Wie Gerhard Trabert versucht, die Bergpredigt zu leben

"Weil ich Christ bin"

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Mitte Februar kandidierte der Sozialmediziner Gerhard Trabert für das Amt des Bundespräsidenten, doch meistens hilft er Menschen in Not. Auch deshalb, weil er die Bergpredigt Jesu für wichtig hält.

Foto: Reiner Pfisterer
Gerhard Trabert hilft als Arzt in Krisenregionen und Kriegsgebieten – ehrenamtlich. Foto: Reiner Pfisterer

Von Theresa Brandl

Die Feindesliebe ist für Gerhard Trabert „vielleicht eine der schwierigsten Herausforderungen, die in der Bibel steht“. Er ist als Arzt seit vielen Jahren auf der ganzen Welt unterwegs und hilft ehrenamtlich in Krisenregionen und Kriegsgebieten.
 
2017 war er zum Beispiel in Mossul im Nordirak – zu dieser Zeit haben irakische Soldaten gegen den sogenannten Islamischen Staat gekämpft. Neben Verletzten der irakischen Armee landeten auch IS-Kämpfer auf der Krankenstation. Die irakischen Soldaten hätten es oftmals nur schwer verstehen können, dass er den Feind versorgte, erzählt Trabert. Er habe ihnen dann vermittelt: „Dieser Mensch braucht meine Versorgung jetzt genauso wie ihr.“ Immer wieder hat Trabert erlebt, wie dankbar auch die IS-Kämpfer für seine bedingungslose Hilfe waren. Er glaubt fest daran, dass es Menschen verändern kann, wenn sie spüren: Jemand sorgt sich um mich. Jesus würde sagen: „Tut Gutes denen, die euch hassen.“

Nächstenliebe ohne Erwartungshaltung

Es ist eine unfassbare Herausforderung: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, auch, wenn er für den Islamischen Staat kämpft. „Wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen“, sagt Jesus im Evangelium. Gerhard Trabert lebt, was Jesus uns in der Bergpredigt erzählt. Vermutlich sagt er deshalb auch sofort, dass dieser Text für ihn „das Zentrale in der Bibel“ ist. „Haltung einzunehmen, konkret zu sein, Nächstenliebe zu praktizieren – ohne irgendeine Erwartungshaltung.“
 
1992 in Slowenien ist sein erster Einsatz. Der Jugoslawienkrieg tobt. „Bürgerkrieg quasi vor der Haustür“, schreibt Trabert in seinem Buch „Die Menschheit am Abgrund“, in dem er von seinen Erlebnissen erzählt. Trabert ist mit der christlichen Hilfsorganisation Humedica unterwegs. Er trifft auf Mohammed, einen irakischen Arzt, mit dem er fortan zusammenarbeiten wird. Der fragt bald: „Bist du Moslem?“ Trabert antwortet: „Nein, ich versuche, Christ zu sein.“ Mohammed versteht nicht: Warum ist Trabert hier, wenn die Opfer dieses Bürgerkrieges, die Opfer in Bosnien-Herzegowina, doch fast alle Muslime waren? Trabert antwortet: „Genau deshalb bin ich hier – weil ich Christ bin!“
 
„Christsein bedeutet nicht, nur für Christen da zu sein – sondern für alle Menschen, die in Not sind“, sagt Gerhard Trabert auch knapp 20 Jahre nach diesem Gespräch mit dem irakischen Arzt Mohammed. Niemals aufrechnen, frei geben. „Tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein“, heißt es im Lukasevangelium. Gerhard Trabert erhofft sich nichts für seine Einsätze. Und bekommt doch unendlich viel.

Unerwartete Geschenke 

Zum Beispiel nach einer Flutkatastrophe in Pakistan. Trabert behandelt Patientinnen in einem Frauenzelt. Draußen sind es 40 Grad, drinnen herrscht eine unvorstellbare Hitze. Die Männer im anderen Zelt haben einen Ventilator, Trabert bei den Frauen nicht. Kurzerhand nimmt eine Frau eine Bananenstaude zur Hand und fächert Trabert aus Fürsorge Luft zu. Wenig später fällt der Strom aus – und damit auch der Ventilator. Als Trabert und die Frauen das bemerken, müssen sie lachen: So kann es gehen mit der Technik. „Ich war so dankbar dafür, dass ich weiterhin dieses Geschenk des Luftzufächerns bekam, als Mann von dieser Frauengemeinschaft und von ihrer Solidarität aufgefangen zu werden. Man hat mich getragen“, sagt Trabert.
 
Solche Geschenke bekommt er immer wieder - und manchmal auch welche zum Anfassen. Bei einem Einsatz in Kobanê, Nordsyrien, wird es in dieser kurdischen Region plötzlich immer gefährlicher. Die Türkei ist dort militärisch aktiv. Ein Chirurg, den Trabert dort kennt, sagt zu ihm: „Du musst jetzt hier weg. Ich habe nicht viel, was ich dir geben kann.“ Er überreicht Trabert zum Abschied seine Gebetskette, er ist selbst Moslem. Heute trägt Gerhard Trabert sie noch immer täglich bei sich. Genauso wie ein hölzernes Kreuz, das ihm einmal Schwestern eines Leprakrankenhauses in Indien geschenkt haben. „Euer Lohn wird groß sein.“ Der Mediziner im Noteinsatz erlebt, was Jesus ankündigt.

Gerhard Trabert geht zu den Menschen in schlimmste Krisengebiete. Und erfährt dort immer wieder, was er selbst anfangs nie für möglich gehalten hätte. „Ich habe oft gedacht, dass ich den Menschen wieder ein Stück Würde und Respekt bringe. Und ich erlebe, dass man mir durch diese sehr authentische Beziehung ein Stück Würde und Respekt wiedergegeben hat“, sagt Trabert. Viele von uns würden in einer sehr privilegierten Welt leben: „Diese Form der Begegnung ist etwas, das man sich nicht erkaufen kann.“
 
Sobald wie möglich nach Belarus

Immer wieder schreibt Trabert in seinem Buch davon, wie beeindruckt er von der Willensstärke und Kraft der Betroffenen ist, die trotz ihres Schicksals eine tiefe Dankbarkeit für seine Unterstützung empfinden. Das ist ein Grund dafür, dass Trabert noch längst nicht ans Aufhören denkt. „Eine Form von Egoismus – diese ehrlichen Beziehungen, die ich immer wieder erleben darf.“
 
Die nächsten Einsätze sind deshalb schon geplant. Sobald dort nicht mehr alles abgeriegelt ist, soll es an die polnisch-belarussische Grenze gehen. Zuletzt war Trabert oft mit seinem Arztmobil im Ahrtal unterwegs und unterstützte dort eine Grundschule. Im nächsten Sommer will er im Mittelmeer helfen und ein von ihm gegründetes Projekt für Straßenkinder in Kenia besuchen. Ein prall gefüllter Terminkalender. Trabert skizziert ihn, als wäre es das Normalste der Welt.
 
Für ihn ist es das auch. Die Werte des christlichen Glaubens geben ihm dafür Kraft. Doch Trabert ist auch sicher: „Wäre ich in einem anderen Land geboren, würde mich etwas anderes stärken.“ Denn die Religion steht für den 65-Jährigen überhaupt nicht im Vordergrund. Sondern „die Wertigkeit des Menschen, seine Einmaligkeit, das friedliche und wertschätzende Miteinander“, sagt Trabert. Er möchte durch seine Taten überzeugen.

Buchtipp:
Gerhard Trabert: Am Abgrund der Menschlichkeit. Begegnungen mit Menschen auf der Flucht. Adeo Verlag, 256 Seiten, 20 Euro