Anfrage
Warum gibt es so viele Bibelübersetzungen?
Es erscheinen immer neue Bibelübersetzungen und jede will ganz nah am Urtext sein. Wie kann das gehen? Und ist es nicht sinnvoller, sich auf eine Einheitsübersetzung zu verständigen? Johannes-Hermann Prankl, Görlitz
Sie haben recht: Die Bibel ist das meistübersetzte Buch der Welt. In 694 Sprachen ist sie vollständig zu lesen, und in vielen Sprachen gibt es diverse Übersetzungen. Auf Deutsch sind es 35 vollständige und noch viel mehr Teilübersetzungen, etwa nur des Neuen Testaments.
Womit Sie nicht recht haben: Längst nicht jede will ganz nah am Urtext sein. Es gibt die Bibel in einfacher, in geschlechtergerechter oder moderner Sprache. Da ist die Zielgruppe sehr viel mehr im Blick als die Wörtlichkeit. Oder nehmen Sie poetische Übersetzungen wie die von Friedolin Stier: Da steht die literarische Qualität weit vor Urtexttreue. Deshalb spricht man in manchen Fällen eher von Übertragung als von Übersetzung.
Die Frage nach einer gemeinsamen Einheitsübersetzung kann ich zunächst kirchenamtlich beantworten. Denn Ende der 1970er Jahre wurde solches nicht nur versucht, sondern auch gemacht. Die Einheitsübersetzung von 1980 ist das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland. Allein: In der evangelischen Kirche hat sie sich nie durchgesetzt. Dort blieb die Lutherbibel das Maß der Dinge, gerade im Gottesdienst. Und die Neuübersetzung der Lutherbibel von 2017 zeigt: Das wird sie bleiben. Die neue Einheitsübersetzung von 2016 war deshalb von Anfang an kein ökumenisches Projekt mehr, sondern ein katholisches.
Hinzu kommt: Die Bibel gehört allen. Wenn also jemand seinen Lebenssinn darin sieht, die Texte neu zu übersetzen – wer wollte ihn oder sie hindern? Und wenn ein Verlag meint, für eine neue Übersetzung Käufer zu finden – wer wollte ihn hindern, eine herauszugeben? Zumal viele Leserinnen und Leser der Bibel es anregend finden, einen bekannten Text einmal anders formuliert zu lesen. Auch in Bibelkreisen ist das Parallellesen beliebt.
In der katholischen Liturgie gibt es hingegen keine Auswahl. Da ist nur der Text der amtlichen Einheitsübersetzung zugelassen.
Susanne Haverkamp