Dokumentations- und Lernort Bückeberg

Wallfahrtsort für den Bauernstand

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Sie gehörten zu den größten Massenveranstaltungen der Nationalsozialisten: Mehrere Jahre wurden die Aufmärsche zum Reichserntedankfest auf dem Bückeberg bei Hameln im Weserbergland zelebriert – mit durchaus religiösen Anleihen und einem Führer als Erlöser.

Einstimmung auf den Krieg: Bomber der Wehrmacht überfliegen 1937 das Erntedankfest auf dem Bückeberg.
Einstimmung auf den Krieg: Bomber der Wehrmacht überfliegen 1937
das Erntedankfest auf dem Bückeberg.

Sie kamen in Sonderzügen aus dem ganzen Reich. Vordergründig war das Erntedankfest Anlass für das Spektakel. Doch zuerst ging es darum, den Führer zu feiern, ihm zu huldigen.

Schauplatz: Der Bückeberg bei Hameln. Wer hier oben steht, hat einen weiten Blick ins Land, auf Wiesen und Felder, auf die Schleifen der Weser im Tal, auf die Bergkette im Hintergrund. Auf die Stadt des Rattenfängers.

Bernhard Gelderblom, Hamelner Historiker, zeigt ein paar Bilder mit dem typischen Gelbstich historischer Fotos, Aufnahmen aus den 1930er Jahren. Sie sind nicht größer als Postkarten, und die wie Ameisen wimmelnden Massen darauf sind nur zu erahnen. Andere greifen Menschen aus der Menge heraus, ich sehe erwartungsfrohe Gesichter, Uniformen, Trachtengruppen, Fahnen. Flugzeuge der Wehrmacht brummen im Tiefflug über die Menschen. Und dann ist ER mitten unter ihnen, Hände recken sich ihm entgegen, ein Pimpf salutiert mit zackig gerecktem Arm.

Die Choreografie des Irrsinns

Das Erntedankfest auf dem Hamelner Bückeberg also. Eine Machtdemonstration, die wir durchaus mit den Aufmärschen der Nürnberger Reichsparteitage vergleichen können. Immer der gleiche Ablauf: der nicht enden wollenden Zug hin zum Berg, die Choreografie des Irrsinns, der Aufbau der Spannung, die Ankunft des Führers, sein Bad in der Menge, der Jubel, seine dämonische Rede, die frenetischen Heil-Rufe.

Angefangen hatte es wenige Jahre zuvor recht bescheiden mit Reitervorführungen. Doch schon 1935 wurde die Veranstaltung zu dem, was sie letztlich dann auch war: die Einstimmung in den totalen Krieg. Waffenschau der Wehrmacht. Simulierter Sturmangriff auf das eigens errichtete Bückedorf mit tausenden Soldaten, Panzern und Flugzeugen. Das Volk als Kampfgemeinschaft. Auch 1938 hatte Goebbes als Organisator alle Register gezogen für ein rauschendes Reichs-Erntedankfest. Doch es kam anders: Auf den letzten Drücker wurde es abgesagt, die deutschen Truppen hatten die Tschechei besetzt. Aus der Feier war der Ernstfall geworden.

Bernhard Gelderblom befasst sich seit vielen Jahren mit den historischen Ereignissen auf dem Hamelner Bückeberg. Im Erntedankfest der Nationalsozialisten sieht er die logische Konsequenz aus der Umwandlung des 1. Mai zum Kampftag der Arbeiterbewegung: „Als sogenannter Reichsnährstand sollten auch die Bauern in den NS-Staat eingegliedert werden“, sagt er. Die ließen sich bereitwillig verführen, sahen das monumentale Fest, in das sie eingebunden waren, als besondere Ehre. 

Informationsinseln und ein weiter Blick ins Wesertal: Der Bückeberg bei Hameln ist jetzt Dokumentationszentrum.
Informationsinseln und ein weiter Blick ins Wesertal: Der Bückeberg bei Hameln ist jetzt Dokumentationszentrum.

Warum fiel die Wahl des Veranstaltungsortes ausgerechnet auf den Bückeberg bei Hameln? Auch darauf weiß Gelderblom eine Antwort: Niedersachsen galt als angeblich urdeutsches Germanenland voll heiliger Eichen, in den mystischen Wäldern war der Geist Widukinds  zu spüren – und die Weser passte als urdeutscher Fluss von der Quelle bis zur Mündung genau ins Konzept. 

Der sanft abfallende Hügel war als Aufmarschplatz für die Massen wie geschaffen, die Stadt selbst damals gut mit der Bahn zu erreichen. Ganz praktische Gründe zunächst, die dann mythisch aufgeladen wurden: Kurzerhand erklärte man das Gebiet rund um den Bückeberg zum Schauplatz der Germanenkämpfe gegen Karl den Großen und zum Ort der Varusschlacht. Und aus dem Raum Hameln stammten auch die Vorfahren des berüchtigten SA-Sturmführers Horst Wessel, der nach seiner Ermordung 1930 in Berlin gerade zum Märtyrer stilisiert wurde.  

„Emporgestiegen aus dem Volk“

Alles in allem also ein geeigneter Platz, der nach Anweisungen Goebbels von Albert Speer, dem Architekten Hitlers, gestaltet wurde: mit zwei riesigen hölzernen Tribünen für 3000 Ehrengäste, verbunden durch einen 800 Meter langen Weg (eine Art Laufsteg für den Führer), gesäumt von roh behauenen Fahnenmasten. Bewusst rustikal gehalten alles, natürlich und erdverbunden. Doch bedeutungsschwanger durch und durch. So notierte Leopold Gutterer, Festorganisator und Regierungsrat im Reichspropagandaministerium: „Symbolhaft sei es, wenn der Führer vom Fuße des Berges aus den Volksmassen empor zur Berghöhe steige. Denn aus dem Volk sei er auch zur Spitze der Nation emporgestiegen. Gleich wie er aber von der Höhe des Bückeberges wieder zurückschreiten und im Volke untertauchen werde, so suche und finde er auch als Führer und Reichskanzler immer wieder die Verbindung mit seinem Volke.“

Historiker befassen sich mit der Frage, wie sehr der Nationalsozialismus möglicherweise als „Erlebnisangebot“ die Massen eher mobilisieren konnte als die dahinter stehende Ideologie. Religiöse Merkmale hat ja Bernhard Gelderblom auch im Ablauf des Reichserntedankfestes ausgemacht: Lieder stärkten das Gemeinschaftsgefühl, der Altar für die Erntegaben, die Kanzel für die Predigt des Führers, ein anschließendes Bekenntnis. Der Hamelner Historiker: „Bei der Festgestaltung finden wir wesentliche Anleihen aus der christlichen Tradition. Der Bückeberg wurde zum Wallfahrtsort, Hitler zum Erlöser.“

Und die Kirche vor Ort – wie reagierte sie? Unterschiedlich, schildert Gelderblom: Die evangelische Gemeinde habe sich eher angebiedert, auch wenn sie nicht direkt in das Fest eingebunden war. Die Katholiken zeigten sich dagegen resigniert: Denn beim Erntedankgottesdienst 1933 auf dem Hamelner Kasernengelände wurden 1000 Teilnehmer zum Abmarsch auf den Bückeberg abzogen, nur ein Drittel blieb am Altar versammelt. Auf einen weiteren Versuch einer Art Gegenveranstaltung wollte es der Pfarrer im Jahr darauf nicht ankommen lassen. „Wegen der trüben Erfahrungen des Vorjahres und der damit verbundenen Unkosten werde er einen außerordentlichen Gottesdienst nicht veranstlaten“, schrieb er an die bischöfliche Hildesheimer Behörde.

Stefan Branahl

 

Viele Jahre gegen alle Widerstände gekämpft

Seit dem Sommer ist das Aufmarschgebiet für das Reichs-Erntedankfest eine Dokumentationsstätte. Lange hat sich Bernhard Gelderblom dafür stark gemacht.

Am Ende hat sich der Einsatz gelohnt: Viele Jahre hat Bernhard Gelderblom dafür gekämpft, das kein Gras über das Reichserntedankfest wächst, jetzt ist er am Ziel: Der Bückeberg ist seit dem Sommer offiziell ein „Dokumentations- und Lernort“.

Am Ziel: Bernhard Gelderblom, Historiker aus Hameln.
Am Ziel: Bernhard Gelderblom, Historiker aus Hameln.

Der Hamelner Historiker und seine Unterstützer mussten dicke Bretter bohren. Bereits 2001 stellte er offiziell den Antrag, den Bückeberg unter Denkmalschutz zu stellen. Ein Jahr später befassten sich mehr als 50 Historiker bei einem Kongress mit dem Thema und unterstützten die Idee. Doch die war vor Ort umstritten.  Viele hätten das unrühmliche Kapitel der Lokalgeschichte gerne abgeschlossen gesehen. Andere sahen zuviel Wirbel um eine doch längst vergangene Sache. Manche fühlten sich wegen persönlicher Verstrickungen von Familienmitgliedern unangenehm berührt oder befürchteten eine Art Wallfahrtsort der rechten Szene. „Wir haben immer auf Gespräch und Argumente gesetzt“, sagt Gelderblom, der persönlich immer wieder mal verbal rüde angegangen worden ist. 

Einige Jahre ruhte das Projekt, dann wurde es wieder aufgegriffen – auch von der Landespolitik und durch die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Konkrete Planungen gab es dann seit 2016.

Jetzt führt ein rund 1,3 Kilometer langer Rundweg über das geschichtsträchtige Gelände, sechs Informationstafeln, aufgestellt in gestalteten Inselbereichen, erzählen die Hintergründe des Reichserntedankfestes. 

„Den Berg zum Sprechen bringen“ – so bringt Gelderblom sein lange verfolgtes Projekt auf den Punkt. „Natürlich freue ich mich, dass uns das gelungen ist.“ Immer wieder begleitet er Besuchergruppen, aber auch Spaziergänger, er teilt mit ihnen sein umfangreiches Wissen, erläutert Zusammenhänge und Hintergründe. „Das Interesse ist sehr groß, negative Bemerkungen zur Gestaltung des Geländes habe ich noch nicht gehört.“  Auch der langjährige Wirbel um die Dokumentationsstätte sei weitestgehend abgeklungen. „Manche hatten ja geradezu gigantische Pläne befürchtet, sahen Autoschlangen und Müllberge. Nichts von alledem hat sich bewahrheitet.“ Wenn es jetzt für die Besucher noch Ruhebänke und einen Wetterschutz gäbe, wäre alles perfekt. (sbr)

Geführte Rundgänge können abgesprochen werden per Telefon: (05151) 94 82 51 oder per E-Mail: kontakt@bueckeberg-ggmbh.de