Anleitung zum christlichen Unterwegssein
Was Pilgern so magisch macht
Foto: adobestock /jarcosa
Als Miriam Penkhues noch in der Pilgerstelle des Bistums Limburg gearbeitet hat, kamen öfter Menschen dorthin, um mit ihr über Ausrüstungsfragen zu sprechen. Was brauche ich für die Wochen auf dem Weg nach Santiago de Compostela? Nichts gegen diese Frage, aber Penkhues hat eins viel mehr interessiert: „Warum wollen Sie pilgern?“ Nicht jeder, der von Hape Kerkeling und dem „Ich bin dann mal weg“-Virus angesteckt worden war, konnte das so leicht beantworten. Aber es ist die entscheidende Frage – jedenfalls nach Ansicht der pilgererfahrenen Frankfurterin.
Warum kann es nicht einfach Wandern oder Reisen sein?
2005 war Penkhues das erste Mal auf dem Jakobsweg unterwegs, seitdem hat sie viele Male den Rucksack genommen und Kilometer um Kilometer zu Fuß zurückgelegt, auch auf skandinavischen Pilgerwegen. „Solange ich laufen kann, wird das meine liebste Form der Reise sein, von Herberge zu Herberge, zu Fuß“, sagt die 1979 geborene Politikwissenschaftlerin, die als „Referentin für Kirchliche Innovation und Digitalität“ im Bistum Limburg tätig ist. Jetzt hat sie zusammen mit der Theologin Hildegard Huwe, die in Köln als Pilgerbegleiterin unterwegs ist, ihr erstes Buch geschrieben, in dem „Das Geheimnis des Pilgerns“ erschlossen werden soll.
Die beiden Frauen finden eine moderne und ansprechende Form, ihre Erfahrungen weiterzugeben. Sie mischen Grundsätzliches mit kurzen Erlebnisberichten, biblische Impulse mit praktischen Hinweisen. Davon hat auch derjenige etwas, der fern von jeder Pilgerabsicht auf dem Sofa sitzt und sich fragt, warum es nicht einfach Wandern oder Reisen sein kann? Und warum gerade überfüllte Herbergen, wechselnde Reisegenossen und jeden Abend Handwäsche so erfüllend und lebensverändernd sein sollen?
„Der Tourist reist – der Wanderer geht – der Pilger sucht“ ist so ein Spruch, der zum Nachdenken anregen kann. Was die Pilger von Wanderern und Touristen unterscheidet, ist die „innere Fragestellung“. Die „causa pia“ – in welcher „frommen Angelegenheit“ macht sich jemand auf den Weg? Oder modern ausgedrückt: Was schleppst Du in Deinem Lebensrucksack, Pilger? Was soll in Deinem Leben leichter werden?
Die Komponenten, die einen Pilgerweg ausmachen, sind laut den Autorinnen Freiheit, Bewegung in Langsamkeit und Veränderung.
Freiheit vom täglichen Einerlei, von Erwartungen der Familie oder der Kollegen. Freiheit auch, den eigenen Weg zu wählen, das Tempo zu bestimmen und zu entscheiden, ob ich allein bleibe oder mich anderen anschließe. Bewegung aus eigener Kraft, dank überraschten Füßen und schmerzenden Muskeln voranzukommen, aber nicht schnell, nicht ungeduldig, nicht effektiv. Ein Weg, so gegangen, bewirkt Veränderung. Und er antwortet auf zwei Leiden der Gegenwart: auf das Gefühl, allein auf sich gestellt zu sein, und auf das Gefühl, ohnmächtig zu sein. Pilgern habe auch immer etwas Therapeutisches, sagt Penkhues. „Selbstwirksamkeit“ ist das dazu passende Modewort: Pilger spüren, dass sie – auch im übertragenen Sinn – nicht feststecken, nicht stehenbleiben, dass sie Ziele erreichen und dabei Hilfe von anderen bekommen.
Es könnte alles so einfach sein, isses aber nicht, sangen die Fantastischen Vier. Noch die besten Absichten können sich verwandeln. Aus dem festen Vorsatz wird unversehens ein Leistungszwang – eine innere Stimme ruft nach mehr Schnelligkeit, nach mehr Kilometern. Abends nach einem schweigend gegangenen Weg verlangt das per Handy gepflegte Selbstbild Tribut. Manche veranstalten einen Run auf freie Betten, andere gefährden ihre Gesundheit, weil sie mit eiternden und blutigen Füßen einfach weitergehen, um ihren Plan nicht zu gefährden.
Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen
Zugleich sanft und nachdrücklich warnt das Buch vor solchen Gefahren, indem es dem Scheitern beim Pilgern ein eigenes Kapitel widmet. Fürs Pilgern wird investiert, Zeit und Geld, und dann soll auch etwas herauskommen. Aber da der Pilgerautomat noch nicht erfunden ist, lässt sich das Pilgern nicht mit einer Münze bedienen, die auszahlt. Es bleibt überraschend, es kann sogar enttäuschend sein. Oder anders als gedacht.
Auch an dieser Stelle bringen Penkhues und Huwe den lieben Gott ins Spiel, der bei ihnen viele Namen hat: „Vater/Mutter; Tröster:in, Freund:in; Geistkraft, Herr, Schöpfer:in“. Für Miriam Penkhues ist der Psalm 121 eine Hilfe und ein Ausdruck ihres Glaubens: „Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat ... Der Herr ist dein Hüter, der Herr gibt dir Schatten zu deiner Rechten ... der Herr behütet dich vor allem Bösen, er behütet dein Leben.“
Im kleinen Begleitheft, das dem Buch beiliegt, gibt es zahlreiche Hilfestellungen für Pilgerinnen und Pilger. Es enthält Vorschläge, wie sie sich an Gott wenden können, wie sie aufmerksam werden können am Beginn des Tages, wie sie über Entscheidungen nachdenken können, und einige Bibeltexte. Die biblische Botschaft, die ihr so wichtig ist, will Penkhues gern weitergeben. Ungefähr so wie eine Optikerin in Gottes Brillenladen. Denn sie will „Menschen eine Brille anbieten, mit der sie Gott erkennen können“. Besser und mehr zu sehen, dazu soll dieses Buch verhelfen. Es ist ein Buch für alle, die neue Wege gehen wollen. Kann sein, dass sie dabei Gott begegnen. Soll ja schon vorgekommen sein.
Hildegard Huwe, Miriam Penkhues: Das Geheimnis des Pilgerns. Anleitung zum christlichen Unterwegssein. Verlag Echter, 152 Seiten und Beiheft, 24,90 Euro.