Kirchliche Statistik

„Weniger über Kirche, mehr über den Glauben reden“

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Was können wir heute tun, damit Menschen in unserer Kirche eine Heimat finden und mit Gott in Berührung kommen? Wie und wo können neue Orte und Formen von kirchlichem Leben entstehen? Diese Fragen will Generalvikar Martin Wilk stärker in den Mittelpunkt stellen.

Eine aktuelle Studie sagt, dass die katholische Kirche bis 2030 ein Viertel, bis 2060 sogar die Hälfte ihrer Gläubigen verlieren wird. Dabei spielt der demografische Wandel nicht die Hauptrolle. Sehen Sie den Trend auch für das Bistum Hildesheim oder erwarten Sie hier andere Zahlen?

Die aktuelle kirchliche Statistik für das Jahr 2018 zeigt, dass wir eine erhöhte Zahl von Kirchenaustritten haben. Diese Nachricht schmerzt mich sehr. Gleichzeitig ist mir aber auch wichtig, dass wir uns durch solche Prognosen nicht lähmen lassen, sondern auf die Zukunft ausrichten. Diese bringt viele Veränderungen mit sich, Veränderungen gehören zum Leben und zur Kirche dazu. Wir sind im Glauben mit einer froh- und freimachenden Botschaft unterwegs und diese Botschaft zu leben und zu bezeugen – auch unter veränderten Bedingungen – das ist unser Auftrag.

Welche Rolle spielt das für die Finanzen des Bistums und eventuell auch für die Personalentwicklung des Bistums – bis hin zum Stellenabbau?

Generalvikar Martin Wilk
Generalvikar Martin Wilk

Es ist davon auszugehen, dass uns künftig geringere Ressourcen zur Verfügung stehen, und wir werden überlegen und entscheiden müssen, welche Schwerpunkte wir als Bistum setzen. Die Besinnung auf den kirchlichen Grundauftrag steht für mich im Vordergrund dieser Überlegungen. Bei den Themen „Kirchenaustritt“ und „kleiner werden“ denke ich aber nicht zuerst ans Geld und an die geringeren Ressourcen.
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir für die Menschen in der heutigen Zeit Räume des Heiligen eröffnen, damit sie sich in unserer Kirche beheimatet fühlen.
Dazu gehört natürlich, dass wir die selbstverschuldeten Skandale ehrlich aufarbeiten und Strukturen schaffen, die in Zukunft alle Formen von Missbrauch verhindern. Wir haben als Kirche an unserer Dialogfähigkeit zu arbeiten und echte Partizipation zu lernen. An erster Stelle aber: Wir müssen glaubwürdig und authentisch sein bei der Bezeugung der Botschaft, die wir zu verkünden haben. Sprechen und Tun gehören zusammen.

Welche Auswirkung hat diese Entwicklung für die pastorale Situation?

Selbstverständlich haben die Prognosen eine Auswirkung, wie Kirche vor Ort wahrgenommen, erlebt und vor allem gestaltet wird. Für das Bistum Hildesheim ist dies aber keine neue Erkenntnis. Vielmehr sind wir mit vielen engagierten Katholik*innen im Gespräch über neue Formen von Kirche, von Gemeindeleben. Wichtiger scheint mir die Frage: Was können wir heute tun, damit Menschen in unserer Kirche eine Heimat finden und mit Gott in Berührung kommen? Wie und wo können neue Orte und Formen von kirchlichem Leben entstehen? Darauf kommt es mir an.

Wie stellen Sie sich heute als Bistum auf die neue Situation ein?

Das Bistum Hildesheim hat in den vergangenen Jahren, sowohl im Blick auf die pastoralen Konzepte als auch im Bereich der Finanzen, wichtige Weichenstellungen vorgenommen, um sich auf eine veränderte Situation einzustellen. Wir haben einen neuen Stellenplan und den inhaltlichen Prozess der lokalen Kirchenentwicklung. Finanztechnisch sind wichtige Verpflichtungen abgebildet, gegenwärtig sind wir dabei den Immobilienstand zu reduzieren. Begleitprozesse sind auf den Weg gebracht worden, um das pastorale Personal und die Gemeinden auf die neue Form des Kircheseins vorzubereiten. Wir sind dankbar für das Engagement von unzähligen Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern an den verschiedenen Orten von Kirche. Selbstverständlich sind Priester, Diakone und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Zukunft unentbehrlich. Vieles wird sich verändern. Ich bin zuversichtlich, dass wir als Kirche auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Die Verkündigung und die Bezeugung des Evangeliums bleibt eine aktuelle und notwendige Aufgabe.

Haben Sie eine Idee, wie man sich als Kirchengemeinde auf ein solches Szenario vorbereiten bzw. ihm – vielleicht auch gegen den Trend – entgegenarbeiten kann?

Es ist mir wichtig, dass wir weniger über die Kirche und mehr über unseren Glauben, weniger über uns und mehr über die Menschen und die Welt nachdenken und sprechen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir uns zu oft mit uns, mit unseren Strukturen und dem beschäftigen, was uns wichtig ist. Die Frage müsste lauten: Was ist unsere Aufgabe? Wofür sind wir da?
Jesus wollte das Heil der Menschen, sie sollten aufgerichtet und froh durchs Leben gehen und eine Hoffnung haben, die über das hinausgeht, was wir uns im Hier und Jetzt vorstellen können.
Wir sollten nach dem fragen, was die Menschen bewegt, nach ihren Hoffnungen und Ängsten. Wir dürfen uns als Kirche, als Gemeinden, als kirchliche Einrichtungen in den Dienst nehmen lassen und nach dem fragen und suchen, was dem Leben der Menschen dient und die Menschen stärkt.
Wir haben eine attraktive Botschaft, die wir bezeugen dürfen. Durch Gastfreundschaft, gelebte Spiritualität und die Solidarität mit den Armen und Bedürftigen aller Art können die Gemeinden und Orte des kirchlichen Lebens zu Orten der Glaubens- und Gotteserfahrung werden. Authentisch gelebter Glaube wirkt auf andere anziehend – davon bin ich überzeugt.

Wie können wir es als Kirche schaffen, junge Menschen wieder für Glauben und Kirche zu begeistern?

Die Blickrichtung muss eine andere werden! Nicht die Jugendlichen sollen in die Kirche, sondern die Kirche muss zu den Jugendlichen. Gott ist nämlich schon längst bei ihnen zu finden. Entscheidend ist nicht die Frage: Wie können wir junge Menschen an uns binden? Vielmehr müssen wir uns fragen: Was können wir – aus unserem Glauben heraus – für junge Menschen tun, damit ihr Leben gelingt? Wie können wir Erfahrungsräume öffnen, in denen Menschen erleben und erspüren, dass die Botschaft des Evangeliums mit ihnen und mit ihrem Leben zu tun hat? Die Lebensrelevanz des Glaubens ist für mich ein Schlüssel – heute und auch in Zukunft.
Die kirchlichen Schulen im Bistum sind nach wie vor gefragt, auch wenn die Zahl der katholischen Schüler sinkt, ist das ein Zeichen der Hoffnung. Die kirchlichen Schulen sind wichtige Orte des Lebens und des Glaubens. Sie sind in der Tat Zeichen der Hoffnung. Wenn wir sensibel sind, werden wir viele solche Orte der Hoffnung in unserem Bistum wahrnehmen: Kirchengemeinden, in denen auch Menschen mit gebrochenen Lebensbiographien eine Heimat finden; Kindertagesstätten, in denen Kinder und Eltern an der Botschaft Jesu wachsen können; Orte der Jugendpastoral, die das Ausprobieren und Realisieren von neuen Ideen möglich machen, und vieles andere.
Christen, die versuchen aus der Botschaft Jesu ihr Leben zu gestalten, offen auf andere zugehen und mit ihnen das Leben teilen, sind für mich ein starkes Zeichen der Hoffnung. Dafür dürfen wir dankbar sein. Dies gilt es zu stärken und zu unterstützen – unabhängig von Trends und Prognosen.

Fragen: Edmund Deppe