Gottesdienst ist Zeit – wobei die Zahlen der Gottesdienstbesucher abnehmen. Religiöse Traditionen reichen als Begründung für einen freien Tag für die gesamte Gesellschaft also nicht mehr aus. Warum sollte daher nicht jedem Arbeitnehmer freigestellt werden, wann er seinen persönlichen Sonntag nimmt? „Ich finde, dass es auch gegen den Individualismus in der heutigen Gesellschaft arbeitet, weil alle gemeinsam freie Zeit haben“, sagt Jeremias. Sonntags kann ich mich mit Verwandten und Freunden treffen, die auch frei haben. 

Der Sabbat sei im jüdischen Verständnis die Krone der Schöpfung, der Tag, an dem Gott nach sechs Tagen Schöpfungsarbeit ruhe, damit alle Geschöpfe das gleiche tun, sagt Jeremias. Der Tag zeige darum die Welt, wie Gott sie sich denke. „Wenn man so will, ist der Sonntag also ein Vorgeschmack auf Gottes Reich.“

Christoph Brüwer